1

Asmik Grigorian verkörpert Salome in der Regie von Dmitri Tcherniakov

Ihr Salome-Debüt bei den Salzburger Festspielen war eine Sensation. Nun ist Asmik Grigorian an der Staatsoper zu erleben.

Nach Elektra inszeniert Dmitri Tcherniakov mit Salome zum zweiten Mal ein Werk von Richard Strauss an der Staatsoper Hamburg, eine weitere Strauss-Oper soll in der kommenden Spielzeit folgen. Wie Elektra könnte man auch Salome als Familiendrama sehen, heute würde man sagen: Eine Patchworkfamilie. Salome ist die Tochter der Herodias, die in zweiter Ehe König Herodes, den Bruder ihres Mannes, geheiratet hat, was nach den orthodoxen Gesetzen als „Blutschande“ galt. Herodes ist fasziniert von seiner Stieftochter und verspricht, ihr jeden Wunsch zu erfüllen, wenn sie für ihn tanzt. Sie wird den Kopf des Propheten Jochanaan fordern, der ihr schließlich „auf ­einer Silberschüssel“ dargereicht wird. Am Ende der Oper wird ­Herodes, der Mörder und Verbrecher auf dem Thron, den Befehl geben: „Man töte dieses Weib!“ In der Vorstellung von Oscar Wilde, auf dessen Drama die Oper zurückgeht, und von Richard Strauss ist Salome ein sehr junges Mädchen, vielleicht 16 oder 17 Jahre alt. Sie lebt in einer Welt ohne jeden moralischen Kompass, wächst auf zwischen unermesslichem Reichtum, Brutalität, sexuellen Exzessen und ideologisch-religiösen Kämpfen. Der Prophet Jochanaan, ­Johannes der Täufer aus dem Neuen Testament, wurde von Herodes auf Betreiben von Herodias eingekerkert, weil er die Unmoral des Hofes anprangerte. Die orthodoxen Juden sehen ihn als Ketzer an, der das Christentum als neue Religion verkündet. Welch ein Stoff: biblische Heilsgeschichte, Sexualität, Politik und Familien­drama verbinden sich zu einer Geschichte, die den Dichter Oscar Wilde, der sein Drama 1892 auf Französisch verfasste, ebenso faszinierte wie den Komponisten Richard Strauss, der ausrief „dieses Stück schreit nach Musik“, als er Salome 1902 in einer Berliner Insze­nierung von Max Reinhardt kennenlernte.

Foto: Monika Rittershaus

Zwischen Faszination und moralischer Entrüstung bewegten sich die Reaktionen auf die Uraufführung 1905 in Dresden, der bald weltweit viele Produktionen folgen, und auch die Reaktionen der beteiligten Künstler*innen. Mit den Worten „Das thue ich nicht, ich bin eine anständige Frau!“ weigerte sich Marie Wittich, die in der Uraufführung die Titelpartie verkörperte, zunächst, die Rolle einzustudieren. Gustav Mahler wollte das Werk in Wien auf die Bühne bringen, der Zensor teilte ihm jedoch mit: „Die Darstellung von Vorgängen, die in das Gebiet der Sexualpathologie gehören, eignet sich nicht für unsere Hofbühne.“ Erst nach dem Untergang der ­Donaumonarchie wurde Salome dort erstmals gespielt. Die Wiener reisten 1906 stattdessen nach Graz, wo Strauss seine Oper selbst dirigierte und Puccini, Schönberg, Zemlinsky und Berg im Publikum saßen. In Berlin fand zwar 1906 unter der musikalischen Leitung des Komponisten die Erstaufführung statt, doch gestattet wurde das von Kaiser Wilhelm II. nur, weil am Ende durch einen aufgehenden Stern das Kommen der Heiligen drei Könige und damit der Sieg des Guten angedeutet wurde. Die Reihe ließe sich fortsetzen – an der New Yorker Met verlangte ein reicher Mäzen nach der Premiere 1907 das Werk vom Spielplan zu nehmen, erst 1934 fand die zweite Aufführung statt, in London musste der Text geändert und der Kopf des Jochanaan mit einem Tuch abgedeckt werden …

