„Die Reise zum Mond“

In der opera stabile feiert die opera piccola Die Reise zum Mond Premiere; inszeniert von Stephan Witzlinger und unter der musikalischen Leitung von Luiz de Godoy.

von Janina Zell

10…9…8…7…6…5…4…3…2…1 – Raketenstart! Die Welt wird kleiner, die Menschen immer leichter, sie schweben förmlich, fliegen einfach durch die Luft. Bereit machen zur Landung. Turbulenzen, bitte festhalten! Rums, Krach, Fieeep. Die Astronomen purzeln aus der Rakete und landen auf staubgrauem Boden. Mondisch ist es hier. Unfassbar mondisch.

Andrew Normans Oper ist ein Weltraumabenteuer, inspiriert vom ersten Science-Fiction-Film aller Zeiten. Und tatsächlich ist der Filmemacher selbst mit dabei: Georges Méliès begleitet die Astronomen, um ihre Reise zum Mond mit der Kamera festzuhalten. Doch was sie 384.400 km von der Erde entfernt finden würden, hätten sie nicht einmal zu träumen gewagt. Unverständliche Laute tönen ihnen zwischen Staub und Kratern entgegen: a e i I o u a e i I o … Leben hier etwa Menschen?

Andrew Normans Mondoper wurde 2017 in der Berliner Philharmonie uraufgeführt; ein Großprojekt, das Laien und Profis gemeinsam auf die Bühne stellte. Für unsere diesjährige opera piccola hat der amerikanische Komponist sein Werk noch einmal neu erfunden – als „Universum in der Nussschale“ könnte man sagen. Maßgeschneidert für die Blackbox der Staatsoper, die opera stabile, erleben 26 Kinder und Jugendliche aus Hamburg (aufgeteilt auf zwei Besetzungen) mit vier jungen erwachsenen Sänger*innen und elf Musiker*innen des Philharmonischen Staatsorchesters ein Abenteuer in der mondischen Ferne unserer Galaxie.

Während in den Werkstätten der Staatsoper noch fleißig an der Weltraumrakete geschraubt wird, nimmt sich Andrew Norman in New York, wo er an der Juilliard School Komposition unterrichtet, Zeit für einige Fragen aus dem quasi benachbart angesiedelten Hamburg.

Foto: Staatsoper Hamburg

Andrew, Du hast den Mond als Spielort deiner Oper ausgewählt und beginnst das Stück mit dem Raketenstart auf der Erde, der fünf Menschen ins Weltall schießt. Was verbindest du mit dem Mond?

Für mich ist der Mond ein leuchtender Ort des Wunders und der Vorstellungskraft. Er ist sowohl eine bekannte Konstante unseres Lebens wie auch ein völlig unbekannter und unbegreiflicher Anderer. Er ist der Ort unseres Strebens, er motiviert die besten und brillantesten Bestrebungen menschlicher Kollektive. Von ihm gehen sowohl magische wie echte Schwerkräfte aus, er wird definiert und beschrieben sowohl von den Wissenschaften wie dem Okkultismus. Als Symbol ist er eines der reichhaltigsten und facettenreichsten, das wir Menschen miteinander teilen.

Würdest du selbst gerne einmal zum Mond fliegen?

Ich glaube, ich überlasse die tatsächliche Mondfahrt den Profis. Ich bin ganz zufrieden damit, den Mond als fantastische Welt in meiner Vorstellung zu bewahren.

Während die vier Astronomen und der Filmemacher Georges Méliès unsere Sprache sprechen, also Deutsch (wobei das Sprechen in dieser Oper wörtlich zu nehmen ist), hast du dem Mondvolk eine eigene Sprache gegeben: Mondisch. Kannst du uns das Geheimnis dieser Sprache verraten?

Mondisch ist eine Sprache, die fast ausschließlich aus Vokalen besteht. Mondisch ist auch eine sehr tonale Sprache. Bedeutung entsteht durch die unterschiedlichen Tonfälle in einfachen melodischen Formen (auf ähnliche Art, wie in westlichen Opernrezitativen Bedeutung durch unterschiedliche Töne und harmonische Kadenzen hergestellt wird). Wo die Erdenmenschen in dieser Oper eine sehr rhythmische, kantige und perkussive Art zu sprechen pflegen, singen die Mondleute frei flottierend, wobei ihre Klänge und Phrasen sich stets erweitern und zusammenziehen, niemals gleich und sich stetig verändernd, was etwas Fundamentales über ihr Wesen als Volk aussagt. 

