Im Gespräch mit: „Ring & Wrestling“-Macher Dominik Günther und Leo Schmidthals
Das „Hafenklang“ an der Großen Elbstraße ist eine gute Adresse für alle Fans von Metal bis Punk. Seit Jahren findet dort im Sommer eine legendäre Veranstaltung statt, die sich „Rock & Wrestling“ nennt und mit der der Regisseur von „Ring & Wrestling“ einiges zu tun hat. Unser Leitender Dramaturg Johannes Blum traf sich zum Interview mit den beiden Machern der operanovela „Ring & Wrestling“ Dominik Günther (Regie) und Leo Schmidthals (Musik)
Dominik Günther: „Rock and Wrestling“ ist die bunteste, kreativste, energetischste und aufregendste Veranstaltung des Jahres in Hamburg und existiert seit über 15 Jahren. Sie ist entstanden in einer kleinen Kneipe in St. Pauli, dem „Komet“. Eine Handvoll Menschen, alle große Fans des amerikanischen und mexikanischen Wrestlings, haben sich gedacht, wir können und wollen das auch selber machen. Diese Veranstaltung wird von Jahr zu Jahr größer und bekannter. Die Wrestler sind ein Querschnitt der St. Paulianer Bevölkerung: Kneipenbesitzer, Kreative, Schauspieler, Lehrer und Musiker, die sich jedes Jahr einmal zusammenfinden, um ihre Begeisterung für Wrestling zu zelebrieren. Die Wrestler entwickelten mit der Zeit eigene Figuren, da gibt’s Pinkzilla, The One and Only, Don Shrimp, Kommander Kernschmelze, Looney Lobster, die auch alle in der opera stabile auftreten werden.
Das sind ja keine Profi-Wrestler. Was ist dieses professionelle Wrestling eigentlich, mehr Show als Sport?
Dominik Günther: Das Besondere beim Wrestling ist das Mythische: es geht um Sein und Schein, Gut und Böse, Betrug und Verrat – viele Elemente der griechischen Tragödie tauchen da auf. Wrestling ist eine formalisierte Darstellung von Gewalt, in deren Verlauf Konflikte in einem choreografierten Kampf entschieden oder geschlichtet werden. Ganz wichtig bei „Rock and Wrestling“ ist die Tatsache, dass Hamburger Stadtpolitik immer mit reinspielt. Konflikte, die real in Hamburg existieren, werden in der symbolisierten Sprache des Wrestling ausgetragen, auch das eine große Ähnlichkeit zur antiken Athener Stadtpolitik.
Welche Konflikte sind das?
Dominik Günther: Ein wirklich aktuelles und viel diskutiertes Thema ist die Gentrifizierung in einzelnen Vierteln der Stadt, die Problematik von Arm und Reich, Protestkultur etc. Um diese Konflikte theatralisch-sportlich auszutragen, steigen eben ganz normale Menschen aus den unterschiedlichsten Berufen in eine selbstgeschaffene Figur ein. Don Shrimp ist zum Beispiel ein professioneller Wrestling-Manager, der neue Kämpfer kauft, Geschäftspartner besticht und Kämpfe manipuliert, um Geld zu machen.
Im amerikanischen Profi-Wrestling ist das, was du gerade beschrieben hast, Realität.
Dominik Günther: Genau. Dort werden Figuren kreiert, die kommerziell aktiv sind und als solche genutzt werden. Das Besondere bei unserer Veranstaltung ist, dass das Publikum Teil des Geschehenswird, indem der Zuschauer einer Figur ihre Eigenschaften oder ihren „Charakter“ abnimmt und ihr glaubt. Als Zuschauer arbeitet man sich quasi an einer Figur ab, die auch eine böse Figur sein kann: wenn man gegen das Böse ist, buht man diese Figur aus, oder wenn man gerade für das Böse ist, applaudiert man. Der Zuschauer stützt so die Show und macht Stimmung, ohne die ein Kampf nicht stattfinden kann oder kein großer Kampf wird. Die Zuschauer entledigen sich ihrer Emotionen, die in ihnen schlum-
mern, im Rahmen einer inszenierten rituellen Handlung. Da ist Stimmung im Saal, wenn Wrestling-Figuren und Zuschauer in einen Dialog treten: die Zuschauer beziehen gespielte Positionen zu gespielten Charakteren.
Um jetzt auf „Ring & Wrestling“ zu kommen …
Dominik Günther: Es lag nun nahe, den Ring des Nibelungen von Wagner auf diese Folie draufzulegen. Vor 3000 Jahren ist Walhall abgebrannt, die Götter haben ihre Macht verspielt. Seither fühlen sie sich nutzlos, haben keine Aufgabe mehr in der Welt, es gibt auch keine Helden mehr. Die Götter spinnen auch keine Intrigen mehr und beklagen ihr langweiliges Schicksal. In diese triste Stimmung hinein tritt Nik Neanderthal auf, er singt eine Hymne, die die Richtung weist und Wrestling-Kämpfe ankündigt. Die Götter schauen sich diese Kämpfe an und kommen auf die Idee, dass einzelne Kämpfer für ihre Zwecke zu instrumentalisieren sind. Sie suchen einen geeigneten Helden, der Probleme löst und für sie Kämpfe gewinnt. Ziel ist es, sie aus ihrer Lethargie rauszuholen, damit sie wieder Macht erlangen und sich, als abgeschaffte Götter, einen Lebensinhalt neu erschaffen.
Sie glauben es aber nicht wirklich, dass das funktionieren wird.
