Hummel Hummel – Mors Mors: Opernstudio trifft Regie
Waren wir Menschen einmal Seeigel und werden wir wieder zu Seeigeln? Das jedenfalls suggeriert die Theorie des Wissenschaftlers im Stück „Die Nacht der Seeigel“. Aber was zeichnet die Seeigel eigentlich aus? Sollten wir Menschen uns ein Beispiel an den kleinen Stacheltieren nehmen? Regisseurin Luise Kautz und Tenor Hiroshi Amako helfen uns im Interview auf die Sprünge.
Welche Themen nimmt das Stück unter die Lupe?
Luise: Das übergreifende Thema ist das der Verschmelzung, dem wir uns aus unterschiedlichen Perspektiven annähern. Im Stück gibt es drei Figuren, die jeweils ihre eigene Auseinandersetzung mit dem Thema mitbringen: ein junger Mann, dessen Frau schwanger ist und der vor der vermeintlichen „Verschmelzung“ einer Familie flieht; eine junge schwangere Frau, die sich in einem Zustand der Verschmelzung mit ihrem Kind befindet und diese Verschmelzung nicht auflösen will und ein Wissenschaftler, der einem prägenden Ereignis beigewohnt hat, wo eine tatsächliche Verschmelzung stattgefunden hat.
Hiroshi: Aus der Sicht des Publikums ist es spannend, zu erleben, dass die drei Figuren auf eine bestimmte Art und Weise zusammenhängen, man allerdings nicht genau weiß wie. Wenn dann alle zusammenkommen und sich letztlich auflöst, wie die drei miteinander in Verbindung stehen, ist das ein Schlüsselmoment – auf der einen Seite befriedigend und auf der anderen aber doch auch immer noch verwirrend. Die Entwicklung, die die Charaktere im Stück durchleben, ist auch sehr interessant: Das Aufeinandertreffen stärkt sie und gibt ihnen ein Gefühl der Sicherheit.
Der Seeigel ist bei euch Sinnbild der Verschmelzung. Gibt es Gemeinsamkeiten zwischen Mensch und Seeigel?
Luise: Es gibt die Theorie des Wissenschaftlers, dass die Menschen vor ihrer Geburt Seeigel waren und auch wieder zu Seeigeln werden. Was uns an diesem Tier im Zusammenhang mit dem Thema der Verschmelzung interessiert hat, war, dass der Seeigel an sich völlig autark leben kann. Dadurch ist er eine totale Einheit – er bedarf nichts anderem, um ganz zu sein. Der Wissenschaftler hat allerdings erlebt, wie sich diese Tiere, obwohl sie eben eigentlich gar keine Gesellschaft zum Überleben brauchen, in einer Höhle zusammentun und dort zu einem Ball verschmelzen. Daraus entwickelt er nun seine im weitesten Sinne philosophische These: Der Seeigel kann die Menschen lehren, dass es so etwas wie Einheit, wie wir sie gemeinhin interpretieren, nicht gibt und alles, was uns als Einheit erscheint, in Wirklichkeit aus vielen Einzelteilen besteht. Auch man selbst ist nicht ein Ende in sich und muss dementsprechend keine Angst vor Unbekanntem und potenziellen Verschmelzungen haben. Dieses Nicht-Eins-Sein ist die Grundthese des Werkes.
Hiroshi: Ganz genau – es geht um das Verhalten der Seeigel, die Tatsache, dass sie grundsätzlich niemanden brauchen um zu bestehen. Trotzdem finden sie sich jedoch zusammen und keiner kann genau enträtseln warum. Genau das kann man auf ein menschliches Verhalten übertragen – an manchen Punkten im Leben sind die Menschen, ungewollt oder gewollt, auf sich allein gestellt. Allerdings treten wir alle früher oder später in Kontakt mit anderen Personen, auch wenn man womöglich gar kein Verlangen danach spürt oder sich sogar gegen den Drang wehrt. In dem Stück kann man das beobachten, wenn sich die drei Personen trotz ihrer zeitlichen, örtlichen und mentalen Distanz treffen. Alle Barrieren zwischen ihnen verschwinden und sie erkennen, dass sie einander eben doch brauchen.
Ihr arbeitet mit vielen Künstlerinnen und Künstlern zusammen – was kennzeichnet den Arbeitsprozess und was nehmt ihr aus der Zusammenarbeit mit?
Hiroshi: Ich bin erst seit 2018 Mitglied des Opernstudios der Staatsoper und dies ist das erste Mal, dass ich bei dem Entstehungsprozess eines Werkes von Anfang an mit dabei bin. Normalerweise ist zumindest das Stück (längst) geschrieben und lediglich die Inszenierung ist mitunter neu. Der Entstehungsprozess der „Seeigel“-Produktion war sehr interessant und wir haben alle sehr gut zusammengearbeitet. Ich bin sehr glücklich darüber, dass auch ich kleinere Aspekte und Denkanstöße einbringen konnte. Seit dem ersten Tag hat es sich alles stetig weiterentwickelt. Es ist eine völlig neue Erfahrung, einem Prozess beizuwohnen, der völlig neu entsteht und zu dem jede und jeder etwas beitragen kann. Sehr aufregend!
