Im Gespräch mit: George Benjamin
Nur vier Mal ist George Benjamins und Martin Crimps Oper „Lessons in Love and Violence“ an der Staatsoper zu erleben. In unserem Interview spricht Komponist George Benjamin über die musikalischen Besonderheiten seiner Komposition, seine Inspirationsquellen sowie den Bezug des Werkes zur heutigen Zeit.
Was hat Sie inspiriert diese Oper zu schreiben?
George Benjamin: Der grandiose Text, den Martin Crimp für mich geschrieben hat. Dies ist unsere dritte Zusammenarbeit und meine dritte Oper. Nach unserer zweiten Oper „Written on Skin“ wollten wir unbedingt wieder zusammenarbeiten. Nur brauchten wir ein Thema, also haben wir fast ein Jahr lang gesucht, dutzende Romane, Kurzgeschichten, griechische Theaterstücke, japanisches No-Theater und vieles mehr gelesen. Dann sagte Martin Crimp, dem ich sowohl künstlerisch als auch menschlich sehr vertraue, dass er die Geschichte um den König Edward II. besonders interessant finde und denke, dass sie genau die richtige für uns sei. Ich vertraute ihm, also begann er den Text zu schreiben und neun Monate später bekam ich ihn. Ich war sehr begeistert davon und komponierte die Musik, was knapp zweieinhalb Jahre gedauert hat.
Was sagt uns die zugrunde liegende Geschichte (inspiriert von „Edward II.“ von Christopher Marlowe) heute? Können wir etwas daraus lernen?
George Benjamin: Martin Crimp glaubt nicht an „veraltete“ Geschichten. Es gibt einerseits Geschichten, die uns etwas zu sagen haben und dabei ist es egal, ob sie gestern oder vor 800 Jahren stattgefunden haben. Andererseits gibt es Geschichten, die uns gar nichts zu sagen haben. Ich glaube, dass diese Geschichte eine ist, die uns heute noch interessiert und uns etwas zu sagen hat, aber ich will niemandem sagen, was er oder sie dabei fühlen und denken soll. Sowohl Martin Crimp als auch ich möchten das Publikum dazu anregen, sich seine eigenen Gedanken darüber zu machen, worum es in dem Stück geht und was es bedeutet. Der Titel passt – es geht um Liebe und Gewalt, und auch um Lektionen. Es gibt eine relativ einfache Antwort – insbesondere bei Katie Mitchells Inszenierung – darauf, wer diese Lektionen lernt, aber ganz klar ist es auch nicht.
Was ist das Besondere an der Musik in „Lessons in Love and Violence“? Gibt es eine musikalische Grundstimmung oder einen Aufbau, der mit den Charakteren oder dem Inhalt korrespondiert?
George Benjamin: Nun, ich möchte nicht, dass meine Vertonung zu didaktisch wirkt. Ich benutze keine Leitmotive und meistens keine Signale, die zeigen, was ich als Komponist bei der jeweiligen Szene denke, was das Publikum denken soll, was die Figuren denken und was ihre Persönlichkeiten ausmacht. Natürlich ist die Musik nicht vollständig von der Handlung getrennt, es soll nicht zu zweidimensional sein. Es sind ja alles verschiedene Persönlichkeiten. Daher sind beispielsweise Isabels Gesangspassagen ganz anders als die aller anderen weiblichen Rollen. Auch Gavestons Gesangsstil unterscheidet sich gravierend von dem der anderen Sänger. Auch Mortimer und der König haben eine idiomatische Art zu singen. Für das Orchester sind die verwendeten Signale und Akzente auch nicht gerade einfach. Wenn in der Mitte der dritten Szene Sängerinnen und Sänger zur Unterhaltung des Königs erscheinen, sind sowohl der Gesang als auch der orchestrale Part vollständig isoliert vom Rest des Werkes. Auch in der dritten und sechsten Szene – in Momenten von großer Intimität – wenn Gaveston aus der Hand des Königs liest, klingt es sofort komplett anders.
George Benjamin
Der Komponist und Dirigent Sir George Benjamin stammt aus London und studierte zusammen mit Kent Nagano Komposition bei Olivier Messiaen in Paris sowie Kompositionsstudien in Cambridge bei Alexander Goehr. Für seine beiden vorherigen Opern „Into the Little Hill“ und „Written on Skin“, die ebenfalls in Zusammenarbeit mit Martin Crimp entstanden, wurde er mehrfach ausgezeichnet. Als Dirigent stand er schon unter anderem mit dem London Symphony Orchestra, den Berliner Philharmonikern und vielen anderen auf der Bühne.