Foto: Monika Rittershaus

Das größte Skandalon war jedoch nicht die Gewaltherrschaft eines psychopathischen Despoten, nicht die Korruptheit des Königs­hofes, nicht einmal der „Tanz der sieben Schleier“, an dessen Ende die Prinzessin nackt vor Herodes steht, das Skandalon war – die Liebe. Die Liebe, die Salome in sich zum ersten Mal verspürt und die sich auf Jochanaan richtet, den Menschen, der so völlig anders ist als die Welt, die sie kennt, und der sich ihr verweigert. Sie begehrt ihn, sie liebt ihn und sie weiß nichts anderes, als das, was sie täglich erfährt: Gewalt und Mord sind die Mittel, Wünsche zu erfüllen. So erlebt sie ihre erste Liebe, so folgt sie ihrem Begehren. Oscar Wilde schrieb dazu Verse, die Strauss nicht vertonte: „Ich war eine Jungfrau, und du nahmst mir die Jungfräulichkeit. Ich war keusch, und du erfülltest meine Adern mit Feuer“. In ihrem Schlussgesang feiert Salome – und feiert die Musik, die Richard Strauss dazu schrieb, – den Triumph der Liebe: „Und das Geheimnis der Liebe ist größer als das Geheimnis des Todes.“

Foto: Monika Rittershaus

Salome sollte die radikalste und vielschichtigste Partitur des Opernkomponisten Richard Strauss bleiben. Auch wenn er den Schritt zur Atonalität nicht vollzog, reizte er harmonische Extreme und Mehrschichtigkeiten aus, um psychische Ausnahmesituationen zu charakterisieren. Der Gegensatz zwischen Chromatik und Diatonik ist auch Ausdruck des Gegensatzes zwischen Salome und Jochanaan. Die radikale Abwehr jeder Sinnlichkeit durch den Propheten ist dabei vielleicht nicht weniger „pathologisch“ als Salomes Begehren. Der starre Buß- und Heilsgesang Jochanaans wird von Salomes leidenschaftlichem Insistieren stellenweise musikalisch geradezu zersetzt. Strauss schrieb an Stefan Zweig: „Für mich hat so ein Prediger in der Wüste, der sich noch dazu von Heuschrecken ernährt, etwas unbeschreiblich Komisches“.

Salome ist ein radikales Werk der Gegensätze, die radikalste ­Herausforderung ist die Titelpartie, die das eigentlich Unmögliche verlangt: eine 16-jährige mit der Stimme einer Isolde. Strauss selbst hat nach der Uraufführung das riesige Orchester (1905 saßen in Dresden 120 Musiker im Graben, die ersten Parkettreihen wurden ausgebaut, um Platz zu schaffen) teilweise reduziert. Es waren nicht immer die großen Wagnerheroinen, denen eine überzeugende Darstellung der Salome gelang, es waren eher Sängerinnen, die sich nicht in ein klassisches Fach einordnen ließen, Grenzgängerinnen des Musiktheaters wie Maria Jeritza, Ljuba Welitsch oder Anja Silja, deren Interpretationen sich dem kulturellen Gedächtnis einprägten.

Foto: Monika Rittershaus

Es war eine Sensation, als die litauische Sopranistin Asmik ­Grigorian 2018 bei den Salzburger Festspielen erstmals die Titelpartie in Salome verkörperte. Bei den Bayreuther Festspielen 2021 war sie die umjubelte Senta in Dmitri Tcherniakovs Neuproduktion von Der fliegende Holländer. Nun kehrt sie als Salome an die Staatsoper Hamburg zurück, wo sie 2012 bereits als Lisa in Pique Dame zu ­erleben war. Wie in Salzburg wird Herodes von John Daszak ­gesungen. Mit ihm erarbeitete Tcherniakov den Aegisth in seiner ­Hamburger Elektra, in der Violeta Urmana als Klytämnestra mit einer eindrücklichen Charakterstudie das Publikum begeisterte. In ­Salome übernimmt sie die Partie der Herodias. Das Philharmo­nische Staatsorchester wird von Generalmusikdirektor Kent Nagano geleitet.