Julia Lezhneva Alcina

Im Gespräch mit: Julia Lezhneva

Julia Lezhneva ist nach ihrem Debüt an der Hamburgischen Staatsoper 2018 als Morgana in Händels „Alcina“ erneut auf der Hamburger Opernbühne zu erleben. Im Interview verrät sie, wie sehr die Barockmusik sie geprägt hat und was sie an der Figur der Morgana besonders fasziniert.

Die Oper spielt auf der Zauberinsel Alcinas. Morgana, ihre Schwester, heißt die als Mann verkleidete Bradamante auf der Insel willkommen und verliebt sich auf den ersten Blick in sie/ihn. Wie würden Sie Morgana charakterisieren? Ist sie mehr als die verliebte, naive Schwester?

Julia Lezhneva: Morgana ist jung und unerfahren, aber nicht dumm. Alcina ist ihre Bezugsperson auf der Insel und hat einen großen Einfluss auf sie, der allerdings im Laufe der Oper schwindet. Sie lernt auch Zaubersprüche von ihrer Schwester, die sie bei Bradamante versucht anzuwenden. Dabei vergisst sie völlig ihre aktuelle Inselliebe Oronte.

Welches ist Ihre Lieblingsarie der Morgana?

Ihre Arie „Credete al mio dolore“ im dritten Akt ist eine der berührendsten Arien, die Händel je geschrieben hat. Nach der erlebten Enttäuschung fleht sie in der Arie um Orontes Liebe und Vergebung. Morgana ist in diesem Moment sehr zerbrechlich und einsam, aber vor allem aufrichtig. Der Augenblick steht nicht mehr unter dem negativen Einfluss von Magie. Händel stellt der Gesangsstimme hier ein tröstendes, solistisches Streichinstrument an die Seite. Die Klängebeider Stimmen umspielen sich gegenseitig auf wunderbare Weise.

Julia Lezhneva Alcina

Julia Lezhneva in „Alcina“ (Foto: Hans Jörg Michel)

Christof Loy kreiert in seiner Inszenierung (2002) zwei Welten: Die Traumwelt der Zauberin Alcina, in der getanzt und sinnlich geliebt wird, sowie die reale Wirklichkeit, die immer dominanter wird. Diesen Gegensatz symbolisieren bereits die teils pastellfarbenen Barockkostüme des Inselvolkes gegenüber dem Militärlook der gestrandeten Bradamante. Würde Morgana gerne in der Zauberscheinwelt Alcinas bleiben?

Wir erleben Morgana schon zu Beginn der Oper als neugierige und lebenshungrige junge Frau. Sie kennt jedoch nichts anderes als die Zauberinsel. Bradamante bringt Abwechslung in ihre Welt und inspiriert sie. Der Einbruch der realen Welt ist wie ein Weckruf für Morgana, der dazu führt, dass sie sich nach einer Veränderung sehnt. Mir macht es großen Spaß, die Entwicklung dieser Figur in der Inszenierung von Christof Loy an der Seite meiner tollen Kollegen und Kolleginnen darzustellen.

Welches Ende würden Sie sich für die Figur der Morgana wünschen?

Morgana hat die Transformation ihrer Schwester miterlebt und selbst genügend darunter gelitten. Sie wählt einen anderen Weg, den Weg der Wahrheit, den ich ihr von Herzen wünsche.

Ihr zweites Soloalbum widmen Sie ganz und gar Händel. Der Fokus liegt auf seiner Kompositionstätigkeit in Italien, d. h. es erklingen sowohl Oratorien als auch Bühnenwerke, wie Rodrigo. Welche Rolle spielt die Barockmusik in Ihrer Sängerinnenlaufbahn? 

Barockmusik ist ein riesiger Teil meines Lebens. Ich bin ein Fan seit ich 11 Jahre alt bin und werde dieser Musik immer treu verbunden bleiben. Es freut mich, dass ich durch den Gesang meine Liebe zu dieser Musik ausdrücken kann.

Julia Lezhneva Alcina

Julia Lezhneva in „Alcina“ (Foto: Hans Jörg Michel)

Zuletzt standen sie in Hamburg als Rosina in „Il Barbiere di Siviglia“ auf der Bühne bei den Italienischen Opernwochen 2019. Die Mezzosopranistin Elena Obraztsova sagte zu Ihnen, als sie erfolgreich an ihrem Wettbewerb teilnahmen: „Du bist eine Rossini-Stimme“.

Elena Obraztsova hat mich im Alter von 16 Jahren Vivaldis „Agitata da due venti“ singen hören. Sie kam auf mich zu und sagte, ich solle auf jeden Fall Rossini-Arien lernen. Sie erzählte mir, dass sie selbst immer Rossini singen wollte, aber ihre Stimme eine andere Richtung, einen anderen Stil, eingeschlagen habe. Seitdem hat sie mich immer unterstützt und in all meinen Vorhaben ermutigt. Sie hatte immer Vertrauen in mich und dafür bin ich dankbar.

Der Beruf der Sängerin…

…bereitet mir eine große Freude. Deine Stimme ist selbstständig, in der Form, dass sie ihren eigenen Geschmack hat und ihre individuelle Richtung einschlägt. Es kann sehr aufregend sein, die Vorlieben der eigenen Stimme zu entdecken und dabei sich selbst sowie die stimmlichen Möglichkeiten weiterzuentwickeln.

 


 

Julia Lezhneva Alcina

Foto: Ksenia Zasetskaya

Julia Lezhneva
Julia Lezhneva absolvierte ihre Gesangs- und Klavierstudien am Moskauer Konservatorium. 2009 wurde sie mit dem ersten Preis des Pariser Opernwettbewerbs ausgezeichnet und war damit die jüngste Wettbewebsgewinnerin seiner Geschichte. Die Opernwelt zeichnete sie mit dem Titel „Nachwuchskünstlerin des Jahres 2011“ aus. Darüber hinaus war sie in drei aufeinanderfolgenden Saisons als Asteria in Händels „Temerlano“ bei den Salzburger Festspielen zu erleben, an der Seite von Plácido Domingo und Bejun Mehta. Ihr umjubeltes Debüt an der Staatsoper Hamburg feierte sie im September 2018 als Morgana in „Alcina“. Regelmäßig gibt Julia Lezhneva mit verschiedenen Ensembles Konzerte und tritt dabei u. a. in Paris, Wien, Madrid, Moskau, Amsterdam, Berlin, München auf. In der Saison 2020/21 wird sie in der Neuproduktion von Händels „Agrippina“ nach Hamburg zurückkehren.

 

Interview: Andrea Zeh (aus dem Journal #3 der Saison 2019/20)