„Wie haben Sie die Katastrophe von Fukushima erlebt?“ Im Gespräch mit Mitgliedern des Deutsch-Japanischen Forum Elbe e.V.
Vor der Premiere von „Stilles Meer“ haben wir uns mit fünf Mitgliederinnen des Deutsch-Japanischen Forum Elbe e. V. getroffen und uns mit ihnen über ihre persönlichen Erlebnisse rund um die Ereignisse von Fukushima unterhalten – wir sprachen mit ihnen über Folgen und Verarbeitung der Katastrophe, die Rolle der Medien und ihre Verbindung zur Natur.
Wie haben Sie persönlich die Katastrophe von Fukushima erlebt? Was verbinden Sie mit dem Tōhoku-Erdbeben, dem Tsunami und dem daraus resultierenden Reaktorunglück?
Ayumi Dorau, Übersetzerin: Ich war damals schon in Deutschland und habe die Nachricht nur durch die Medien erfahren. Das Tōhoku-Erdbeben mit dem Tsunami und das Reaktorunglück sind verschiedene Dinge. Während das Erdbeben und der Tsunami Naturkatastrophen sind, ist das Reaktorunglück letztendlich menschliches Versagen, obwohl der Tsunami es verursacht hat.
In den Medien, vor allem in Europa, werden die Vorfälle häufig vermischt. Sehr viele Menschen sind durch den Tsunami und das Erdbeben getötet worden und nicht unbedingt durch die Atomkatastrophe, aber die Folgen des Unglücks treffen die Menschen jetzt nach wie vor.
Kahoko Furusawa, studierende der Musikhochschule Hamburger Konservatorium: Ich war in Tokio als es passierte – ein Beben mit solch großen Ausmaßen habe ich zum ersten Mal erlebt. Auch in Tokio gab es viel Zerstörung, Scheiben zerbrachen und Teile von Häusern fielen herab. Mir kam der Gedanke: Wenn ich mich am falschen Ort aufgehalten hätte, wäre mein Leben vorbei gewesen. Das war für mich ein furchteinflößendes Ereignis und gleichzeitig zu wissen, dass es an anderen Orten noch katastrophaler war, ist eine schmerzliche Vorstellung. Ich werde nie vergessen, was ich damals erlebt habe.
Rikako Oka, Pianistin: Als ich die Katastrophe im Fernsehen gesehen habe, kamen mir große Sorgen um meine Familie und meine Freunde. Ich komme aus Nagoya in Japan, wo nichts geschah. Trotzdem zeigten die deutschen Medien schreckliche Bilder des großen Tsunamis. Diese Bilder zu sehen war für mich so irreal, dass ich nicht glauben konnte, dass das tatsächlich in Japan geschehen war.
„Um den Menschen in meiner Heimat zur Seite zu stehen, habe ich in Deutschland Benefizkonzerte organisiert.“
Kanae Abe, Flötistin: Ich war damals in Deutschland und stand kurz vor meinem Musikhochschulabschluss. Bisher hatte ich meine Heimat nie Fukushima genannt, niemand wusste, dass ich von dort stamme. An diesem Tag schrieb meine Mutter bei Facebook, dass es ein sehr großes Erdbeben gab und ich hatte schon damit gerechnet, dass es einen Tsunami geben könnte. Fukushima ist eigentlich auf „festem Boden gebaut“, ich hätte gedacht, dass es beispielsweise in Miagi schlimmer ausfallen würde. Da die japanische Bauweise der Häuser auf Erdbeben ausgerichtet ist, habe ich mir keine weiteren Gedanken gemacht. Ich ging also wie immer meinem Alltag nach und erst als ich nachhause kam, sah ich die Bilder in den Nachrichten. Es gab Hubschrauberaufnahmen und ich erkannte meine Heimat Fukushima und die Häuser meiner Freunde. Natürlich versuchte ich sofort Kontakt aufzunehmen und bekam erschreckende Antworten: die Wohnungen meiner besten Freunde waren zerstört, manche hatten Familienmitglieder verloren. Mein Fernseher lief rund um die Uhr, über die Berichterstattung von NHK habe ich sozusagen zu meiner Heimat Kontakt gehalten. Auch lange Zeit nach der Verseuchung der Region müssen viele Menschen immer wieder umziehen und ihre ursprüngliche Heimat verlassen. Über die Meldungen des deutschen Fernsehens muss ich sagen, dass der Aspekt der Atomkatastrophe ein wenig zu früh eingebracht wurde. Das Tsunami-Problem war für uns Japaner fast noch schlimmer aber die Deutschen haben sich mehr für die Explosion im Kraftwerk interessiert. Um den Menschen in meiner Heimat zur Seite zu stehen, habe ich in Deutschland Benefizkonzerte organisiert.
