„miniBAR“ – eine Oper | Teil 1

Die Oper miniBAR ist das gemeinschaftliche Werk von 15 experimentierfreudigen jungen Musiktheaterschaffenden, die sich entschieden haben, nicht mit bekannten Stoffen zu arbeiten, sondern die oft unbegreifliche Lebensrealität ihrer Generation näher zu beleuchten.

Jedes Jahr im Oktober werden 15 junge Opernbegeisterte in den Zirkel der „Akademie Musiktheater heute“ der Deutschen Bank Stiftung aufgenommen. Die Stiftung ermöglicht ihnen eine zweijährige, berufsbegleitende Fortbildung und diskursive Auseinandersetzungen mit zeitgenössischen Musiktheaterkonzepten. Zum Abschluss dieser Förderung unterstützt die Stiftung jeden Jahrgang bei Komposition und Umsetzung einer Uraufführung an einem deutschen Theater. Der Jahrgang 2013-15 setzt sich aus zwei Komponisten, zwei Dirigenten, zwei BühnenbildnerInnen, drei DramaturgInnen, drei Regisseurinnen und drei KulturmanagerInnen zusammen.

Diese jungen Musikschaffenden entwickelten innerhalb der letzten zwei Jahre dezentral über Deutschland und Europa verteilt, bei seltenen gemeinsamen Barbesuchen oder allein am Schreibtisch via Email, Dropbox, und Smartphone die Oper miniBAR.

24 Monate – Ein Stück entsteht

© Jörn Kipping

© Jörn Kipping

1) Januar 2014 – Madrid – Erster Impuls

Die Reise zur miniBAR beginnt in Madrid im Januar 2014 – Was machen opernbegeisterte Intellektuelle um die 30 nach zwölf Stunden Hochkulturgenuss und harten Diskussionen über Zukunft und Rolle des Musiktheaters? Das, was ca. 95 % aller Westeuropäer zur Entspannung machen: Trinken gehen! Das hört sich wahnsinnig profan an und das wäre es auch, wenn dieser Abend nicht ein besonderer Abend gewesen wäre – El miniBAR. Was sie hier erleben, ist gewöhnlich und zauberhaft zugleich. Bei koreanischen Popsongs springen Personal und Gäste auf die Tische und befinden sich für fünf Minuten außerhalb von Raum und Zeit. Hier wird der Hedonismus einer optionsmüden Spaßgesellschaft gelebt, die am Abend in der Bar Augen und Ohren verschließt vor dem Lärm der Maschinengewehre, die nicht so weit weg sind, wie wir immer dachten. Abbruch. Normalzustand. Und dann, drei Songs später, die Wiederholung. Die Möglichkeit der Wiederkehr des Gleichen als stabilisierendes Element – Mainstream-Songs fungieren hier als Haltepunkte in einer ausufernden Zeit, die sich der stetige Veränderung verschrieben hat. Wir fotografieren die Playlist, denn wir ahnen, sie wird noch wichtig werden.

2) Februar 2014 – Braunschweig – Kollektiv und Playlist

Nach einem Monat trifft sich der Jahrgang in Braunschweig wieder. 15 Menschen, die sich kaum kennen, schließen sich in einem Arbeitsraum ein. In einem Manifest halten sie fest, wie sie sich als Gruppe, als Kollektiv, definieren, in der Hoffnung, dass niedergeschriebene Worte ein gewisses Gewicht in der Realität behaupten. Aus einer verrückten Idee formt sich der Gedanke, tatsächlich eine Oper über eine Bar zu entwickeln. Dabei werden erste grundsätzliche Fragen formuliert: Was ist die Bar? Warum kommen Menschen hierher? Die Bar als Ort, der Menschen verbindet, ein Ort für Suchende, für Flüchtende, ein Ort des Alltags?

