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Blutlos blutig – über die Geschichte zweier ungleicher Paare

„Senza Sangue/Herzog Blaubarts Burg“ – zwei Stücke, die bei aller Verschiedenheit nicht zufällig viele Parallelen aufweisen: die gegenseitige Suche nacheinander, Morde, gegenseitige Schuld und (mögliche) Versöhnung.

Ein furchtbares Ereignis hat die beiden Hauptfiguren dieses Opernabends, der aus zwei Einaktern besteht, zusammengeschweißt. Dieses Ereignis lässt sie nicht los, es belastet und quält sie. Sie haben sich seit diesem Tag nie wieder gesehen – bis heute, wo sie sich als alte Menschen auf dem Platz einer Stadt zufällig wieder begegnen. Sie erkennt ihn zuerst, in ihm kriecht die Erinnerung erst hervor, als sie sagt, er sei doch derjenige, der damals Tito hieß. Damals – das war, als das Land gerade den Wechsel von einer Diktatur zu einer freien Gesellschaft hinter sich gebracht hatte – ob es Chile, Argentinien oder Spanien war, präzisiert der Autor Alessandro Baricco nicht.

Senza Sangue

© Monika Rittershaus

Einige, die vorher gegen das alte Regime gekämpft hatten, wollten einen Militärarzt, der ein gefürchteter Folterer gewesen war, umbringen. Sie drangen in sein Haus ein, in dem er mit seinem halbwüchsigen Sohn und seiner kleinen Tochter lebte. Als das Kommando sich näherte, konnte der Vater seiner Tochter gerade noch sagen, sie solle sich unter einer Bodenklappe verstecken. Das Kommando brachte Vater und Sohn um, das Mädchen in dem Loch unter dem Holzfußboden bekam alles mit. Der jüngste, Tito, wurde auf die Suche nach der Tochter durchs Haus geschickt. Er entdeckte Nina unter den Dielen. Sie schauten sich einen langen Moment in die Augen, dann schloss Tito die Klappe wieder.

 „Wahrheit ist die Erfindung eines Lügners“ –  Heinz von Foerster, Philosoph und Physiker

Über diesen Moment möchte die Frau jetzt mit dem Mann sprechen. Sie gehen gemeinsam in ein Café und beginnen eine schwierige Konversation: sie ist die Opfertochter, er einer der Täter. Ist Rache mit ihm Spiel? Er vermutet das, denn er weiß, dass die anderen, die bei dem Überfall dabei waren, alle schon tot sind. Hat sie die Morde begangen oder in Auftrag gegeben? Sie fragt mehrmals, was er sonst noch über sie wisse, was also an Gerüchten über sie in Umlauf sind. Sie macht ihm Vorwürfe, nach Ende des Krieges noch eine unnötige, unwürdige Vergeltungsaktion durchgeführt zu haben, das politische Ziel sei ja erreicht gewesen. „Nicht für uns!“ sagt er. Außerdem lasse sie sich doch auch nur von dem Gedanken an Rache leiten, wenn sie hier mit ihm rede. Doch sie hat ein ganz anderes Interesse: sie will zu dem Moment zurückzukehren, an dem das Unglück kulminiert war, um so diesen Moment aufzuheben in eine neue Gemeinsamkeit, eine neue Versöhntheit, eine Erlöstheit von der Vergangenheit. Sie fragt ihn schließlich, ob er mit ihr schlafen wolle. Sie gehen in ein Hotel.

Das ist das Ende von Eötvös‘ Oper Senza Sangue. Doch es geht weiter im Hotelzimmer. Mit der Situation nach dem Sex und mit Bartóks Blaubart.

Herzog Blaubarts Burg

© Monika Rittershaus

Er kommt mit dem, was geschehen ist und was ihn und seine Vergangenheits- und Lebenssicht so fundamental erschüttert hat, nicht zurecht. Sie spürt das und möchte ihm helfen. Sie beginnen eine Art Rollenspiel: sie ist Judith, eine junge Frau, die für ihn, den Herzog Blaubart, ihre Familie verlassen und mit allem gebrochen hat, nur um mit ihm zu leben. Alle Gerüchte über ihn interessieren sie nicht, sie glaubt, sein wahres Ich zu kennen, das er jedoch mit allen Mitteln verbirgt. Sein Inneres ist die Burg, in der es sieben verschlossene Türen gibt. Judith möchte, dass sie aufgehen, so wie sie herbeisehnt, dass er sein Trauma hinter sich lassen kann, dass wieder Licht und Luft in die dunkle und feuchte Burg einziehen. Er öffnet auf ihr insistierendes Bitten und Werben hin Zug um Zug die Türen: hinter den beiden ersten sind Waffen- und Folterkammer, die drei nächsten öffnen den Blick auf seine Reichtümer, seinen Garten und das Land, das er beherrscht. Bis dahin hatte Blaubart immer gefragt, ob sie denn keine Angst habe, das alles zu sehen. Doch die beiden letzten Türen sind die schwersten, und Blaubart weiß: wenn er diese beiden auch noch öffnet, muss die Verbindung zu Judith enden. Hinter der sechsten Tür öffnet sich der Blick auf einen See aus Tränen, hinter der siebten Tür sieht Judith den Grund für die Tränen: Blaubarts ermordete drei früheren Frauen. Aber da Judith nun diesen Anblick von Blaubart gefordert und erhalten hat, kann er sie nicht weiterleben lassen. Sie wird die vierte Frau sein, symbolisierend die Nacht, nachdem die ersten drei Morgen, Mittag und Abend ihm bedeuteten. Die Burg schließt sich wieder.

Johannes Blum

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