Opernreise nach Nizza
Unser Leiter des Internationalen Opernstudios, Christoph Böhmke, berichtet über die Studiosus-Reise zusammen mit unseren Abonnenten nach Nizza im November 2018.
Viel zu früh am Morgen sind wir in Hamburg aufgebrochen, um dem beginnenden Winter in Hamburg zu entkommen. Auf dem Weiterflug von München nach Nizza lerne ich meine Mitreisenden kennen: mit Frau Schümann sitze ich auf den sogenannten Handschellen-Plätzen (Platz A und C in der letzten Reihe des Flugzeugs) und wir stellen rasch fest, dass wir Vieles teilen: vor allem die Liebe zu Israel. Und so vergeht die Zeit im Flieger für ‚Madame Schümann‘ und ‚Monsieur Christoph‘, wie wir uns kurz darauf ansprechen, sprichwörtlich wie im Flug.
In Nizza checken wir im legendären Negresco ein: alte Pracht allerorts. Mit der Reiseleitung Frau Pommier und Musik-Fachmann Richard Eckstein geht es in die Innenstadt: entlang der Promenade zum Theater, durch enge Gassen und über prachtvolle Boulevards. Zurück im Hotel können wir kurz ruhen, bevor wir uns am Abend zu einem üppigen Abendessen wiedersehen. Gemeinsam brechen wir das Brot, trinken Champagner und kommen uns alle schnell näher. Gespannt lausche ich der faszinierenden Geschichte von Herrn Neffe, der vor 20 Jahren mit der regulären Eisenbahn von Moskau nach Peking fuhr – einfach so. Fliegen kann ja jeder! Im Hotel falle ich ermattet in mein Bett: Die Vorfreude auf die kommenden Tage, auf die gemeinsamen Erlebnisse und die vielen guten Gespräche, ist groß!
Nur der frühe Vogel fängt den Wurm… Nun ja: um 08.30 Uhr brechen wir auf. Für Unruhe sorgt, dass wir vor unserem ersten Opernbesuch auf dieser Reise, „Samson et Dalila“ im Grimaldi Forum in Monaco, nicht mehr zurückkehren werden in unser Hotel. Das kleine Schwarze bleibt also im Koffer und wir üben uns in der Einfachheit und Bequemlichkeit unserer Garderobe. In Monaco angekommen wandele ich mit Frau Fenner durch den Botanischen Garten. Wissenschaftlerin war sie: Chemie. In den letzten Kriegstagen hat sie noch so allerhand erleben müssen. Sie erzählt mir von den ersten Opernerlebnissen in der zerstörten Hamburger Oper und von ihrer Leidenschaft für Autos. Im Stadtzentrum angekommen besuchen wir den Palast, die Kathedrale und das Ozeanographische Museum. Für Frau Fenner und mich ein Highlight. Nach einer schnellen Besichtigung von Monte Carlo stärken wir uns beim Abendessen für den Opernbesuch. Bergauf, treppab: Dieser kleine Staat hat es in sich. Im Grimaldi Forum sinken wir in unsere bequemen Sessel. Aber an Ruhen ist nicht zu denken. Bevor der Opernabend beginnt, erheben sich die Besucher und stimmen die Hymne des Fürstentums an. In Hamburg undenkbar. Chor, Orchester und Solisten der monegassischen Oper spielen auf und wir sind beinahe erschlagen von der Klanglichkeit des Werks in einer stellenweise etwas antiquierten Regie. Dass die Ausstattung eher an „Herr der Ringe“ erinnert ist wohl nur mein sehr subjektives Empfinden. Nach knapp drei Stunden machen wir uns auf zu unserem Bus. Ein langer Tag geht zu Ende.
Ein grauer Morgen begrüßt uns am dritten Tag. Unsere charmante Busfahrerin Nanu bringt uns zu unserem ersten Ausflugsziel an diesem Tag: Das Siegesmal des Augustus von La Turbie. Eigentlich ein malerischer Flecken Erde mit einer sicher betörenden Aussicht auf die Côte d’Azur; doch leider haben wir alle nasse Füße und die Kälte bahnt sich ihren Weg. In Menton schlendern wir durch die lokale Markthalle. Frau Schümann und ich kaufen erste Andenken: Zitronenmarmelade und Seifen. Gerne wären wir geblieben, doch die Gruppe ruft und wir eilen weiter durch die malerische, aber heute sehr regennasse Altstadt. Bei einem kleinen Mittags-Snack erfreue ich mich mit Frau Dr. Strecker und Frau Schümann an französischen Köstlichkeiten. Die Schuhe trocknen, der Wein schmeckt, die Stimmung steigt! Leider wurde das Cocteau-Museum der Stadt vor wenigen Wochen Opfer der Unwetter, sodass wir uns mit dem Hochzeitssaal im Rathaus von Menton begnügen. Ein beeindruckendes Werk des exzentrischen Künstlers, das uns mit der Witterung versöhnt. Am Nachmittag dann klart der Himmel auf und pünktlich zum Besuch der Villa Ephrussi de Rothschild hört es auf zu regnen. In der üppig ausgestatteten Herberge der Bankiers-Erbin und dem prachtvoll angelegten Garten kommen wir ins Schwärmen: Frau Dr. Strecker und ich sind uns einig: hier ließe es sich aushalten. Am Abend löst sich die Gruppe auf. Frau Dr. Strecker und ich folgen dem Restaurant-Tipp eines Freundes und lassen uns im Fine Gueule mit Kalbsnierchen und Champagner verwöhnen. Vive la France. Dass nach diesem Abend aus Frau Dr. Strecker Katharina wird, ist fast schon logisch.
