Säulen, Säulen, Säulen… (Tag 4 der Sizilienreise)
Der heutige Reisetag führt die Reisegruppe von Agrigent die Süd- und Westküste Siziliens entlang bis nach Palermo…
Obwohl der erste Stopp die Scala dei Turchi, also die Türkentreppe, einem schneeweißen Felsen, der unweit von Agrigent aus dem Meer aufragt, war, hatten wir doch den Rest des Tages den Eindruck, eher in Griechenland, als in Italien zu sein.
Die Ziele sind Selinunt und Segesta. Die archäologische Stätte von Selinunt besteht aus zwei Teilen: einem Plateau mit den Tempeln und der eigentlichen ummauerten Stadt mit der Akropolis und weiteren Tempeln. Das Areal hat riesige Ausmaße, die darauf befindlichen Bauten ebenfalls. Gegründet um 700 v. Chr. von dorischen Griechen, 409 v. Chr. von den Karthagern zerstört, im 6. Jh. n. Chr. durch ein verheerendes Erdbeben spurlos verschwunden und im 16. Jahrhundert wiederentdeckt. Erst in den 1950er Jahren begann man mit der Rekonstruktion. Der Name Selinunt stammt vom wilden Sellerie (griech. Selinon), der hier überall wächst. Überhaupt haben wir nicht nur viel über dorische Säulen gelernt, sondern die Botanik ausgiebig bestaunt: Rosmarin wächst fast baumhoch, lila Alraunen bedecken den Boden, wilder Fenchel, Wermut, Kapernsträuche. Und – was natürlich uns theaterbegeisterte Reisende besonders überraschte: Mastix! Das Material, mit dem unsere Maskenbildner Perücken und künstliche Bärte befestigen, wird aus dem Gummiharz des Mastixbaumes gewonnen.
Der Tempel von Segesta, etwa 60 km von Selinunt entfernt, wurde erbaut vom Volk der Elymer, von denen man annimmt, dass sie zu den Trojanern gehörten, die mit Aeneas aus Troja geflohen sind, dann aber nicht mit ihm weiter zur Gründung Roms zogen, sondern in Sizilien blieben. Der Tempel liegt wie ein Juwel isoliert auf einem Hügel, wunderschön und, abgesehen vom Zahn der Zeit, der seit über 2000 Jahren an ihm nagt, unversehrt. Er wurde nie zerstört, nicht vom Menschen und nicht von der Natur – und er wurde nie vollendet. Bis heute kann man sehen, dass die letzten Feinarbeiten, wie Ausformung der Säulen oder die Entfernung der Tragevorrichtungen an den Steinblöcken des Unterbaus, nicht vorgenommen worden sind.
Vielleicht noch atemberaubender ist das Theater von Segesta, vielleicht das schönste griechische Theater der Welt. Theatralischer kann eine Architektur nicht konzipiert werden, denn wenn man den Berg, auf dem es liegt, besteigt, hat man keine Ahnung, was einen erwartet. Das Rund des Zuschauerraums liegt einem dann völlig unvermittelt zu Füßen, mit einem schier unendlichen Blick über Täler und Berge bis hin zum Meer. Wer braucht bei einem solchen Hintergrund noch ein Bühnenbild? Dass die Akustik ausgezeichnet ist, versteht sich von selbst.
Ein Gefühl von Sommerferien kam bei der Mittagspause am Strand von Marinella auf, 32 Grad, glasklares Wasser, feinster Sandstrand – und immer der etwas verlegene Gedanke an das herbstliche Hamburg. Es geht uns doch wirklich sehr gut!
Ein ganz großes Lob gebührt unserer Reiseführerin Birgit Machold. Griechische Geschichte, Mythologie und Architektur vermittelt sie uns ebenso italienische Politik, Gesellschaftsstrukturen, Botanik, Weinanbau, die Herstellung von nativem Olivenöl und die Praktiken der Mafia. Und das ist nur ein Auszug aus dem täglichen Themenspektrum!
Apropos Mafia: Auf der Fahrt Richtung Palermo passieren wir die Stelle der Autobahn, die 1992 durch eine von einem nahegelegenen Hügel ferngezündete 500 kg Sprengstoffbombe in die Luft gejagt wurde und den gegen die Mafia aktiven Richter Giovanni Falcone zusammen mit seiner Frau und drei Leibwächtern in ihrem Auto in den Tod riß. Zwei Obelisken an beiden Seiten der Straße erinnern an das Attentat.
Constanze Könemann