Auf einen Schnack mit: Annalisa Stroppa
Die italienische Mezzosopranistin Annalisa Stroppa debütiert mit der Titelpartie Angelina in „La Cenerentola“ (Aschenputtel) an der Staatsoper Hamburg. Wir haben sie auf einen Schnack getroffen. Über das italienische und deutsche Opernsystem, das Leben als Künstlerin und „Dolce Vita“.
Sie treten auf internationalen Bühnen, vor allem aber in Italien auf. Wie unterscheidet sich das italienische vom deutschen Opernsystem?
Annalisa Stroppa: Der Unterschied besteht vor allem im Ausmaß der Unterstützung durch die Gesellschaft. Obwohl es mir unendlich Leid tut es offen sagen zu müssen, aber Italien investiert nicht in Kultur wie es sollte. Musik ist in Deutschland ab der Grundschule fixer Bestandteil des Erziehungs- und Bildungssystems und wird von Schule und Familie gleichermaßen geschätzt. Es gibt Kulturvermittlungsprojekte ab dem Kleinkindalter, in welchen Kinder spielerisch an die Darstellenden Künste herangeführt werden und ich wäre sehr glücklich wenn Italien sich in dieser Hinsicht Deutschland zum Vorbild nähme.
Die deutsche Kulturarbeit schlägt sich auch deutlich in der Publikumszusammensetzung nieder: Es ist wunderbar, viele junge Menschen im Theater oder in der Oper zu sehen, was in Italien leider immer seltener vorkommt. Deutschland investiert viel in die Musik sowie in Kunst und Kultur ganz allgemein, wohingegen bei uns Gelder häufig gestrichen oder anderen Zwecken zugeteilt werden. Die Entwicklung, dass manche Häuser, darunter auch wahre Perlen, wirtschaftlich nicht mehr zurande kommen und im schlimmsten Fall zum Schließen gezwungen sind, stimmt mich sehr traurig. Und unsere Talente? In den meisten Fällen sind sie gezwungen ins Ausland zu gehen, um aufblühen und ihre Karriere beginnen zu können, das bedrückt mich sehr! Ich hoffe, dass sich die Dinge bald zum Besseren wenden und ein anderer Weg eingeschlagen wird.
Seit den letzten Jahren hat die Wirtschaftskrise Auswirkungen auf alle Aspekte unseres Lebens, daher auch unweigerlich auf Musik und Kultur. Es ist aber falsch zu denken, dass andere Bereiche ohne Kultur existieren können, im Gegenteil, ohne Kultur verlieren wir alles: Arbeitsplätze, die Fähigkeit über unsere Gegenwart und Zukunft zu reflektieren. Kultur nährt, erleuchtet und tröstet uns, sie ist eine Quelle von Energie und Inspiration. Viel zu häufig denken Jugendliche, aber auch Erwachsene, dass Oper nur etwas für ein „reifes Publikum“ oder nur „für Exklusive“ ist. Doch das ist falsch! Oper kennt kein Alter und ist für alle da. Dieses Vorurteil der Jungen, die ein Opernhaus noch nie betreten haben, ändert sich, wenn sie ein Theater von innen kennenlernen und dessen Faszinationskraft spüren. Es ist ein hartnäckiger und sehr verbreiteter Gedanke unter den Nicht-Opernkennern, dass sie diese Kunstform nicht verstehen oder schätzen können. Aus meiner eigenen Erfahrung kann ich sagen, dass viele sich vom Opernvirus infizieren lassen, wenn sie erst einmal dort waren, dass sie sich in die Oper verlieben und unbedingt weitere Vorstellungen erleben möchten. Der Schlüssel zu allem ist, damit in Berührung zu geraten! Daher ist es ideal, ein Netzwerk zwischen Theatern, Schulen und Universitäten aufzubauen. In diesem Kontext haben auch italienische Opernhäuser in den letzten Jahren Kulturveranstaltungen speziell für Kinder ins Leben gerufen. Diese Initiative ist sehr wichtig, um dem Nachwuchs die Welt der Oper auf einfache, direkte und unterhaltsame Weise näherzubringen. Nicht selten sind es die Kinder, welche durch diese Initiativen ihre Eltern erstmalig ins Theater bringen, aber das allein ist noch nicht genug!
