Etwa 1600 Jahre später… (Tag 5 der Sizilienreise)
Der letzte Punkt der gestrigen Reise war der um 430 v. Chr. erbaute Tempel von Segesta. Heute findet sich die Reisegruppe rund 1600 Jahre später in der normannischen Kathedrale von Monreale wieder, 300 Meter oberhalb von Palermo gelegen.
Der Legende nach erschien dem Normannenkönig Wilhelm II die Muttergottes und nannte ihm die Stelle eines auf dem Monte Caputo verborgenen Schatzes. Er sollte den Schatz heben und dort, wo er ihn gefunden hatte, eine Kirche errichten. Es muss wohl ein großer Schatz gewesen sein, denn der Reichtum dieser Kirche ist überwältigend. Die byzantinischen Goldgrundmosaiken, die die Wände und Decken schmücken, bedecken eine Fläche von 6300 qm! In keiner anderen Kirche Italiens findet man derartig viele Wandmosaiken.
Mit Hilfe unserer Reiseführerin lernen wir in den prächtigen Mosaiken mehr zu sehen als „nur“ Kunstschätze. Es ist hochinteressant, diese Bildnisse lesen zu lernen, zu verstehen, warum die Figuren auf den einzelnen Mosaiken eben genau so und nicht anders angeordnet sind, welche Hierarchien bei der Anordnung der Heiligen befolgt werden mussten, und dass selbst die kunstvollen Bodenmosaiken wie eine Art Schachbrett dazu dienten, den in der Kirche Anwesenden das Protokoll ihrer Positionen und Bewegungen vorzugeben. Interessant auch, dass der byzantinische Gedanke noch keinen leidenden Christus kannte. Wir sehen ihn aufrecht und stark, einem direkt in die Augen blickend. Das Mosaik der Kreuzigungsszene befindet sich in einer entfernten Ecke, die einzig für den Klerus, nicht aber für die Besucher der Kirche sichtbar war.
An die Kathedrale schließt sich ein Kreuzgang an, wo wir wieder auf unzählige Säulen treffen, feine Doppelsäulen, in die orientalisch inspirierte, polychrome Mosaike eingelegt sind. Schon die romanischen Kapitelle allein sind einen Besuch wert: Hier kann man Geschichten aus der Bibel und allegorische oder einfach dekorative Figuren entdecken. Jede der Säulen ist künstlerisch anders gestaltet, wollte man jede einzelne in Ruhe betrachten, was lohnenswert wäre, müsste man Wochen in diesem Kreuzgang verbringen.
Für den Abend steht dann der zweite Opernbesuch dieser Reise auf dem Programm: Adriana Lecouvreur von Francesco Cilea im Teatro Massimo von Palermo mit Angela Gheorghiu in der Titelpartie, die wie für sie geschrieben scheint. Nach dieser hoch emotionalen Interpretation freue ich mich noch mehr auf ihre Tosca bei uns in Hamburg im März nächsten Jahres. Die gesamte Aufführung hatte hohes Niveau und die Hamburger Opernfreunde kehrten an diesem Abend glücklich und zufrieden ins Hotel zurück. Das erste, inoffizielle, Gruppenfoto vor dem Teatro Massimo kommt auch hier auf den Blog.
Übrigens hat die deutsche Erstaufführung von Adriana Lecouvreur 1903 in Hamburg stattgefunden!
Constanze Könemann