Hummel Hummel – Mors Mors: König trifft Tochter
„Lessons in Love and Violence“ – Der Titel ist selbsterklärend, aber was genau sind die Lektionen, die gelernt werden und von wem? Wir haben uns mit Evan Hughes, der an der Staatsoper die Titelpartie des Königs singt, und Ocean Barrington-Cook, die seine Tochter spielt, unterhalten und viel über das Werk und die beiden herausgefunden – Meinungsverschiedenheiten inklusive. Als Lektion nehmen wir mit: Kinder sind oft mutiger, als wir denken.
Was ist die Moral des Stücks? Was lernen die Charaktere über Liebe und Gewalt bzw. lernen sie überhaupt etwas?
Evan: Ich bin mir nicht sicher, ob der König überhaupt etwas lernt – insbesondere im Vergleich zu seinen Kindern, die Zeugen seiner Taten und seines Untergangs werden. Sein Verlangen nach Gaveston und seine zunehmende Politikverdrossenheit sorgen dafür, dass er gestürzt wird. Die Lektion bzw. Moral seiner Geschichte könnte sein, dass Liebe und Verlangen zerstörerisch sein können und letztlich dazu führen, für alles andere blind zu werden. Am Ende der Oper können wir diese brutalen Lektionen sehen, die der Sohn des Königs verinnerlicht hat.
Ocean: Es kommt auf die Perspektive an. Für das Publikum z. B. geht es um die Kraft der Verantwortung, in wie weit Kinder einen Einfluss haben und dass man immer am meisten von den Menschen lernt, zu denen man aufschaut. In dieser Geschichte wird nicht an die Kinder gedacht, bis zum Schluss. Sie sind auch nicht wirklich wichtig für den Plot, da sie nur Beobachtende sind. Trotzdem lernen sie einiges, sie sehen das Verhalten des Königs denen gegenüber, die ihm nahestehen und wie ihn dies zermürbt. Dies wirkt sich massiv auf ihren Blick auf die Liebe und zwischenmenschliche Beziehungen aus. Familiäre Auseinandersetzungen vor den Kindern auszutragen kann sehr zerstörerisch sein. Die Lehre, die meine Rolle aus all dem zieht, ist „Auge um Auge, Zahn um Zahn“. Des Weiteren lernt sie, wie zerstörerisch und schmerzhaft Liebe sein kann. Sie sieht es bei ihrem Vater, der Person, die sie am meisten liebt. Zu sehen, dass er zu Grunde geht, bricht ihr das Herz und lässt sie, denke ich, den Glauben an die Liebe verlieren.
Evan: In der Produktion ist sie zusammen mit ihrem Bruder auch permanent präsent – die Kinder stehen die ganze Zeit auf der Bühne und erleben die schlimmsten und emotionalsten Momente des Königs mit.
Was ist das Besondere an der Erzählperspektive?
Evan: Das Stück ist genial in sieben Szenen gegliedert, die jeweils Momentaufnahmen der Interaktionen der Charaktere zeigen. Das ist sowohl kompakt, als auch in sich komplex gestaltet. Jede Szene stellt eine Lektion dar…
Ocean: …und jede Szene ist so tiefgründig! Es gibt immer zwei Perspektiven: die des Publikums und die der Kinder, die alles aus verschiedenen Blickwinkeln betrachten. Dass die Kinder alles mit ansehen müssen, macht es noch einmal viel düsterer. Man sieht diese zunächst unschuldigen Kinder vom Anfang bis zum Ende und erlebt, wie sie sich innerhalb dieser kurzen Zeitspanne entwickeln. Die Entwicklung, die meine Rolle durchmacht, ist unglaublich: von dem kleinen Mädchen, das zu seinem Vater aufschaut, ihn bewundert und von allen Seiten beschützt wird, hin zu einer jungen Frau, die ihr Schicksal selbst in die Hand nimmt. In gewisser Hinsicht ist das aber auch sehr erschreckend, zu was für „Monstern“ die Kinder werden. Zudem ist es etwas gruselig, dass meine Rolle eine stumme Rolle ist und man nie weiß, ob oder was ich zu sagen hätte und denke. Deswegen ist das Ende, denke ich, auch eine ziemliche Überraschung.