Während meines Studiums, bevor ich mich auf eine künstlerische Laufbahn begab, widmete ich mich dem Unterrichten. Meiner Erfahrung nach ist es von grundlegender Bedeutung, Kinder ab der Grundschule in Musik zu unterrichten. Wir müssen sie frühzeitig damit vertraut machen, weil sie Teil unserer Wurzeln und unserer Kultur ist und wir nicht verstehen können, was wir nicht kennen. Die Schule hat eine sehr wichtige Aufgabe: Musik sollte geschätzt und nicht als stiefmütterliches Fach behandelt werden. Im Lehrplan sollte sie den Kindern spielerisch beigebracht und mit allen anderen Gegenständen verbunden werden, als Bindeglied zu Naturwissenschaften, Geschichte, Mathematik, Geographie und Sport dienen. Wenn wir uns fragen, welche Kraft Musik für unsere Kinder hat, liegt die Antwort auf der Hand: Musik formt den Geist, ist Mittel des Ausdrucks und der universellen Kommunikation. Das gleiche passiert mit Sport, Tanz oder Malerei, mit allem, was Kunst und Kultur ist, weil Kultur unser inneres Wesen nährt. Darüber hinaus sollten schon ab der Grundschule auf Musik spezialisierte Lehrkräfte den Musikunterricht gestalten, damit das Kind die musikalische Sprache und den Ausdruck lernt, so wie dies beim Fremdsprachen- oder Sportunterricht der Fall ist. Nur wenn ein Samen gut gesät ist, kann sich die Blume voll entfalten! Ganz zu schweigen von der enormen Macht, die Musik auch für Menschen mit Behinderungen hat, aber dies wäre ein Kapitel für sich.
Speziell die Oper ist Teil der italienischen Identität und daher haben wir die besondere Verpflichtung sie zu schätzen, zu pflegen und in der besten erdenklichen Weise weiterzuführen. Ohne Kultur und ohne Musik wären wir um Vieles ärmer!
„Opera buffa“, „opera seria“ … „La Cenerentola“ ist ein „Dramma giocoso“. Was sind Ihre Lieblingsrollen, was ist Ihr Lieblingsrepertoire? Und welche künstlerischen Pläne gibt es für die Zukunft?
Ich bin ein lyrischer Mezzosopran und singe vorwiegend Belcanto und französisches Fach. Dieses Repertoire ist sowohl für meine Stimme wie auch für meinen Charakter ideal. Grundsätzlich wechsle ich gerne zwischen opera buffa und opera seria hin und her. Ich liebe alle Rollen, die ich singe gleich viel, jede aus anderen Gründen. Jeder einzelnen versuche ich gerecht zu werden, ihr Seele und Geist einzuhauchen, ich lebe in jeder Rolle mit und betrachte sie als meine „Kreatur“ so wie ein Bildhauer oder Maler seine eigenen Werke liebt. Ich liebe sie alle!
Künstlerin zu sein, bedeutet für mich vor allem stets respektvoll mit dem Talent, das wir bekommen haben, umzugehen, es zu schützen, auf Hochglanz zu polieren, und es nie zu verderben. Dies bedeutet, die Musik nicht nur wie eine Arbeit zu betrachten, sondern wie eine Mission, kurz: unser Leben der Kunst zu weihen. Die Erwartung und der Wunsch an die Zukunft bestehen darin, diese Reise lange und mit der immer gleichen Begeisterung fortsetzen zu können!
Kurz vor der Aufführung der „La Cenerentola“ hier an der Staatsoper Hamburg durfte ich mein Debüt mit Verdis „Requiem“ in der Berliner Philharmonie mit den Berliner Philharmonikern unter der Leitung des großen Maestro Currentzis geben. Mit der Vorstellung von „La Cenerentola“ am 31. Dezember endet mein Jahr 2019 am letzten Tag des Jahres. 2020 erwartet mich ein voller Veranstaltungskalender: Rosina in „Il Barbiere di Siviglia“ am Teatro Carlo Felice in Genua, Adalgisa in „Norma“ am Teatro di San Carlo in Neapel, „Carmen“ am Teatre Principal von Palma de Mallorca und Geltrude in Faccios „Amleto“ am Teatro Filarmonico di Verona. Danach folgen mit „Il Barbiere di Siviglia“ an der Bayerischen Staatsoper und „Carmen“ bei den Wiesbadener Maifestspielen zwei weitere Produktionen in Deutschland, Rosina beim Budapester Sommerfestival beziehungsweise den Savonlinna Opernfestspielen und im August gebe ich ein schönes Konzert bei den Bregenzer Festspielen mit Musik von Rossini und Respighi.
Für uns Nordländer symbolisiert Italien „La Dolce Vita“. Was bedeutet Lebensfreude für Sie persönlich?
