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Auf einen Schnack mit: Anja Kampe

Anja Kampe hat mit vielen ihrer Rollenporträts Maßstäbe gesetzt, darunter als Kundry an der Wiener Staatsoper und der Opéra de Paris, als Sieglinde bei den Bayreuther Festspielen, als Isolde an der Berliner Staatsoper, als Katerina Ismailova an der Bayerischen Staatsoper München oder als „Walküre“-Brünnhilde bei den Salzburger Osterfestspielen. Jetzt singt sie die Minnie in Puccinis „La Fanciulla del West“ in Hamburg.

Welche Beziehung haben Sie zur Figur der Minnie, einer Frau, die in einer Einöde in der Gesellschaft von immerhin 16 Männern lebt.

Anja Kampe: Minnie ist ein vielschichtiger, interessanter Charakter. Sie ist auf der einen Seite eine starke Frau, die Durchsetzungsvermögen hat und sich zu verteidigen weiß, und auf der anderen sehr einfühlsam, empathisch ist und an das Gute im Menschen glaubt. Sie lebt mit all diesen Männern, die fern von ihren Familien ihr finanzielles Glück suchen, in einer rauen Welt und ist für sie Ersatz für Mutter, Ehefrau und Schwester; eine Vertrauensperson, mit der sie ihre Sorgen teilen und auf die sie sich verlassen können. Ihr persönliches Glück steht im Hintergrund, bis ihr dann der Mann begegnet, in den sie sich verliebt.

„La Fanciulla del West“ hat stets die Vorliebe großer Dirigenten und Musiker genossen, doch beim Publikum lange wenig Gegenliebe erfahren. Zu wenig einprägsame Arien, lautete der Hauptvorwurf gegenüber dieser vermeintlichen „Wildwest-Oper“, die eine Liebesgeschichte im kalifornischen Goldgräber-Milieu verhandelt. Kurz gesagt, originelle, facettenreiche Musik und eine banale Geschichte. Jetzt, wo Sie sich gerade so intensiv mit der Oper auseinandersetzen, können Sie diese Urteile nachvollziehen?

Anja Kampe:  Ich finde diese Geschichte nicht banal – im Gegenteil: erzählt sie doch von Gefühlen und Träumen, denen wir alle hinterher laufen, egal wie am Ende die Realität aussieht. Sicherlich wirkt die Musik Puccinis hier auf den ersten Blick etwas spröder,  im Vergleich zu seinen Kassenschlagern wie zum Beispiel „La Bohème“, „Madama Butterfly“ oder „Tosca“. Die musikalische Reichhaltigkeit an Themen, die sich im Verlauf der Oper weiterentwickeln, der bewusste Einsatz von ethnischen Motiven, die in die Zukunft weisende Form des Parlandostils mit sehr interessanten harmonischen Wandlungen, erschließen sich erst beim genaueren Hinsehen/-hören. Ich kann nur sagen; es lohnt sich, sich intensiver mit dem Stück zu befassen.

Sie genießen den Ruf einer Wagnerinterpretin par excellence, nicht zuletzt, weil dabei die Ausgestaltung extremer psychologischer Situationen besonders gefragt ist. Gilt das auch für Puccinis Rollen? Zum Beispiel für Tosca oder eben für Minnie? Und detailliert gefragt: Wo liegen die Unterschiede? Was müsste eine Puccini-Interpretin anders machen?

Anja Kampe: Der Unterschied solche extrem psychologischen Situationen zu gestalten liegt in der Form und vor allem im unterschiedlichen Stil. Wir reden hier im italienischen Fach von Verismo. Der Text wird sehr sprachnah in der Musik umgesetzt und manchmal werden Emotionen sehr deutlich und realitätsnah durch Lachen, Weinen oder Schreien dargestellt. Grundsätzlich macht man nichts falsch, wenn man sich im deutschen wie auch im italienischen Fach genau an den Sprachduktus hält und den Tempo- und Dynamik-Anweisungen des Komponisten folgt. Im italienischen kommt dazu eine gewisse Tradition, die aus der Aufführungspraxis der Vergangenheit bis heute herüber reicht, die man nicht gänzlich ignorieren sollte. Der italienische Gesangsstil Puccinis entwickelte sich nun mal auch aus der Belcantotradition, die dem Sänger auch Raum für die eigene Fantasie lässt.

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Sie zählen zur eher kleinen Spitzengruppe der weltweit renommierten Sopranistinnen im Wagner-Fach. Wenn man sich Ihre Engagements anschaut, fällt auf, dass Verdi oder Puccini eine eher untergeordnete Rolle spielt. Wie kommt’s?

Anja Kampe: Ja, leider! Einen guten Ruf für das deutsche Fach zu haben, macht mich ja nicht unglücklich, aber im heutigen spezialisierten „Schubladendenken“ wird es dem Sänger damit schwer gemacht, sein Potenzial breit gefächert aufzustellen. In der Vergangenheit war es selbstverständlich, sich im deutschen wie im italienischen Fach zu betätigen. Ich bin auch davon überzeugt, dass es der Stimme extrem gut tut, wenn man flexibel bleibt, und die unterschiedlichen Stile befruchten sich gegenseitig.

Berücksichtigen Sie bei der Wahl Ihrer Partien bewusst außermusikalische Aspekte? Etwa den Charakter einer bestimmten Figur?

Anja Kampe: Auf alle Fälle, aber ausschlaggebend ist natürlich das persönliche Stimmpotenzial. Mit der Erfahrung der Jahre versteht man, wo die Vorzüge und Grenzen der eigenen Stimme liegen. So gibt es leider Partien, die mich darstellerisch sehr reizen, aber mich stimmlich wahrscheinlich überfordern würden.

Sie gehören zu jenen Künstlerinnen, die bereit sind, sich auf eine neue Arbeit vorbehaltlos und mit Offenheit einzulassen – also das Gegenbild zum Klischee der Diva, dem ja eine gewisse Allüre anhaftet. Nun denkt, wer von einer Diva spricht, in der Regel an einen Sopran. Was prädestiniert aus Ihrer Sicht gerade Sopranistinnen für dieses Rollenbild?

Anja Kampe: Wir leben in einer Gesellschaft, in der es inzwischen jede Menge anderer Diven gibt und der Raum für eine Operndiva sich auf wenige, von den Medien produzierte Figuren reduziert. Eine Diva ist doch meistens eine Projektion von außen auf den Künstler. Das Publikum braucht solche Heldenfiguren in einer Traumwelt, fern jeder Realität, und die Medien kreieren sie ganz in ihrem Sinne. Das Bild einer widerspenstigen und kapriziösen Diva entspricht heute kaum noch der Realität. Es gibt Künstler, die bei großem Erfolg ein bisschen abheben und sich etwas zu ernst nehmen. Es ist dann wohl eine Frage des Charakters, wie man mit persönlichem Erfolg umgeht. Für mich ist es ein Privileg, in meiner Arbeit ständig neuen Menschen mit ihren individuellen Ideen zu begegnen und mit ihnen gemeinsam etwas gestalten zu können, das dem Publikum das Anliegen und die Vorstellungen des Komponisten und des Regisseurs so nah wie möglich bringt.

Interview: Annedore Cordes (aus dem Journal #5 der Spielzeit 2018/19)