Habt ihr eine Lieblingsszene?
Evan: Das ist eine schwierige Frage. Alle meine Szenen sind sehr tiefgründig und abwechslungsreich, da meine Rolle einen so starken Niedergang durchlebt. Es ist die tragischste Rolle, die ich je spielen durfte. Wenn ich mich entscheiden müsste, würde ich meine Sterbeszene wählen. Während er stirbt hat der König eine Wahnvorstellung davon, wie sein Liebhaber zu ihm kommt und ihn ermorden will. Dabei sagt er zu ihm: „Make me feel, make me alive again! Hold my body over the fire, make me alive!“ In seinen letzten Atemzügen sehnt er sich immer noch nach der Liebe – das ist wirklich unglaublich traurig.
Ocean: Das ist auf jeden Fall die emotionalste Szene; hauptsächlich natürlich für dich, aber auch für mich und meinen Bruder im Stück. Es ist einfach grauenhaft, seinen eigenen Vater sterben zu sehen. Meine Lieblingsszene ist die Endszene. Es ist erschreckend, was für ein Monster meine Rolle am Ende geworden ist, wie hasserfüllt sie auf einmal ist. Aber mich beeindruckt die Kraft und die Stärke, die sie am Ende hat – das ist das einzig Positive, wobei man das hier nicht wörtlich nehmen darf. Jeder denkt, dass sie an all dem, was sie miterlebt, zerbricht – stattdessen wird sie viel stärker. Sie wird unglaublich schnell erwachsen. Für alle Beteiligten muss es erschreckend sein, dass sie in diesem Alter schon so weit ist und sogar bereit ist, zu töten. Einfach ein grandioser Höhepunkt.
Bus oder Fahrrad?
Evan: Fahrrad! Man spürt den Wind in den Haaren, man ist stärker mit der Umgebung verbunden und hat mehr Kontrolle.
Ocean: Für mich ist es auch das Fahrrad, hauptsächlich weil es eine Art von Freiheit bedeutet. Man ist nicht an einen Fahrplan gebunden, sondern kann sich seinen eigenen Plan machen. Ich komme vom Land – dort weiß man nicht einmal ob und geschweige denn wann der Bus kommt.
Evan: Seit ich in Berlin wohne wurden mir bereits zwei Fahrräder gestohlen, das hält mich aber nicht davon ab, weiterhin mit dem Rad unterwegs zu sein – keep ridin‘! Müsste ich mich zwischen U-Bahn und Rad entscheiden, wäre die Antwort schon schwieriger gewesen. Sowohl in Berlin als auch in New York liebe ich es mit der U-Bahn zu fahren, da man dort mit allen möglichen Menschen zusammenkommt.
Ocean: Die U-Bahn in London ist furchtbar. Während der Rushhour ist es so überfüllt und ich finde mich wegen meiner Körpergröße häufig unter den Achseln anderer Leute wieder. Es ist so heiß und stickig dort. Wenn ich ein Auto hätte, wäre das meine erste Wahl.
Evan: Oh ja, also würde die Frage Fahrrad oder Auto heißen, würde ich mich auch für das Auto entscheiden, da man dort in seiner eigenen Kabine sitzt, man kann dort Musik hören, singen etc.
Ocean: …man hat einfach mehr Kontrolle.
Cornflakes oder Porridge?
Evan: Ich mag es, mit etwas Knusprigem in den Tag zu starten, daher würde ich hier Cornflakes sagen. Allerdings mag ich lieber Müsli mit Obst und ähnlichem.
