Hummel Hummel – Mors Mors: Countertenor trifft Dramaturgin
In dieser Ausgabe von „Hummel Hummel – Mors Mors“ haben wir mit Janina Zell, Dramaturgin an der Staatsoper Hamburg und Bejun Mehta, Countertenor der zurzeit als Gast in „Stilles Meer“ zu erleben ist, gesprochen.
Ihr euch intensiv mit Japan, der Kultur des Landes und natürlich mit der Katastrophe von Fukushima auseinandergesetzt. Was konntet ihr für euch mitnehmen?
Janina Zell: Für mich war die Zusammenarbeit mit dem Produktionsteam besonders. Da das komplette Team aus Japan kommt, lief die gesamte Kommunikation über eine Dolmetscherin – anders als gewohnt, aber eine tolle Erfahrung. Durch die intensive Arbeit mit dem Team hat man einen Einblick in die japanische Kultur gewinnen können und eine neue Sicht auf die Ereignisse und Folgen von Fukushima. Die Katastrophe aus erster Hand und mit persönlichen Eindrücken geschildert zu bekommen, ist nicht vergleichbar mit den Informationen aus der Presse.
Bejun Mehta: Man hat viel über die Katastrophe gehört, gesehen und gelesen. Mittlerweile liest man im Westen nichts mehr über Fukushima. Aber die Folgen, welche die Menschen dort zu tragen haben, bestehen nach wie vor. Durch diese Produktion habe ich erfahren, dass es eine neue „Klasse“ von Menschen gibt. Das sind jene Menschen, die Ihre Häuser in der gefährlichen Zone hatten und immer noch haben. Denn sie wollen Ihre Häuser trotz des hohen Risikos nicht verlassen. In der japanischen Sprache gibt es für diese Gruppe von Menschen neue Wörter bzw. Bezeichnungen. Es sind nicht nur die betroffenen Gebiete, es ist die gesamte japanische Kultur, die von dieser Katastrophe nach wie vor betroffen ist.
Welchen Berufswunsch hattest Du als Kind?
Janina: Mein erster Berufswunsch war Journalistin, bis ich ein extrem langweiliges Praktikum bei einer kleinen Zeitung absolviert habe. Danach ist der Wunsch eingeschlafen und mein Engagement im Bereich Gesang wurde größer und größer. Ich habe in Chören gesungen, in Bands, habe Unterricht genommen und bin darüber in die Klassik eingestiegen. Es war der Vorschlag meiner damaligen Lehrerin, Gesang zu studieren. Der Versuch war es mir wert und als es mit der Aufnahmeprüfung geklappt hat, war ich Feuer und Flamme und überzeugt davon den richtigen Weg eingeschlagen zu haben. Die Ernüchterung kam mit der Erkenntnis, dass die Kreativität und die Leidenschaft unter dem hohen Leistungsdruck leiden. Das stimmte für mich nicht überein und ich entschied mich, neben dem Gesangsstudium für ein zweites Standbein: Musikwissenschaften. Über erste Hospitanzen am Theater habe ich dann den Weg in die Dramaturgie gefunden.
Bejun: In meiner Kindheit gab es keinen konkreten Berufswunsch. Ich stamme aus einer musikalischen Familie und war fünf Jahre alt, als ich zum ersten Mal auf einer Bühne stand. Es ist nicht so, dass ich gedrängt wurde, Musiker zu werden und ich habe im Lauf der Zeit auch viele andere Dinge gemacht. Da ich aber immer mit der Musik beschäftigt war, bestand nie der Wunsch Feuerwehrmann oder Pilot zu werden. Erst als durch meinen Stimmbruch meine Sopranstimme verloren gegangen ist, habe ich angefangen viele andere Dinge auszuprobieren: dazu gehörte Cello zu spielen, als Tonmeister zu arbeiten, meine eigene Firma in New York zu gründen und vieles mehr. Nach meiner Uni-Zeit wollte ich dann aber endgültig wissen, ob ich eine Stimme habe oder nicht. Das galt es herauszufinden und so fand ich meinen Weg.