Der Samstag begrüßt uns mit Sonne satt. In Antibes sind wir mit den dort ausgestellten Werken von Pablo Picasso quasi auf Du-und-Du. Der Nebensaison sei Dank! Wir schlendern durch die Räume und sind ergriffen von dieser unmittelbaren Kunst-Erfahrung. Wo auf der Welt kann man sich in fast intimer Atmosphäre mit dieser Vielzahl von Kunstwerken des Großmeisters auseinandersetzen? Ich nehme mir eine kurze Auszeit und genieße auf der Stadtmauer von Antibes die wärmende Novembersonne. Auf dem Flohmarkt in der Innenstadt finden wir neben Trödel allerhand Schönes und Nützliches und Frau Dargel denkt kurz darüber nach, einen blauen Seidenteppich zu kaufen. „Meiner ist ja nur aus Baumwolle.“ In Vallauris sind wir dann mitten drin in Picassos Welt: Das Wandgemälde „Der Krieg und der Frieden“ packt uns, verstört uns und lässt uns nicht los. Wir sind beinahe erschlagen von diesem Werk, das in einer alten Burgkapelle von allen Seiten auf uns einwirkt. Wahrhaftig umfassend. Dieser Samstag steht ganz im Zeichen der Künstler dieser wunderbaren Region und auch im Zeichen der Förderer und Gönner. In der Fondation Maeght lassen wir uns von den Skulpturen, Zeichnungen und Bildern verzaubern. Ebenso zieht uns das Gelände mit seinem einzigartigen Haupthaus in seinen Bann: Die Gartenanlage, die Kapelle des heiligen Bernhard und die berühmten Giacometti-Werke sind atemberaubend. Beim gemeinsamen Abendessen lassen wir das Erlebte Revue passieren. Neben Frau Sack und Katharina genieße ich die französische Küche und erfreue mich an den guten Gesprächen. Ich fühle mich sehr wohl in der Gemeinschaft!
Es ist Sonntag geworden. Der Kirchgang fällt heute aus, wird aber durch den Besuch des Chagall-Museums würdig ersetzt. Seine 17 Gemälde zum Alten Testament und die Gemälde des Hohen Liedes sagen viel aus über sein Verhältnis zur Religion. Die Fenster im Auditorium des Museums, natürlich von Chagall selbst erschaffen, sind für Frau Schümann und mich der Höhepunkt dieser Reise. Diese Farbintensität, das Licht. Wunderschön. Zurück im Bus erzählt mir Frau Sack von ihrem erst kürzlich erschienenen Buch. Ich bin erstaunt, welche Geschichten meine Mitreisenden einfach mal so zu erzählen haben. Im Hotel machen wir uns fein für den zweiten Opernbesuch unserer Reise: „Die Perlenfischer“ von Bizet im Theater von Nizza. Heute wird die große Abendgarderobe ausgepackt. Egal, dass es eine Nachmittagsvorstellung ist. Richard Eckstein führt kompetent und kurzweilig ein in die Handlung der beiden Perlenfischer und der geliebten Leila: Eine Dreiecksbeziehung der besonderen Art. Positiv: Am Ende steht die Liebe und nicht der Tod! Herrlich. Herrlich sind auch die Farben der Inszenierung; sie erinnern an Marc Chagall und auch an die Côte d’Azur. Auch wenn ich mich etwas zurückversetzt fühle in die Flower Power-Zeit und die lässigen 1970er, die ich, so ehrlich muss ich sein, gar nicht selbst miterlebt habe: die Produktion gefällt. In jedem Fall kommt sie französisch duftiger daher als wenige Tage zuvor die doch etwas brachiale Version von „Samson et Dalila“. Der Vorhang fällt, Nizza steht Kopf. Wir auch. Langer Applaus für eine schöne Darbietung. Der abendliche Regen nach der Vorstellung weicht jede Ledersohle auf und ruiniert jede Föhn-Frisur: wir nehmen es mit hanseatischer Gelassenheit. Der Abend unter Freunden endet erst um Mitternacht.
Der letzte Tag bricht an und ganz klar steht auch dieser im Zeichen der Kunst: Henri Matisse, dem in Nizza ein Museum gewidmet ist, darf auf dieser Unternehmung nicht fehlen. Petra Pommier führt gekonnt und mit enormem Fachwissen durch die Ausstellung des 1954 verstorbenen Künstlers, der ganz in der Nähe des heutigen Museums gelebt hat. Mühsam sind lediglich die Stufen und die langen Wege im Museum: Barrierefreiheit in Frankreich ein Fremdwort. Es hilft kein Klagen und kein Stöhnen. Unsere Best-Ager machen es mir vor: treppauf, treppab durchs Museum. Der Gehstock ist reine Zierde. Ein letztes Mittagessen in der wärmenden Sonne bei knapp 20 Grad und dann heißt es Abschied nehmen. Die Verspätung unseres Flugs von Nizza nach München erhitzt kurzzeitig die Gemüter: was, wenn wir den Anschlussflug nicht erreichen? Die letzte Maschine nach Hamburg? Wir schaffen es. Dank liebevoller Fürsorge des Flughafenpersonals sind wir pünktlich an Bord des Flugzeugs nach Hamburg und landen in der winterlichen Heimat. Herzliche Umarmungen am Gepäckband. „Wir sehen uns beim nächsten Mal!“, „Bis zur nächsten Premiere!“ Die Mitglieder der Gruppe verschwinden in der Nacht! Bis zum nächsten Mal!
Christoph Böhmke