Ocean: Also er liegt absolut falsch! Porridge ist super: man kann alles Mögliche hineintun. Wenn man beispielsweise Schokolade einrührt, hat man immer noch ein gesundes Frühstück. Ich kann Porridge immer essen, selbst zur Teatime. Wenn man Nüsse hineingibt, hat man auch etwas Knuspriges.
Thriller oder Romanze?
Evan: Ich würde sagen beides. Die Oper von George Benjamin und Martin Crimp ist auch eine Art romantischer Thriller, ein Psychodrama. Die Kombination von beidem ist meiner Meinung nach das aufregendste aller Genres. Eine Romanze ohne eine gewisse Gefahr kann sowieso nicht funktionieren.
Ocean: Ich stimme Evan hier vollkommen zu. Ich bin allerdings ein ziemlicher Angsthase, daher schaue ich z. B. keine gruseligen Filme, da ich mich bei allem erschrecke. Aber ich möchte auch keinen puren Kitsch sehen. Wenn ich mich entscheiden müsste, würde ich eher zur Romanze tendieren. Auch wenn man einfach abschalten möchte ist ein romantischer Film wesentlich besser geeignet.
Frage von Ocean an Evan: Was ist dein liebster Teil des Probenprozesses?
Evan: Wenn man die Möglichkeit bekommt, in einem Stück wie „Lessons in Love and Violence“ mitzuwirken, gibt es sehr viele Ebenen und Schichten, die man durchdringen muss. Alles ist sehr komplex. Es ist etwas schwierig, insbesondere bei einer Rolle wie dem König, sich vollständig einzufügen. Das spannendste ist allerdings, wenn ich und die Rolle in gewisser Weise eins werden. Erst in den letzten Bühnenproben kam es dazu, dass ich die Rolle vollständig verinnerlicht hatte. Das ist immer mein liebster Teil des Probenprozesses, wenn es quasi „Klick“ macht; dann erst habe ich auch das Gefühl, das Werk wirklich verstanden zu haben.
Frage von Evan an Ocean: Und was ist dein liebster Teil?
Ocean: Die Leute, mit denen wir zusammenarbeiten, sind großartig – allein das ist bereits eine tolle Erfahrung. Alle verstehen sich wunderbar. Bevor ich in dieser Oper mitgewirkt habe, habe ich noch nie eine Oper gesehen. Als ich in London zur Sitzprobe kam und sich alles auf einmal zusammengefügt hat, war das eine unglaubliche Erfahrung. Wenn zum Schauspiel die Musik und der Gesang hinzukommen ist es ein völlig neues Erlebnis der Geschichtserzählung und des Verstehens, es hat sofort viel mehr Kraft. Dieses Zusammenfügen hat mich umgehauen.
Evan Hughes
Der Bassbariton Evan Hughes stammt aus Kalifornien und studierte u. a. am Curtis Institute of Music in Philadelphia. Er war Stipendiat des Lindemann Young Artist Development Program der Metropolitan Opera. In George Benjamins und Martin Crimps Oper „Written on Skin“ verkörperte er die Partie des Protectors. Weitere wichtige Rollen sind Figaro („Le nozze di Figaro“), Leporello und Masetto („Don Giovanni“), Guglielmo und Don Alfonso („Così fan tutte“), Zoroastro („Orlando“), Achilla („Giulio Cesare“), Schaunard („La Bohème“), Angelotti („Tosca“), Emma Becker („Nachtausgabe“) und Narbal („Les Troyens“).
Ocean Barrington-Cook
Die Schauspielerin Ocean Barrington-Cook stammt aus Lincolnshire und schloss ihr Schauspielstudium an der Guildford School of Acting 2017 mit Auszeichnung ab. Sie war bereits am Royal Opera House Covent Garden, an der Nederlandse Opera und dem Berkley Castle zu sehen, arbeitete mit Regisseurinnen und Regisseuren wie Jaq Bessell, Robyn Winfield-Smith und Tam Williams zusammen und übernahm Partien in Stücken wie „Somnai“, „The Rimers of Eldritch“, „A Midsummer Night’s Dream“ und „Macbeth“.