Wie unterscheidet sich der Probenprozess einer Neuinszenierung von dem einer Uraufführung?
Janina: Bei einem Stück, das oft inszeniert wurde und dessen Ursprünge Jahrhunderte zurück liegen, hat man eine große Historie aufzuarbeiten und setzt sich natürlich auch mit bestehenden Interpretationen auseinander, mit dem Ziel eine neue Interpretation zu finden, die wiederum auf verschiedene Inspirationsquellen zurückgeht. Trotz intensiver Recherche bleibt oft offen, aus welchem Beweggrund ein Komponist etwas genauso geschrieben hat oder ein Librettist den Stoff einer Romanvorlage in bestimmten Punkten verändert hat. Bei dieser Uraufführung hatten wir den Autor des Originaltextbuchs, der gleichzeitig der Regisseur ist und den Komponisten vor Ort. Man konnte alles hinterfragen, erklärt bekommen und im Zweifel sogar noch abändern bzw. weiterentwickeln. Das ist ein viel lebendigerer Prozess und mehr am Puls unserer Zeit, im Vergleich zur Neuinterpretation eines älteren Werks, bei der das ein oder andere Fragezeichen vielleicht bestehen bleibt.
Bejun: Mein Prozess begann vor zwei Jahren mit dem Libretto. Die erste Fassung mit der wir arbeiteten, unterschied sich in vielen Teilen von der jetzigen Bühnenfassung. Die Handlung ist geblieben, aber wie man durch die Handlung kommt, hat sich in einem stetigen Prozess verändert. In dieser Oper waren die Partituren zu Anfang noch formbar. Die Probephase hier im Haus war genau das. In einem gemeinsamen Prozess wurde die Bühnenfassung des Werks erarbeitet. Das machte es für mich zu einem sehr spannenden Arbeitsprozess.
Frankreich oder Italien?
Janina: Für mich eine sehr schwierige Frage! Ich liebe beide Länder! Als Kind habe ich in Italien gewohnt und in Frankreich wohnen Freunde, die ich jedes Jahr besuche.
Bejun: Frankreich! Das Essen, der Käse, der Wein und eine Opernkultur die funktioniert. Die Entscheidung zwischen Paris und dem Süden Frankreichs kann ich aber nicht mehr fällen.
Elbe oder Alster?
Janina: Die Alster! Da wohne ich. Mein Arbeitsweg führt jeden Morgen an der Außenalster entlang und ich mag es, wie die schlafenden Enten plötzlich aufschrecken, wenn man auf dem Nachhauseweg vorbeifährt.
Bejun: Ich bin hier zu Gast und kenne bisher fast nur die Oper. Der Nähe zur Oper geschuldet sage ich: die Alster. Meine neugewonnenen Zeit nach der Premiere werde ich hoffentlich auch für einen Elb-Spaziergang nutzen können.
Frage von Janina Zell an Bejun Mehta: „Ich bin wirklich fasziniert von deiner Gesangstechnik und Musikalität und frage mich; wie hast du das gelernt?“
Bejun: Die Antwort auf diese Frage würde den Rahmen dieses Formats vermutlich sprengen. Es hängt auf jeden Fall stark mit der Musikalität meiner Familie zusammen. Mein Vater brachte mir bei, die Musik auseinander zu nehmen, zu studieren und zu interpretieren. Daraus entstand ein natürliches Verständnis von Musik. Außerdem arbeite ich wahnsinnig viel an, und mit mir selbst. Es ist meine Absicht und stets mein Ziel, dass alles am Ende ein Gesamtkunstwerk ist.
