„Jetzt wollen wir grausam sein.“
Puccinis Opern „Manon Lescaut“ und „Tosca“ kehren in neuer Besetzung zurück.
Toscas Ausruf „Malheureuse! Malheureuse!“ soll laut anekdotischer Überlieferung das einzige Wort gewesen sein, das der 31-jährige Giacomo Puccini verstand, als er 1889 einer Aufführung des Theaterstücks „La Tosca“ von Victorien Sardou in Mailand beiwohnte. In Wirklichkeit wird der Komponist, der etwas französisch sprach, wohl einiges mehr verstanden haben. Gleichwohl war er von dieser Aufführung mit Sarah Bernhardt in der Titelrolle so begeistert, dass er beschloss, eine Oper nach diesem Stück zu komponieren. Der Kern der Handlung hatte ihn tief beeindruckt, das Spiel, die beredten Gesten der Interpreten, insbesondere von Sarah Bernhardt. Die Tatsache, dass er die Handlung so leicht begriffen hatte, war für ihn der beste Beweis, dass es sich um einen bühnenwirksamen Stoff handelte.
Victorien Sardou hatte die Anregung zu seinem packenden Drama in einer Toulouser Chronik aus dem 16. Jahrhundert gefunden. In dieser Chronik war über den Connétable de Montmorency zu lesen, der während der Religionskriege einer protestantischen Bauersfrau versprochen hatte, das Leben ihres Gatten zu schonen, wenn sie eine Nacht mit ihm verbringe. Die Ehefrau willigte ein und fand am nächsten Morgen den Leichnam ihres Mannes am Galgen vor.
Der historische Schauplatz, den der Dramatiker für sein Stück gewählt hatte, war Rom um 1800. Maria Carolina, Tochter der Kaiserin Maria-Theresia, Schwester der auf dem Schafott geendeten Kaiserin Marie Antoinette und ehrgeizige Gemahlin des Königs von Neapel und Sizilien, gibt im Palazzo Farnese ein Fest zu Ehren des österreichischen Generals Melas. Dieser hat in der Schlacht von Marengo (14. Juni 1800) einen vermeintlichen Sieg über Napoleons Truppen errungen, die für die neue Errichtung der Republik kämpfen. Nach dem Tod des Papstes Pius VI. waren Truppen der Maria Carolina in Rom eingedrungen, hatten die Macht übernommen und die französische Besatzung vertrieben. Auf dem Fest im Palazzo Farnese tritt die Sängerin Floria Tosca auf. In der Nacht wird der endgültige Sieg Napoleons über Melas gemeldet.
Als Giacomo Puccini Sardous Theaterstück kennenlernte, war er noch ziemlich unbekannt, und es hätte einige Mühe gekostet, den weltberühmten Autor zur Überlassung der Rechte zu bewegen. Erst einige Jahre später erinnerte sich der inzwischen durch den Erfolg mit „Manon Lescaut“ ebenfalls zu Ruhm gelangte Puccini an die „Tosca“ und unternahm die notwendigen Schritte, seine Pläne in die Tat umzusetzen. In einem Brief an den Librettisten Giacomo Giacosa beschreibt Puccini sein Vorhaben: „Das Drama stellt uns vor eine ganz andere Aufgabe als „La Bohème“. Die Stimmung der „Tosca“ ist nicht romantisch und lyrisch, sondern leidenschaftlich, qualvoll und düster. Hier haben wir es nicht nur mit liebenswürdigen, guten Menschen zu tun, sondern auch mit abgefeimten Schurken, wie Scarpia und Spoletta. Und unsere Helden werden diesmal nicht weichherzig sein wie Rodolfo und Mimì, sondern entschlossen und tapfer… Mit einem Wort, wir brauchen hier einen anderen Stil. Mit „La Bohème“ wollten wir Tränen ernten, mit „Tosca“ wollen wir das Gerechtigkeitsgefühl der Menschen aufrütteln und ihre Nerven ein wenig strapazieren. Bis jetzt waren wir sanft, jetzt wollen wir grausam sein.“
Die Bedrohung der Liebe durch den brutalen Zugriff der Macht ist das thematische Zentrum der Oper, und durch Puccinis Gestaltung verbindet es historische Vorgänge mit allgemeinen menschlichen Anliegen. In den drei Hauptfiguren Tosca, Cavaradossi und Scarpia werden fast holzschnittartig ideologisch und politisch krasse Gegensätze dargestellt. Es ist die Tragödie einer Rebellion, die durch die Staatsmacht unterdrückt wird, und jeder kann erkennen: Die Cavaradossis, Toscas und Scarpias gibt es immer wieder. Die Geschichte ist also nicht wirklich historisch, obwohl der örtliche und zeitliche Hintergrund so exakt bestimmt ist wie selten bei einem Drama. Dadurch nimmt „Tosca“ im Œuvre Puccinis eine Sonderstellung ein. Sie ist seine einzige Oper geblieben, die eine genaue historische Situation zum Ausgangspunkt der Handlung bestimmt. Die Uraufführung am 14. Januar 1900 im Teatro Costanzi in Rom, dem heutigen Teatro dell ́Opera verlief erfolgreich: Nummernwiederholungen nach den einzelnen Akten und 21 Vorhänge nach Aktschluss. Es brauchte jedoch noch einige Zeit, bis sich das Werk zunächst beim Publikum und nach und nach auch bei der Kritik durchsetzte.