Für mich ist sie eine Daseinsform. Lebensfreude heißt, jeden Morgen dankbar aufzustehen, sich zu freuen über das, was man bekommt und es mit Leuten die man liebt teilen zu können. Ein Sprichwort sagt: „Geh lächelnd durchs Leben und es lächelt zurück.“ Genaugenommen ist Freude keine Freude, wenn sie nicht geteilt wird. Die heimliche Zutat, die alles im Leben schön macht, ist die Liebe. Wenn sie sich über unser Schaffen ergießt, wird dieses automatisch von Freude erfüllt! Das Wichtigste ist, alles mit Herz, Liebe und Leidenschaft zu tun und immer zu versuchen, das Glas halb voll zu sehen, das macht den Unterschied. Ich persönlich bin sehr dankbar für alles, was das Leben mir gegeben hat, für das wundervolle Geschenk, mich durch meine Leidenschaft ausdrücken zu können.
Wenn ich dann speziell an Italien denke, kann ich sagen, dass ich mein Land liebe, in dem ich geboren und aufgewachsen bin, ich liebe die Sonne, das Essen, die Natur, die Wärme der Menschen; trotz aller Schwierigkeiten, die es hat, bleibt es ein traumhaftes Land. Es ist mein Zuhause, der Ort, an den ich immer wieder zurückkehren kann, um meine geliebten Menschen zu umarmen, meine Familie, die mich liebt und mich immer unterstützt und verstanden hat und deren Präsenz ich auch in der Ferne fühle. Ich hatte sehr großes Glück und habe es immer noch: Bis jetzt konnte ich dank der wunderbaren Menschen, die seit Karrierebeginn an meiner Seite sind, alle Schwierigkeiten überwinden. Meine Leidenschaft und mein Enthusiasmus, kombiniert mit der Zuneigung geliebter Menschen, sind die treibende Kraft meiner Stärke und Gelassenheit, die nötig sind, um alles gut zu meistern. Ungeachtet der Herausforderungen, die der Beruf mit sich bringt, denke ich, dass meine Arbeit ein großartiges Geschenk ist, inspirierend, bereichernd und elektrisierend! Man lernt neue Leute kennen, neue Länder und kann in jeder Produktion sowohl künstlerisch als auch auf persönlicher Ebene wachsen. Ich liebe diesen Beruf: Für mich bedeutet das Singen mehr als das, es ist ein Teil von mir, es umgibt mein Leben zu 360 Grad, ist ein wahrgewordener Traum.
Sie debütieren an der Staatsoper Hamburg als Angelina in „La Cenerentola“. Was sind Ihre Eindrücke von Hamburg?
Ich bin sehr aufgeregt, an diesem berühmten Opernhaus in einer so wunderbaren Rolle zu debütieren! Die musikalische Leitung liegt in den erfahrenen Händen von Matteo Beltrami, die sehr einnehmende und unterhaltsame Regie entstammt Renaud Doucet, während André Barbe Bühnenbild und Kostüme gestaltet hat.
Das Arbeitsklima im Theater ist unbeschwert, aber gleichzeitig sehr konzentriert, die Gesangskollegen sind ganz fabelhaft – wir haben uns inzwischen zu einer netten Gemeinschaft zusammengeschweißt –, ganz zu schweigen von den Mitarbeitern im Haus. Alle sind sehr professionell, aufmerksam, freundlich und hilfsbereit. Hier zu arbeiten ist eine wahre Freude!
Die Stadt selbst hat mich buchstäblich verzaubert. Leider hatte ich noch keine Gelegenheit, sie richtig zu besichtigen, aber allein wenn man durch die Straßen im Zentrum oder entlang der Alster flaniert erlebt man eine wirklich einzigartige Atmosphäre, die in der Weihnachtszeit noch magischer ist. Ich werde sicherlich meine freien Tage nutzen, um die vielen wunderbaren Sehenswürdigkeiten dieser faszinierenden Stadt kennenzulernen!
Annalisa Stroppa
Die vielfach ausgezeichnete italienische Mezzosopranistin Annalisa Stroppa studierte am Conservatorio Luca Marenzio in Brescia und an der Università degli Studi di Bergamo. Sie gastiert auf den großen Bühnen Europas, wie der Mailänder Scala, der Bayerischen Staatsoper oder der Opéra national de Paris. Auch bei den Bregenzer und den Salzburger Festspielen stand sie schon auf der Bühne. In der Saison 2019/20 gibt sie ihr Debüt in der Hansestadt als Angelina in „La Cenerentola“ (Aschenputtel).