Der konzeptionelle Ansatz: In multipler Autorenschaft sollen ganz verschiedenartige Geschichten über Barmomente entstehen. Eine Playlist dient als Kompositionsprinzip, denn diese Anordnung von kurzen Songs kann die Stimmung des Abends leiten, muss jedoch weder Verbindung noch Entwicklung haben. Ein musikalisches Abbild der gesteigerten Beliebigkeit unserer Zeit.

3) Mai/ Juni 2014 – Mannheim – Stückschreiben zwischen Großverteiler und Wiesenmeeting

(C) Jörn Kipping

© Jörn Kipping

Vier Monate sind vergangen, in denen die Stipendiaten ausschließlich per Mail im Großverteiler kommuniziert haben. Beim Workshop zum Festival Theater der Welt in Mannheim treffen sie sich, prüfen die zehn angedachten Szenen und sammeln assoziativ weitere Ideen zum Thema Bar.

Die Bar als Nicht-Ort, die Bar als Flucht-Ort – Eskapismus in eine andere Welt, Konsum, Spaß, Spaß, Spaß. Vergessen. Heterotopie, Hedonismus, Halleluja. Die Meinungen hinsichtlich des Schwerpunkts des Stückes und der stilistischen Ausrichtung gehen in der Stipendiatengruppe noch stark auseinander: absurdes Theater oder die Vielstimmigkeit der unterschiedlichen Autoren oder das hochstilisierte Banale? Erzählen wir nicht-zusammenhängende Episoden oder gibt es doch eine Entwicklung innerhalb des Stückes? Bis August geht es jetzt für die fünf Autoren ans Schreiben.

4) August 2014 – Ruhrtriennale und Edinburgh – Erste Inhalte

Inhaltlich arbeiten die Stipendiaten verstärkt beim Edinburgh Festival weiter. Jenseits von Selbstreferenzialität schlagen sich diverse Sichtweisen ihrer Generation auf die heutige Zeit in den nunmehr geschärften Szenen nieder. Die Personnage der Bar besteht ausschließlich aus eigenartig verlorenen, kommunikationsgestörten Gestalten. Das Ende – gibt es überhaupt ein Ende für die Figuren oder sind sie gefangen in der Schleife und alles beginnt von vorn? Es ist ein weiter Weg: Zu schreiben, was man wirklich meint, Bilder für einen Alltag zu finden, die vielleicht wieder holen, aber nicht wiederholen. Es geht dem Jahrgang darum, aus sich heraus zu agieren. Keine fremden Librettisten, keine fremden Texte. Nach dem ersten gemeinsamen Lesen entstehen Pläne zur Überarbeitung. Beim intensiven Treffen auf der Ruhrtriennale zwei Wochen später wird die Staatsoper Hamburg als Koproduktionspartner vorgestellt.

5) November 2014 – Köln, Düsseldorf, Basel – Zweifel und Entscheidungen

Fast drei Monate später trifft sich die Akademie auf Pendelwegen zwischen Köln und Düsseldorf wieder. Effizienz und Input bestimmen diesen Workshop, Pausen finden im Regionalzug statt. In dieser Transitsituation werden die Reihenfolge der Szenen und ihr dramaturgischer Zusammenhang erneut infrage gestellt. Soll es eine Gesamterzählung geben oder stehen die Episoden für sich? Das Ende der Konzeptionsphase bricht an. In Basel begegnet der AMH-Jahrgang dem neuen Leitungsteam der Hamburger Staatsoper und erläutert den Stand sowie den Ausblick auf das weitere Arbeiten an der miniBAR.

Die lose Abfolge der Szenen muss nun bis Ende Januar zu einem Stück gemacht werden. Nach eingehender Analyse stellt sich heraus, dass die Diversität der Schreibstile das Stück nicht voranbringt, da es an einer zusammenhängenden Entwicklung mangelt, die bis zur Deadline Ende Januar nicht mehr gewährleistet werden kann. Der Jahrgang entscheidet daher, dass das Libretto doch aus der Feder eines Librettisten stammen soll.

 

Wie es weiterging? Das erfahrt ihr in Teil 2 – stay tuned!

 

Änne-Marthe Kühn