In den Werkstätten entsteht die Rakete für unsere Reise zum Mond. Foto: Staatsoper Hamburg

Auf dem Mond erleben wir wie Erdenmenschen und Mondwesen mit ihren unterschiedlichen Kulturen aufeinandertreffen, in Konflikt geraten und sich doch allmählich annähern – eine Parabel auf die Überwindung der Angst vor dem Fremden.?

Ja, ich glaube, das trifft vollkommen zu. Das Stück ist im Grunde eine Parabel darüber, wie man über sprachliche und kulturelle Barrieren hinweg lernt zu kommunizieren (und dadurch auch zu vertrauen und Empathie zu fühlen).

Auch hinter den Kulissen geht es in dieser Produktion um das Kennenlernen und Wertschätzen anderer Welten: Kinder treffen auf junge Erwachsene, Laien auf Profis und gemeinsam entsteht über intensive Probenwochen eine Musiktheaterproduktion. Was bedeutet eine solche Diversität an Interpret*innen für dich als Komponist? 

Für mich ist das Zusammentreffen unterschiedlicher Gruppen bei der Entstehung dieser Oper auch ihr Sinn, ihr Daseinsgrund. Es ist für mich genauso wichtig, vielleicht sogar wichtiger, wer diese Geschichte erzählt, als was darin erzählt wird. Seit die Idee zu diesem Werk entstand, standen die Fragen des Wer, und damit zusammenhängend auch Warum, im Zentrum des Prozesses. Warum macht man eine Oper mit Amateuren? Warum eine mit Kindern? Ich liebe es, über diese Fragen nachzugrübeln, und werde das auch in meinen zukünftigen Arbeiten tun.

Für das Orchester bzw. Ensemble von elf Musiker*innen hast du dich neben der recht klassischen Wahl von einem Streichquintett plus Klavier (optional auch Celesta) und Schlagwerk für vier Blechbläser – zwei Trompeten, zwei Posaunen – entschieden. Welche Klänge hattest du bei dieser Entscheidung im Kopf?

Eine Partitur für großes Orchester auf ein Kammerensemble zu reduzieren ist niemals einfach. Bei diesem Stück war es am schwierigsten, die Musik für den „Raketenstart“ zu reduzieren, der im Lauf der Oper etliche Male vorkommt. Ich befürchtete, es werde fast unmöglich sein, die Essenz dieser flammenden, schrillen, lautstarken Musik einzufangen, ohne zumindest ein paar Trompeten und Posaunen zu haben. Es stellte sich aber heraus, dass Blechblasinstrumente mit ihren vielfältigen farbgebenden und tonverändernden Dämpfern auch großartig sind, um die mysteriösen und subtilen Atmosphären des Mondes heraufzubeschwören. Die Schlagzeugabteilung ist auch ziemlich gut beschäftigt damit, die Resonanzen, Echos und läutenden Klänge der Mondwelt zu produzieren.

Foto: Staatsoper Hamburg

Die Adaption zur Kammeroper war sicherlich auch im Bereich der Chorparts nicht einfach. 

Die Reise zum Mond wurde ursprünglich für riesige Massen von Darstellenden geschrieben, darunter Hunderte von Amateur-Chorsänger*innen aller Altersgruppen und eine große Solist*innenbesetzung. Aus diesem Grund sind die Massenszenen dieser Oper wirklich ihr Herzstück, da der Kernkonflikt der Geschichte zwischen Gruppen von Menschen, nicht zwischen Individuen, besteht. Bei der Neukonzeption des Werks für eine kleinere Besetzung wollte ich dieses Gefühl eines gemeinschaftlichen Konflikts erhalten, diesen aber mit weit weniger Menschen darstellen, und dies erwies sich als recht schwierig. Ich hoffe, dass diese neue Version der Oper die Kerngeschichte – von zwei Gruppen von Menschen, die lernen, zu kommunizieren, sich zu vertrauen und zu helfen – auf eine neue, intimere Art in den Fokus rückt, indem sie eher auf die zwischenmenschlichen Interaktionen zwischen Individuen oder kleinen Gruppen abzielt.

Nachdem du den Mond nun ausgiebig erkundet hast; welches Ziel hast du für die Zukunft im Blick?

Es gibt noch so viele andere Welten zu erforschen! Ich habe keine Ahnung, was meine nächste Opernschöpfung sein wird; ich kann nur hoffen, dass sie mich so sehr erfreut und erfüllt wie die Schaffung, Neukonzeption und Neuschaffung dieser Oper!