Luise: Für uns als Team ist es maßgeblich aufgrund zweier Aspekte besonders und anders als sonst. Zum einen haben wir vor zwei bis drei Jahren zum ersten Mal über das Stück nachgedacht und die Idee entwickelt. Für mich ist es zudem das erste Mal, dass ich an etwas arbeite, das ich selbst mitverfasst habe. Es ist spannend, zu sehen, wie diese Idee nun Gestalt annimmt. Wir haben durch das „Akademie Musiktheater heute“-Projekt die ungewöhnliche Situation, dass manche Positionen doppelt oder dreifach besetzt sind – ich führe zum Beispiel zusammen mit Martin Mutschler Regie, was sehr gut funktioniert, wenn auch natürlich manchmal herausfordernd sein kann. Wir versuchen, die individuell unterschiedlichen Fertigkeiten einzubringen, die dem Projekt zugutekommen. Bei der Arbeit an der Staatsoper gefällt mir insbesondere, dass wir durch das Opernstudio mit Hiroshi einen jungen Darsteller, mit Na’ama eine junge Darstellerin und mit Gabriele aus dem Ensemble eine erfahrene Darstellerin haben. Das bringt einen schönen energetisch-organischen Fluss in die Arbeit. Wir hatten bisher eine sehr schöne und erfolgreiche Probenzeit und ich freue mich auf die Endproben!
Fisch oder Fleisch?
Hiroshi: Schwierig. Man braucht beides für eine ausgewogene Ernährung. Wenn Fisch allerdings gut zubereitet wurde, schlägt er jedes Fleisch. In Japan, wo ich herkomme, hat man eine riesige Auswahl an Fisch und man erlebt, wie vorzüglich Fisch schmecken kann. Als ich nach Großbritannien gezogen bin, war ich überrascht, wie wenig Fisch – abgesehen von Fish and Chips – gegessen wird, obwohl das Land eine Insel ist. Hier in Hamburg ist die Fischauswahl erfreulicherweise recht groß. Ich liebe einfach frischen Fisch. Seeigel ist als Sushi übrigens sehr gut, wenn auch recht teuer.
Luise: Ich kann mich nicht richtig entscheiden – für mich ist es immer eine Frage der Stimmung.
Ozean oder Swimmingpool?
Hiroshi: Ich habe nie nah am Meer gelebt, aber ich liebe das Wasser. Es macht einfach Spaß, im Meer zu sein, obwohl schwimmen dort wesentlich schwieriger ist. Wenn man weit rausschwimmt und den Grund nicht mehr sehen kann, kann es auch sehr furchteinflößend sein. In Süd-Spanien habe ich mit Freunden zweimal einen Rettungsschwimmer begleitet, der in seiner Mittagspause zu einer Insel schwamm. Man konnte genau sehen, wo das Meer auf einmal extrem tief wurde und man nicht mehr wusste, was unter einem ist. Aufgrund der Sicherheit würde ich hier also zum Pool tendieren.
Luise: Ich halte mich sehr gerne am Meer auf, aber ich schwimme lieber im Pool, da ich nicht die beste Schwimmerin bin und ich es wie Hiroshi auch unheimlich finde, weit draußen im Meer zu sein. Ich kann mich dabei nicht wirklich entspannen.
Tag oder Nacht?
Hiroshi: Tag, insbesondere wenn gutes Wetter ist.
Luise: Ich sage einfach mal Nacht. Man kann in der Nacht mehr Dinge tun ohne ein schlechtes Gewissen zu haben.
Luise an Hiroshi: Was ist dein Lieblings „Harry Potter“-Charakter und warum?
Hiroshi: Ich bin nicht der größte „Harry Potter“-Fan; aber ich habe die ersten vier Filme gesehen und anschließend die letzten drei Bücher gelesen. Besonders in den Filmen hat mir Professor McGonagall gut gefallen – von ihrem gesamten Habitus her und ihrer Fähigkeit, sich in eine Katze zu verwandeln.
Hiroshi an Luise: Was hat dich dazu gebracht, Regisseurin zu werden?
Luise: Da gab es nicht den Moment; es war eher ein stetiger Prozess während meines Studiums in Bayreuth, bei dem ich viel Kontakt mit Werken von Wagner hatte. Bei meiner zweiten Hospitation in Berlin habe ich dann gemerkt, dass Regie führen – so platt das klingen mag – für mich die bestmögliche künstlerische Möglichkeit ist, mich auszudrücken. Die Kombination von Stimme und Musik ist meiner Meinung nach die mächtigste aller Kunstformen. Ich finde es faszinierend, wenn aus Singen und Schauspielen etwas völlig neues entsteht.
Luise Kautz
Luise Kautz studierte Musiktheaterregie an der Hochschule für Musik und Theater Hamburg sowie Theater- und Medienwissenschaft an der Universität Bayreuth und der Freien Universität Berlin. Sie hospitierte bei Regisseuren wie Nicholas Hytner und Stefan Herheim. Zu wichtigen Regiearbeiten zählen „Die Entführung aus dem Serail“, „Belshazzar“, „Der Schauspieldirektor“, „Pelléas et Mélisande“ und „Rusalka“. 2016 wurde sie mit dem Berenberg Kulturpreis ausgezeichnet, 2017 war sie Semifinalistin des Ring Award.
Hiroshi Amako
Der Tenor stammt aus Japan und studierte am Trinity College der University of Cambridge sowie an der Royal Academy of Music in London unter Ryland Davies. Seit der Spielzeit 2018/19 ist er Mitglied des Internationalen Opernstudios der Staatsoper Hamburg und sang in Opern wie „La Bohème“, „Die Zauberflöte“, „Un Ballo in Maschera“ und „Manon Lescaut“. In der nächsten Spielzeit wird Hiroshi Amako u. a. in den Produktionen „Die Nase“, „IchundIch“ und „Nabucco“ zu sehen sein.