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Katja Kabanova: „Ein hektisches Leben voller Sehnsucht“

Willy Deckers „Katja Kabanova“-Inszenierung kehrt auf den Spielplan zurück!

„Und es war im Sommersonnenschein. Der Bergeshang durchwärmt, die bis zur Ohnmacht erschöpften Blüten neigten sich bis zur Erde. In diesem Augenblick gingen mir die ersten Gedanken über die unglückliche Katja Kabanova – ihre große Liebe – durch den Kopf. Sie ruft die Blumen, lockt die Vögel – die Blumen, um sich zu ihnen zu neigen, die Vögel, um ihnen das letzte Lied der Liebe zu singen“, schrieb Leoš Janáček, der sechsundsechzig Jahre alt war, als er mit der Komposition seiner Oper „Katja Kabanova“ begann. Seit mehreren Jahren verband ihn eine Freundschaft mit der jungen verheirateten Kaufmannsfrau Kamila Stösslová, eine Freundschaft, die sich bei ihm allmählich zu einer tiefen Leidenschaft entwickelte. Etliche Schreiben bestätigen, dass er sie mit Katja Kabanova identifizierte. Der Freund und Mitarbeiter Max Brod vermerkte später, diese Oper sei „mit Jünglingskraft wie in einem einzigen Zug hingerast“. Regisseur Willy Decker greift Brods Beurteilung auf: „Janáček selbst hat gesagt, unser Leben sei hektisch und voller Sehnsucht. Diese Hektik spürt man in seiner Oper: ein dichtes, unter Spannung, fast wie unter Zeitdruck stehendes Stück – bis in die kleinsten musikalischen Phrasen hinein. Die Musik bewegt sich zwischen zwei Extremen: zwischen einer angespannten, rastlosen Musik einerseits und großen melodischen Bögen andererseits. Der weite Atem aber ist nur Katja vorbehalten, und auch da immer nur kurz.“

Katja Kabanova

Foto: Karl Forster

Vorlage für die Oper war das Drama „Gewitter“ des russischen Autors Alexander Ostrowski, dessen Schwerpunkt die individuelle Tragödie einer jungen Frau bildet: Katja Kabanova ist mit dem charakterschwachen Kaufmann Tichon verheiratet und lebt unter dem Regiment ihrer despotischen Schwiegermutter Kabanicha. Der Ehemann ist zu hilflos, um sie vor der im Hause herrschenden Brutalität zu schützen. In Boris Grigorjewitsch, der ähnlich wie Katja unter den Launen seines brutalen und ewig betrunkenen Onkels Dikoj zu leiden hat, glaubt sie die große Liebe gefunden zu haben. Um der beklemmenden Situation aus bigotter Religiosität und erstarrter Tradition zu entkommen, lässt sie sich auf eine Affäre mit ihm ein. Als ein schweres Gewitter aufzieht, das sie als Zeichen des erzürnten Himmels deutet, treiben sie ihre Gewissensbisse dazu, ihrem Mann und ihrer Schwiegermutter den Ehebruch zu gestehen. Verzweifelt stürzt Katja während des Unwetters ins Freie und trifft sich ein letztes Mal mit Boris. Wenig später birgt man ihren leblosen Körper aus der Wolga.

Katja Kabanova

Foto: Karl Forster

Willy Decker konstatiert: „Ich glaube, die zentrale Frage der Oper „Katja Kabanova“ ist die Frage nach der Möglichkeit oder Notwendigkeit der Freiheit des Menschen. Exemplarisch macht sich diese Frage an Katja fest und an der Rolle der Frau in einer konservativen und regressiven Gesellschaft. Es wird gezeigt, wie verheerend die Folgen für jene sind, die unterdrückt werden.“ Der Komponist hat sein Libretto selbst verfasst. Während Ostrowski in seinem Drama ein ganzes Spektrum von menschlichen Abhängigkeiten ausbreitet, interessierte sich Janáček im Wesentlichen für das Individualschicksal seiner Hauptfigur Katja, die die Unvereinbarkeit zwischen Anspruch und Wirklichkeit nicht mehr aushält und den Freitod sucht. Als einzige in dem Stück macht sie eine psychologische Entwicklung durch, während ihre Schwiegermutter in ihrer Starrheit und Härte befangen bleibt, versteckt hinter einer Fassade aus Konventionszwängen und Bigotterie. Das Gewitter, das Katjas Schuldgefühle ausbrechen lässt, ist als Spiegel ihres Inneren zu deuten, und eben diese seelischen Vorgänge waren es, die den Komponisten an Ostrowskis Werk faszinierten. Seine Deutung der Oper „Katja Kabanova“, die auch in Amsterdam, Oslo und Neapel gezeigt wurde, beschreibt der Regisseur folgendermaßen: „Unsere Bildidee geht von zwei Aspekten aus: Zunächst haben wir einen stark reduzierten Raum, in dem nichts von den Charakteren und von den Begegnungen der Figuren untereinander ablenkt … Diesem Raum liegt die Vorstellung eines Käfigs zugrunde. Es ist eigentlich Katjas Raum. Sie lebt hier gezwungenermaßen, wie eingesperrt… Immer redet sie vom Fliegen, von ihrer Traurigkeit darüber, dass Menschen nicht fliegen können. Das ist der Ausdruck ihrer Sehnsucht, von hier weg zu kommen; das Bild dafür ist in Katjas Zeit der Vogel. Natürlich können Menschen nicht fliegen. Deshalb ist Katjas Blick immer nach oben gerichtet, ein trauriger, hoffnungsloser Blick.“ In einer Rezension brachte der Berliner Tagesspiegel Willy Deckers Visualisierung auf den Punkt: „Ein Gefühls-Gefängnis, dessen Decke sich herabsenkt wie eine Grabplatte.“

Katja Kabanova

Foto: Karl Forster

Nach vierjähriger Pause kehrt das Werk an die Staatsoper zurück: In der Titelpartie gibt Olesya Golovneva ihr Debüt an der Hamburgischen Staatsoper. Die russische Sopranistin startete ihre Karriere an der Wiener Staatsoper und gastiert mittlerweile an weiteren großen Bühnen. Ihr Geliebter Boris wird von dem aus Litauen stammenden Tenor Edgaras Montvidas interpretiert und die Rolle ihrer Widersacherin Kabanicha übernimmt zum ersten Mal Kammersängerin Hanna Schwarz, die seit Jahrzehnten in Hamburg und rund um den Globus gefeiert wird. 2016 sang sie hier Gaea in „Daphne“. Ebenfalls in Hamburg begann die Karriere von Oliver Zwarg, der als Savjol Dikoj an die Dammtorstraße zurückkehrt. Außerdem sind zum ersten Mal in dieser Produktion die Ensemblesänger Ida Aldrian (Varvara), Oleksiy Palchykov (Wanja Kudrjasch) und Jürgen Sacher (Tichon Kabanoff) zu erleben.

Annedore Cordes (aus dem Journal #1 der Spielzeit 2019/20)