Aus dem Kopf auf die Bühne: In den Werkstätten entsteht ein Stier

In unserem letzten Blogpost hat uns Christina Schmitt, Bühnen- und Kostümbildnerin, erklärt, wie die Idee zu ihrem Bühnenkonzept entstand. Sie hat in ihrem Assoziationsbuch Bildersammlungen erstellt, die ihr als Inspiration dienen. Ein Teil des Bühnenbildes in der opera stabile-Produktion „Orpheus“ wird einen Stier darstellen – dieses Requisit soll nun unseren Werkstätten aus Christinas Vision in die Realität umgesetzt werden.

Nach der sogenannten „Werkstattabgabe“, also der Vorstellung des Bühnenbildes, übergibt die Bühnenbildnerin ihren Arbeitsauftrag an die Plastiker-Werkstatt. In ersten Konzeptionsgesprächen tauschen sich die Bühnenbildnerin, die Konstrukteure und die Plastiker über die Möglichkeiten der Gestaltung, die Materialwahl und den gewünschten Einsatz des Objektes während des Stückes aus.

Dann macht sich Alexandra Böhm, Theaterplastikerin an der Hamburgischen Staatsoper, an die Arbeit. Anhand des Bildmaterials und durch den Austausch mit Christina über Ideen und Vorstellungen, hat sie ein Bild davon erhalten, wie der Stier später aussehen soll. Sie modelliert einen ersten Entwurf aus Ton – ein Mini-Modell, das sie detailliert ausformt.

Alexandra erstellt das Modell im Maßstab 1:10: „Solche Entwürfe dienen uns als Grundlage für die weiteren Arbeitsschritte. Zum einen lassen sich gestalterische Fragen so meist schon am Modell klären, zum anderen hilft der Entwurf bei der Umsetzung in den größeren Maßstab“, erzählt sie. „Da Ton schnell brüchig wird, wenn er trocknet, erstellen wir eine Negativform aus Silikon, die sich dann wiederum mit einem haltbaren Material ausformen lässt“.

Anhand des kleinen Stier-Modells legen Christina und Alexandra also gemeinsam fest, wohin der Weg gehen soll. Form, Haltung, Oberflächengestaltung, Ausdruck spielen dabei eine Rolle, vor allem aber auch die Anforderungen, die das Objekt in der Inszenierung erfüllen muss. Sind diese Fragen geklärt, macht sich Alexandra an die Umsetzung. Für die Grundform der meisten Objekte verwenden die Plastiker Styroporblöcke, die bei Bedarf miteinander verklebt werden. Styropor hat den Vorteil, dass es sich aufgrund des geringen Gewichts leicht bewegen lässt. Nachdem Alexandra also einige Styroporblöcke zurechtgesägt und zusammengebaut hat, beginnt sie die Grobform des Stieres mit Hilfe einer Kettensäge Schicht für Schicht herauszuarbeiten. Für die Feinarbeiten benützt sie anschließend verschiedene Schnitzmesser, Raspeln und Schleifwerkzeuge. Viele dieser Werkzeuge haben spezielle Formen und werden von den Plastikern je nach Bedarf und Gebrauch selbst hergestellt.

Im Laufe dieses Prozesses ist dann die Zusammenarbeit mit der Schlosser- bzw. Feinmechaniker-Abteilung gefragt: „Wir wissen im Vorhinein oft nicht mit Sicherheit, wie das Objekt in der Inszenierung eingesetzt wird und müssen im Zweifelsfall dafür Sorge tragen, dass es vielseitig bespielbar ist. Der Stier sollte also leicht, gleichzeitig aber möglichst stabil gebaut sein“, sagt Alexandra. Die Feinmechaniker passen zu diesem Zweck eine Konstruktion aus Stahl oder Aluminium in das Objekt ein, die sich an den organischen Formen des Stierkörpers orientiert. Dafür wird die Plastik in Einzelteile geschnitten, das Gerüst angefertigt und die Form anschließend wieder verbunden. Für noch mehr Stabilität sorgt am Ende eine Holzplatte, die in die Auflagefläche des Stieres eingepasst wird. Am Ende lässt sich der Stier tragen, man kann auf ihm sitzen und ihn an den Hörnern packen.

Im nächsten Schritt wird der Stier komplett mit einer Kunstgipsmasse überzogen, die in Verbindung mit Glasfasergewebe eine ziemlich stabile Oberflächenstruktur schafft. Die Gestaltung der Oberfläche durch Spachteln und Überschleifen wirkt am Ende eher rau und grob strukturiert. Das Resultat wird am Ende ein Imitat einer Bronzeskulptur sein.

Wenn Alexandra mit diesem Schritt fertig ist, verlässt der Stier die Plastiker-werkstatt und kommt in den Malsaal. Dort erhält der Stier seine farbliche Ausgestaltung, die wie eine Bronze-Imitation wirken soll. Die Theatermalerin Jezebel Nachtigall trägt eine bräunliche Dispersionsfarbe als Grundierung auf. Nach der Trocknung folgt eine zweite Farbschicht – eine Mischung aus goldener und kupferfarbener Metalleffektfarbe – um den bronzenen Grundton zu erhalten. Im letzten Schritt gestaltet Jezebel mit einer braunen Lasur die Oberfläche des Stiers, sodass die Bronzeplastik eine durchscheinende Patina erhält. Dieser Arbeitsschritt ermöglicht es, die Höhen und Tiefen der plastischen Form malerisch herauszuarbeiten.

Der Stier ist fertig! In abteilungsübergreifender Teamarbeit haben die Mitarbeiter der Werkstätten das Requisit für die Neuproduktion „Orpheus“ erstellt. Nun wird er auf die Probebühne der Staatsoper transportiert. Vorhang auf…!

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Mariano Larrondo, Alexandra Böhm und Jezebel Nachtigall in der Werkstatt

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