Dominik Günther: Klar, aber das Spiel ist, dass sie glauben, dass das so einfach ist: einen Helden losschicken, der andere umbringt. Das klappt ja schon bei Wagner nicht. Siegfried ist die große Hoffnung Wotans und der Götterfamilie, aber der gerät ja auch in eine Intrigenfalle, begibt sich auf die Gegenseite und stirbt. Zwischen den beiden Welten gibt es viele Parallelen: Wotan und Don Shrimp in ihrem Wahn nach Macht agieren sehr ähnlich. Aber auch für „negative“ Figuren entwickelt man Sympathien und fiebert mit ihnen mit. Die „Ring“-Familie möchte ja die Unterstützung des Publikums haben, wenn ein neuer Held „gekiest“ werden soll, aber vielleicht geht ein Kämpfer in den Ring, der den Helden, der für die Familie kämpft, umhaut. Dann verliert die Familie die Gunst des Publikums. Das Publikum wird sich lautstark äußern, was gefällt oder missfällt. Es hat die Möglichkeit, Position zu beziehen. In jeder der 5 Folgen steht ein Held im Mittelpunkt, d. h. in jeder Folge geht’s um eine andere Instanz der Weltrettung: einmal ist es der Straßen-Einzelkämpfer The One and Only, dann der Drache Pinkzilla, dann Kommander Kernschmelze, der die Rettung durch Atomenergie repräsentiert, dann Trump oder Putin als politische Autokraten oder schließlich die Rettung der Welt durch Kunst in Form der Elbphilharmonie.
Leo Schmidthals: Die Kunst; die uns erlöst. Hat sich schon Wagner erhofft. Oder Jonathan Meese. Und Joseph Beuys.
Dominik Günther: Mir ist kein Format bekannt, wo die Oper sich als Serie präsentiert oder wo sich in dem Maß wie hier sich Hochkultur und Subkultur trifft und kreuzt, auch was die jeweiligen Zuschauerkreise angeht.
Wie müssen wir uns diese „Kreuzung“ musikalisch vorstellen?
Leo Schmidthals: Wir gehen natürlich von Wagner aus, erweitern das Spektrum aber durch sehr unterschiedliche Musikstile, die mitunter auch ziemlich aufeinanderknallen: Jazz, Pop, Punk, Hip-Hop, Barock, Rock … Und wir machen gerade die Erfahrung, dass dieses Zusammentreffen der Stilistiken sehr schön ist.
Nichts für Wagner-Puristen?
Dominik Günther: Nicht unbedingt, aber durchaus etwas für Wagner-Liebhaber. Wir arbeiten mit der Musik nicht aus einer Gegnerschaft heraus, sondern dahinter steht große Anerkennung und Hochachtung vor dem Werk. Jeder, der heute mit Musik aus der Vergangenheit arbeitet, verändert sie ja ausgehend von dem jeweiligen heutigen Verständnis und Empfinden. Ich bin ganz sicher, wenn Wagner heute leben würde, würde er auch heutige Technologien der Musikerzeugung nutzen. Er war immer ein Forscher extremer und ausdrucksstarker Klangwelten.
Leo Schmidthals: Wenn wir für dieses Projekt Musik bearbeiten für Quadrophonie, oder wir verstärken Instrumente, oder wir holen sehr tiefe Frequenzen heraus, das würde Wagner heute auch tun und zu den entsprechenden Technologien greifen. Er hat damals sein Orchester klanglich extrem erweitert, und er würde sich wahrscheinlich freuen über den Sound einer E-Gitarre. Wenn man Musik aus den 60er und 70er Jahren sich anhört, merkt man, dass bei Wagner so etwas wie psychedelische Phänomene schon vorgeprägt sind: da sind Zustände von Rausch, Ekstase und Entrückung hörbar. Was den Stilmix angeht, finde ich, dass die Sänger sehr kreativ damit umgehen, und man hört Wagner in der Wechselwirkung mit anderer Musik noch mal neu.
Dominik Günther: In diesen Musikparallelen werden eben auch die Parallelen spürbar von Mythischem bei Wagner und Mythischem in den Wrestling-Geschichten. Wie sich im „Ring“ aktuelle Realität spiegelt, so spiegeln sich in den Wrestling-Kämpfen die Konflikte, die heute in der Stadt ablaufen und spürbar sind. Da wird soziale Realität verhandelt. Insofern ist das Wrestling eine mythische Bürgerbühne.
Dominik Günther
Dominik Günther studierte Sozialwissenschaften und Germanistik mit dem Schwerpunkt Theaterwissenschaften an der Universität Bielefeld. Während des Studiums Spieler in der freien Theatergruppe „Canaillen Bagage“; singt und textet in der Musikkabarettgruppe „Nik Neandertal“. Vor acht Jahren gründete er das „Neandertal Theater“ auf dem Hamburger Kiez. Seit 2005 freier Regisseur mit Arbeiten am Thalia Theater Hamburg, dem Deutschen Theater Berlin, am Theater Heidelberg, dem Theater Heilbronn, am theater junge generation in Dresden, dem Landestheater Linz, am Theater Bern, dem Theater Erlangen, dem Theater Lübeck und am Badischen Staatstheater Karlsruhe Seit September 2005 ist Günther Dozent für Szenen- und Rollenstudium am Hamburger Schauspiel-Studio Frese.
Leo Schmidthals
Leo Schmidthals ist freischaffender Musiker für Film-, Theater-, Live- und Studiomusik. Er studierte an der Hochschule für Musik und Theater Hamburg und am Berklee College of Music in Boston. Sein Kompositions-Studium schloss er 2006 mit dem akademischen Grad als Diplom-Komponist ab. Leo Schmidthals ist Bassist und Gründungsmitglied der Band Selig. Er ist Instrumentalist, Komponist, Arrangeur und Produzent und wohnt in Hamburg.