Frage von Bejun Mehta an Janina Zell: „Wie gehst du damit um, wenn die erwünschte Thematik vom Produktionsteam nicht ganz das widerspiegelt, was eigentlich auf der Bühne passieren soll?“
Janina: Als Dramaturgin benötigt es immer die persönliche Verbindung zum Team. Wenn das Vertrauen am Anfang nicht aufgebaut wird, ist man ganz schnell in der Opposition und aus dieser Position heraus ist es schwierig Änderungen zu erwirken. Ich versuche immer das gemeinsame Ziel im Auge zu behalten. Natürlich gibt es im Probenprozess auch Änderungen oder Weiterentwicklungen des Konzepts. Im Optimalfall sitzt man nach den Proben noch gemütlich zusammen mit dem Team und bespricht die möglichen Abweichungen der Bühnenumsetzung vom Konzept bei einem Feierabendbier.
Kurzbiografie Janina Zell:
Janina Zell, geboren 1988 in Ehringshausen, studierte Gesang sowie Musikwissenschaft mit der Studienrichtung Konzert- und Musiktheaterdramaturgie u. a. bei Nobert Abels an der Folkwang Universität der Künste Essen. Für ihre Masterarbeit über die Inszenierung von Richard Wagners „Der Ring des Nibelungen“ am Aalto-Theater Essen bekam sie 2014 den Folkwang Preis verliehen und wurde im selben Jahr als Stipendiatin der Akademie „Musiktheater heute“ aufgenommen. Erste berufliche Erfahrungen sammelte sie beim Klavier-Festival Ruhr, dem Konzerthaus Dortmund und der Oper Frankfurt. Von 2013 bis 2015 wirkte Janina Zell als Dramaturgin für Oper, Ballett und Konzert am Aalto-Theater Essen und verantwortete u. a. die Dramaturgie der Musiktheater-Produktionen „Into the Little Hill“ von George Benjamin sowie „Le Grand Macabre“ von György Ligeti. Seit der Saison 2015/16 ist sie als Dramaturgin für die Staatsoper und das Philharmonische Staatsorchester Hamburg tätig.
Kurzbiografie Bejun Mehta:
Bejun Mehta ist regelmäßiger Gast an allen führenden Opern-und Konzerthäusern der Welt. Zu den Höhepunkten der Spielzeit 2015/16 zählen dabei u.a. die Uraufführung des Werkes „Dream of the Song“ von George Benjamin im Concertgebouw Amsterdam, das dem Countertenor auf den Leib komponiert wurde sowie Solokonzerte mit der Akademie für Alte Musik in Berlin, Madrid und Mannheim, die den Abschluss der europaweiten Che puro ciel CD-tournee bilden. Zudem wird Bejun Mehta zusammen mit La Nuova Musica in der Wigmore Hall ein neues Programm, „Mi palpita il cor“, mit Solokantaten vorstellen. Des Weiteren interpretiert er den Orfeo in Glucks „Orfeo ed Euridice“ an der Berliner Staatsoper (Daniel Barenboim), und die Titelrolle von Händels „Orlando“ am Opernhaus Zürich (William Christie). Bei den Salzburger Festspielen wird er Cyrus in „Belshazzar“ (Ottavio Dantone) und einen Solo-Arienabend im Haus für Mozart singen.
Seine vielfältige und mit zahlreichen Preisen ausgezeichnete Diskographie umfasst u.a. seine bei Harmonia Mundi erschienene CD Che puro ciel unter der musikalischen Leitung von René Jacobs, die mit dem Diamant d’Opera Magazine und dem Choc de Classica ausgezeichnet und für den Gramophone Award 2014 nominiert wurde sowie eine CD mit englischen Liedern, Down by the Salley Gardens, Harmonia Mundi. Seine Händel-Aufnahme „Ombra Cara“ unter der Leitung von René Jacobs, wurde 2011 mit dem Echo Klassik als „Operneinspielung des Jahres“ prämiert. Bei der Deutschen Grammophon ist kürzlich eine Gesamteinspielung von Händels Orlando mit Bejun Mehta in der Titelrolle erschienen. Außerdem auf CD und DVD erhältlich: George Benjamins Written on Skin (Nimbus CD–BBC Magazine 2014 Premiere Recording of the Year; Opus Arte DVD–2013 Royal Opera House, 2014 Gramophone Award-Contemporary, 2014 Diapason D’Or, 2014 Edison Klassiek).