Die Entstehung von „Manon Lescaut“ lag zu diesem Zeitpunkt schon einige Jahre zurück: Während Puccini noch dabei war, seine Oper Edgar zu vollenden, stieß er bei der Suche nach einem geeigneten Stoff auf die „Histoire du Chevalier Des Grieux“ von Abbé Prévost. Dieser über 150 Jahre alte Roman war 1885 in einer vielbeachteten Neuausgabe erschienen. Der junge Komponist scheute sich nicht, es mit dem damals sehr viel berühmteren Jules Massenet aufzunehmen, dessen „Manon“ bereits seit 1884 auf dem Markt war. Der Verleger Ricordi warnte ihn vor der Konkurrenz zu Massenets Oper, aber Puccini entkräftete den Einwand, indem er betonte, wie oft ein einziger Stoff die unterschiedlichsten Opern inspiriert hatte, denn: „Massenet fühlt das Stück als Franzose, mit der Atmosphäre von Puder und Menuetten. Ich werde es als Italiener fühlen, mit der Leidenschaft der Verzweiflung.“ Er behielt recht, denn mit „Manon Lescaut“ durfte Puccini seinen bahnbrechenden Erfolg als Opernkomponist feiern. Die verzweifelte Leidenschaft von zwei Liebenden, die in keiner Szene glücklich vereint sind, steht im Mittelpunkt der Oper. Der verliebte Student Chevalier Des Grieux setzt seine bisherige Existenz aufs Spiel und folgt Manon Lescaut. Doch diese zieht nach kurzer Zeit das süße Luxusleben vor und verlässt ihn für den reichen, ältlichen Geronte. Als Des Grieux sie beschwört, mit ihr gemeinsam zu leben, will sie im Haus Gerontes ihre Juwelen entwenden, um mit Des Grieux zu flüchten. Dabei wird sie von Geronte ertappt, der sie wegen Diebstahls verhaften lässt. Des Grieux folgt Manon in die Deportation – eine aussichtslose Wüste tut sich vor dem Paar auf. Manon stirbt und Des Grieux’ Schicksal bleibt ungewiss.
Im Roman von Abbé Prevost ist nicht Manon, sondern Des Grieux die zentrale Figur: sowohl als Erzähler wie als Agierender. Diesen Aspekt griff der Regisseur der Hamburger Inszenierung auf: „Des Grieux gibt alles um dieser Obsession willen auf. Wir zeigen das ganze Stück radikal aus seiner Perspektive“, sagt Philipp Himmelmann, „je tiefer er sich in seine Psychose verstrickt, umso mehr wird er auf sich selbst zurückgeworfen. Seine fortschreitende Vereinnahmung kontrastiert mit der voyeuristischen Amüsiersucht einer Gesellschaft, die ihm Manon als Objekt in schillernder Ambivalenz aus Habgier und Leidenschaft zuführt. Des Grieux’ Selbstbespiegelung endet in totaler Isolation … Stirbt Manon wirklich? Ist sie Des Grieux’ Wunschtraum entsprungen? Wird sie von einer grotesken Clique als Phantasmagorie eingesetzt, um ihn in den Abgrund zu stürzen?“
María José Siri ist Manon Lescaut
María José Siri gastierte nach ersten Engagements in Südamerika u. a. an der Wiener Staatsoper, der Deutschen Oper Berlin, der Mailänder Scala, dem Teatro del Liceu in Barcelona,an den Opernhäusern von Brüssel, Tokio, Dresden und München sowie in der Arena di Verona. In Hamburg sang sie bisher die Titelrolle in „Aida“.
Kristin Lewis ist Tosca
Kristin Lewis trat in der letzten Saison in Hamburg als Aida auf, eine ihrer Paradepartien, mit der sie u. a. am Teatro alla Scala in Mailand, am Teatro dell’Opera in Rom, am Teatro Regio in Turin und an der Wiener Staatsoper glänzte. Sie gastiert u. a. an den großen Häusern in Wien, Berlin und Kopenhagen.
Annedore Cordes (aus dem Journal #2 der Spielzeit 2018/19)