Monika Mizuno Bereuter, Vorsitzende des Vereins Deutsch-Japanisches Forum Elbe e. V.: Das schlimmste war das Gefühl der Ohnmacht gegenüber unserer Heimat, unseren Familien und Freunden. Das Wort „Tsunami“ oder „Erdbeben“ kennt jeder und dass Japan ein Land ist, in dem es zu Naturkatastrophen kommt, weiß man: aber es zu erleben ist etwas ganz anderes. Als es passierte, war ich gerade in der japanischen Schule und besuchte eine Veranstaltung, da rief jemand von hinten, dass es wohl ein Erdbeben gegeben hatte. Ich dachte mir nichts weiter dabei, Erdbeben sind in Japan nunmal nichts Ungewöhnliches. Als gebürtige Tokioterin kenne ich Erdbeben. Als ich aber nach Hause kam und den Fernseher anschaltete, sah ich Bilder die ich vorher nur aus anderen Ländern kannte. Meine Familie lebt zum Teil in Tokio und in Yokohama und kurioserweise telefonierten meine Mutter und meine Schwester gerade in dem Moment in dem das Erdbeben passierte, sodass sie sich gegenseitig auf dem Laufenden halten und sich vergewissern konnten, dass es ihnen gut geht. Das war aber eine absolute Ausnahme, in den meisten Fällen konnten die Betroffenen mit ihren Angehörigen keinen Kontakt halten. Von Deutschland aus habe ich mir riesige Sorgen gemacht und meine Familie gefragt, ob sie überhaupt genügend Mittel hätten, um ihre Grundbedürfnisse zu stillen: Wie sah es mit den Evakuierungsmaßnahmen aus? Würde es genügend Wasservorräte geben?
Wie haben Sie die Verarbeitung der Ereignisse von Fukushima wahrgenommen? Wie ist Ihr Eindruck der Darstellung in europäischen Medien und wie empfinden Sie die japanische Berichterstattung?
Kahoko Furusawa: Viele Sender haben die Werbepausen minimiert oder sogar ganz ausgelassen, damit man rund um die Uhr über die Situation informiert bleiben konnte. Als erstes kamen dann Ankündigungen, das Energie eingespart werden sollte. Jeder wollte Wasservorräte anlegen – was ganz schnell zu Knappheit führte. Die Medien mahnten, kameradschaftlich mit den Reserven umzugehen, damit jeder Wasser abbekam. Diese Knappheit hat rund einen Monat angehalten. Die Reaktion der Menschen war natürlich durch Schmerz und Trauer geprägt, aber gerade durch diese Notsituation hielten die Einwohner der Dörfer und die meisten Menschen zusammen und unterstützen sich gegenseitig.
„Das schlimmste war das Gefühl der Ohnmacht gegenüber unserer Heimat, unseren Familien und Freunden.“
Ayumi Dorau: Einige europäische Medien haben die Nachrichten dramatisiert und sehr übertrieben. Japanische Berichte waren so wie es Japaner gewohnt sind: sie beruhigten erst die Nation, dann erst wurde nach und nach über die Lage berichtet.
Konnten Sie im weiteren Verlauf der Katastrophe einen Vergleich ziehen, beispielsweise durch Ihre eigenen Erfahrungen und die denen gegenüberstehenden Berichte von Freunden? Wie wurde in den Jahren danach mit den Folgen der Katastrophe umgegangen?
