Im Gespräch mit: Dirk Luckow und Georges Delnon

Romeo Castellucci hat zwei Gastgeber, die ihm Raum, Technik und Infrastruktur bieten, um in Hamburg seine neueste Kreation zu zeigen: La Passione, eine in Szene gesetzte Vision der Matthäus-Passion von Johann Sebastian Bach.

Dirk Luckow, Intendant der Deichtorhallen Hamburg und Georges Delnon, Intendant der Staatsoper Hamburg unterhalten sich über einen Künstler, in dessen Schaffen sich die beiden Ausdruckssphären von Bildender Kunst (Luckow) und Theater/Oper (Delnon) überschneiden und gegenseitig erhellen: die Matthäus-Passion ist keine Oper, hat aber große theatrale Qualität, Castellucci ist kein Opernregisseur in herkömmlichem Sinn, die Deichtorhallen sind kein Theaterraum und werden auch nicht zu einem gemacht. Castellucci spricht von Offenbarung und einem Gefühl dafür, was „Leiden“ heutzutage dem Zuschauer/Zuhörer bedeuten kann. Was also kann er erwarten? Unser leitender Dramaturg Johannes Blum führte das Gespräch.

Georges Delnon: Die Idee für die Matthäus-Passion ist schon mindestens drei Jahre alt. Ich hatte von Romeo Castellucci so einiges gesehen, an der Schaubühne, in Paris, in Lausanne. Dann habe ich ihn für zwei Tage nach Basel eingeladen und wir haben über die Idee für Hamburg gesprochen und sofort auch darüber, dass wir einen besonderen Ort dafür brauchen.

Dirk Luckow: Hinter diesem „sich aus der Oper herausbewegen“ steckt ja die Idee, die Musik, die Kunst mitten ins Leben zu katapultieren. Und das ist vielleicht die Haltung, aus der heraus sich die Inszenierungen von Romeo Castellucci speisen – eine andere Unmittelbarkeit zu schaffen. Er spricht über den Traum und den Schlaf, Dinge nicht einzusperren. Ein solcher Raum wird von Bildern diktiert, möglicherweise von Klängen. Die Matthäus-Passion kennt man gut in Hamburg. Auch die Deichtorhallen sind so etwas wie eine Kathedrale, eine säkulare Kathedrale.

Ein Raum, der Widerstand bietet?

Luckow: Bildende Künstler mit Erfahrung wissen darauf zu antworten. Bei musikbasierter Kunst ist es ein noch höheres Risiko, denn wie der Klang und die Stimmen in diesem Raum funktionieren, steht auf einem ganz anderen Blatt.

Blum: Mich erinnert das an Aufführungen in der Bochumer Jahrhunderthalle. Der Raum macht den Klang der Musik, und der ist nicht unbedingt der ideale Klang für ein Werk.

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Dirk Luckow und Georges Delnon in den Deichtorhallen Hamburg © Henning Rogge/Deichtorhallen Hamburg

Delnon: Es waren zwei mir wichtige Stichworte, die gerade fielen, nämlich Kathedrale und Ausstellung. Ich finde, dass Castellucci in der Theaterszene wahrscheinlich der ist, der am deutlichsten ein Bildender Künstler ist. Und natürlich habe ich in dieses Projekt Kent Nagano mit einbezogen. Seine erste Spielzeit sollte etwas ganz Besonderes sein, mit Bach als klarem Kontrapunkt zu Berlioz.

Castelluccis Theater bezieht alle Kunstformen mit ein

Luckow: Ursprünglich sind die Deichtorhallen eine Markthalle gewesen – und darin erklingt jetzt Bach mit seiner glasklaren Musik. Dadurch verändert sich die Wahrnehmung des Raums. Das passt zur Mentalität von Castellucci wie auch die Matthäus-Passion selbst: Der majestätische Klang, das Feierliche, der große Chor. Typisch für Castellucci ist das über die Grenzen Hinausgehende und das fließend Machende. Sein Theater bezieht alle anderen Kunstformen mit ein. Castellucci sagt, dass man den Schmerz und das Leid erfahren soll, und zwar so, dass man kapiert, dass es das Fleisch ist, was da weh tut.

Delnon: Ja, der Körper steht für Castellucci im Zentrum seines Schaffens und bildet mit Musik und Text ein herausforderndes Gesamtwerk. Einerseits ist er durch seine Jugend und der intensiven Auseinandersetzung mit christlichem Glauben dem Stück sehr nah und gleichzeitig versucht er, mit seinen Mitteln Distanz zu schaffen. Dadurch entsteht eine Spannung von fast zu großer Nähe zu fast zu großer Ferne.

Blum: Castellucci geht als Bildender Künstler mit der Zeit auf der Bühne anders um. Vielleicht ist gerade das bei seiner Matthäus-Passion der Bruch: wir haben einen Ablauf in der Musik und einen völlig getrennten Ablauf der Bilder. Die Sänger kommen in Castelluccis szenischer Vision nicht vor. Die Musik, die Ausführenden, sind die eine Ebene – die konzertante …

Luckow: … und das wird überformt von den Bildern. – Welche Rolle spielt Kent Nagano?

Delnon: Kent Nagano ist eine sehr spirituelle Person, der absolut im Dialog mit oben und unten steht, der es wichtiger findet, Fragen zu stellen als Antworten zu geben. Aber wenn er Antworten braucht, dann sucht er sie eindeutig in der Musik. Es gibt so viele verschiedene Aufnahmen, und oft werden die Sänger gemäß den Rollen besetzt, also fast schon „theatralisch“ gedacht, das wollte er nicht. Er wollte eine rein musikalische Besetzung der Soli: Bass, Tenor, Sopran und Alt. Insofern ist Kent Nagano auch sehr pur und sehr transparent, sehr protestantisch und auch „licht“, wie auch Romeo Castellucci. Ich glaube, Licht ist das, was die beiden verbindet.

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Dirk Luckow, Romeo Castellucci und Georges Delnon in den Deichtorhallen Hamburg © Henning Rogge/Deichtorhallen Hamburg

Luckow: Castellucci ist aber nicht so spirituell, ich würde ihn eher als einen Linksintellektuellen, aus der Avantgarde-Tradition kommenden Regisseur sehen, der ein eher gebrochenes Verhältnis zum Spirituellen hat.

Delnon: Romeo Castellucci hat in einem Interview gesagt, er suche den Skandalon: den Stein, der dir in den Weg gelegt wird, damit du darüber stolperst. Dann aber stehst du auf und gehst nicht in der gleichen Art weiter wie bisher.

1 Kommentar

  1. Sigi schwab sagt:

    Unglaublich dichte auseinandersetzung mit einem unserer größten musikwerke: dank an kent nagano . Ach was, tiefster dank an alle ,,
    Sigi schwab

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