Kanae Abe: Ich glaube das ist bei jedem ganz unterschiedlich. Es stimmt, die deutschen Medien haben sehr dramatisch berichtet und die japanischen waren eher sachlich. Aber selbst zwei Jahre nach der Katastrophe, als ich für kurze Zeit in meiner Heimat Fukushima war, blieb die Katastrophe allgegenwärtig. Als ich aber in Tokio war, wurde kaum darüber berichtet. Ich hatte sogar das Gefühl, dass ich dort am besten gar nicht erzählen sollte, dass ich aus der Katastrophenregion stamme, weil die Leute das Geschehene vergessen wollen. In Deutschland dagegen wird im Rahmen von Dokumentationen, zum Beispiel über Atomkraftwerke, die Katastrophe immer noch aufgearbeitet, mittlerweile auf einer eher sachlichen Ebene.
Hat die Katastrophe Ihren Blick auf das Verhältnis Mensch vs. Natur verändert?
Kanae Abe: Da hat sich bei mir eigentlich nicht viel verändert, obwohl nun alles anders aussieht. Von vielen Häusern blieben nur noch die Grundsteine. Komisch dagegen ist, dass ich vor der Katastrophe in meiner Heimat das Geräusch von Wellen und Wind weniger stark wahrgenommen habe. Wenn ich nun dort stehe, höre ich das Geräusch so laut und kontinuierlich. So laut habe ich die Geräusche nie zuvor wahrgenommen.
Was sich für mich außerdem stark geändert hat, ist im Gegensatz dazu das Verhältnis von Mensch zu Mensch. In Fukushima muss man sehr vorsichtig über dieses Thema sprechen. Menschen teilen ihre verschiedenen Meinungen, beispielsweise über Atomkraftwerke nicht und es wird nicht offen darüber gesprochen. Es gibt zwar das gemeinsame Ziel alles wieder aufzubauen, aber besonders durch die Atomkatastrophe sind die Menschen auseinandergegangen und es ist unmöglich eine gemeinsame Entscheidung zu treffen, ob man in die Heimat zurück kehren sollte oder nicht. Selbst jetzt, fünf Jahre nach der Katastrophe ändert sich daran nichts, aber ich möchte niemanden darauf ansprechen und aufmerksam machen.
Kanae Abe: In Deutschland wurde ich oft gefragt, wie ich nun über die Atomkraft und die Katastrophe denke – hier kann ich offener darüber sprechen. In meiner Heimat Japan aber kann ich dieses Thema nicht ansprechen. Es ist sehr kompliziert.
Haben sie zuvor bereits Stücke von Toshio Hosokawa oder Oriza Hirata gesehen? Wenn ja, welche Eindrücke haben Sie gewonnen?
Ayumi Dorau: Herr Hosokawa war für mich immer interessant, weil er klassische Musik und Japanisches Noh-Theater kombiniert. Auch Herr Hirata hat ein neues Theater-Genre in Japan erschlossen. Er inszeniert „Colloquial Theatre“ („umgangssprachliches Theater“ oder „Schauspiel mit Robotern“. In Japan habe ich seine Aufführungen immer verpasst, deshalb freute ich mich sehr auf die Vorstellung.
Monika Mizuno Bereuter: Ich freue mich auch. Dass hier in Hamburg die Uraufführung stattfindet, ist toll. In Hamburg leben viele Japanerinnen und Japaner, die das Stück sehr gespannt verfolgen.
Kahoko Furusawa: Bisher nicht, aber ich bin sehr erfreut und gespannt auf die heutige Vorstellung.
Rikako Oka: Die Katastrophe liegt nun fünf Jahre zurück und gerät langsam in Vergessenheit aber durch Stücke wie diese Oper wird die Geschichte weitererzählt, was ich sehr wichtig finde.
Kanae Abe: Ich bin selbst Querflötistin und habe schon einige Stücke von Toshio Hosokawa auf der Querflöte gespielt. Er hat eine besondere Art Ruhe oder Stille in der Musik wiederzugeben und ich bin sehr gespannt wie ich die Stille heute Abend erleben werde. Ich denke, die Stücke von Herrn Hirata haben auch viel mit Ruhe zu tun und sind nicht besonders hektisch. Ich denke, das was ich heute Abend hören werde, wird mich zwischen den Tönen daran erinnern, wie ich selbst die Stille am Meer wahrgenommen habe. Es ist wie ein Spiel aus Licht und Schatten.
Herzlichen Dank für Ihre Zeit und diese sehr interessante und bewegende Gespräch.