OpernTester berichten über „Die Nase“
Die beiden Testerinnen Hannah (19) und Lili (21) waren bei der Hauptprobe unserer grotesken Eröffnungsproduktion „Die Nase“ mit dabei und berichten über das Erlebte.
Ich bin seit August FSJlerin in der Staatsoper und habe mich daher bereits mit der „Nase“ auseinandergesetzt. Umso neugieriger war ich, wie die Oper denn nun wirklich ist – viel Verrücktes hatte ich schon gehört. Verrückt war es dann auch, aber auf die positive Art. Ein bombastisches Bühnenbild voller Details, die man gar nicht so schnell sehen konnte, wie sich die Bühne wieder wegdrehte oder umgebaut wurde. (Hannah)
Der Vorhang wurde gezogen und ich musste bereits das erste Mal aufatmen: Schon lange nicht mehr war ich so beeindruckt von einem Bühnenbild. Auf der Bühne findet sich ein gigantisches Chaos aus Metallgerüst, Stäben und Requisiten – und trotzdem passt alles zusammen. Nicht zuletzt, weil das eher kühle Licht die Atmosphäre perfekt in Szene setzt. Licht und Bühnenbild schaffen einen Gegenpol zur doch eher absurden und skurrilen Geschichte. (Lili)
Auch sonst war sehr viel los, die Inszenierung glich einem akustischen und optischen Feuerwerk an Eindrücken. Das machte es für mich etwas schwierig, der an sich schon skurrilen Handlung zu folgen (ein Mann verliert seine Nase…). Ich hatte gedacht, dass dieser fiktive Sachverhalt etwas deutlicher auf tatsächliche Themen bezogen wird. Andeutungen und Anspielungen gab es zuhauf, so zum Beispiel eine Nachstellung der berühmten Abendmahl-Szene mit der Nase im Zentrum. Ich persönlich konnte aber manchmal einiges gar nicht so schnell einordnen, weil es schon wieder weiterging. Allerdings unterstützt diese Schnitttechnik auch den Gesamteindruck der Oper, die ziemlich rasant und eigenartig war. Bei der Einführung wurde uns gesagt, dass es wahrscheinlich keine andere Oper gibt, die nach einem Körperteil benannt ist – dass der Titel an sich schon so ein Alleinstellungsmerkmal ist, ist bezeichnend für diese Oper. (Hannah)
Die Absurdität der ganzen Situation wird von den Kostümen unterstrichen, denn alle stehen in „nude suits“ mit extra großen und betonten Hintern auf der Bühne. Wohl auch als Zeichen dafür, dass die Nase als Phallussymbol fungieren kann. (Lili)
Generell hat mir die Einführung sehr geholfen, das Gesehene und Gehörte einzuordnen und vor dem historischen Kontext des Russlands der 1930er besser zu verstehen. Außerdem merkt man, dass Schostakowitsch beim Schreiben dieser Oper noch sehr jung war, weil er mit allem bricht, was klassische Oper (für mich) ausmacht. (Hannah)
Die Inszenierung von Karin Beier lässt mich schmunzeln und schafft es dennoch, das Geschehen nie ins Lächerliche zu ziehen. Ganz im Gegenteil, sie regt zum Nachdenken an. Schostakowitsch wollte offensichtlich Kritik an der russischen Staatsform äußern und auch Beier zieht sogar den deutlichen Vergleich zu Hitler, zum Beispiel mit dem erhobenen rechten Arm. Auch die Choreografie von Altea Garrido könnte als politischer Kommentar gesehen werden. Die Tänzer sind allesamt in Uniform und stellen Staatsangestellte dar. Sie bewegen sich immer sehr kontrolliert und roboterhaft über die Bühne. Sie verehren die Nase und machen in einer Szene mit anzüglichen Bewegungen klar, dass es sich um ein Phallussymbol handelt. (Lili)
Am Ende war ich ziemlich erschöpft, was an den ganzen Eindrücken und der Schnelligkeit der Oper lag. Im Vergleich zu anderen Opern ist sie sehr kurz, aber viel länger hätte ich wahrscheinlich auch nicht durchgehalten. Zudem war ich ziemlich durcheinander und musste das Gesehene – vor allem das Gesehene – erstmal verarbeiten. Erstaunlicherweise stand für mich bei dieser Oper nicht das Akustische, sondern das Optische im Vordergrund. (Hannah)
Wenn man sich diese Oper anschaut, wird schnell klar, dass man in keiner klassischen Oper sitzt. Das hat gerade für „Anfänger“ Vor-, aber auch Nachteile. Der große Vorteil, meiner Meinung nach, ist, dass diese Oper für viele im Publikum eine Neuheit oder zumindest etwas Ungewohntes sein wird, so fällt man als Neuling nicht so sehr auf, wenn man sich etwas wundert. Ein Nachteil kann sein, dass man an das Prinzip „Oper“ an sich nicht gewöhnt ist und sich deshalb vielleicht über Dinge wundert, wie zum Beispiel, dass auch normale Konversationen gesungen statt gesprochen werden. Sich über solche – für Opern normale – Dinge zu wundern, kann in dieser Oper Zeit kosten, um wichtigeren Dingen zu folgen, und diese Zeit fehlt mir häufig. Hinzu kam, dass ich trotz deutschen Textes vieles nicht verstanden habe und so viel mit dem Mitlesen des Übertextes beschäftigt war. Trotzdem bin ich sehr beeindruckt und könnte mir vorstellen, die Oper noch ein zweites Mal zu sehen. (Hannah)
Den Ausgleich zu diesem chaotischen Geschehen auf der Bühne und auch in der Partitur schafft Kent Nagano. Nagano leitet das Orchester und die Sänger gekonnt durch die anspruchsvolle Partitur. Er schafft mit seiner gewohnt ruhigen Art, unter welcher das Orchester nie ausbricht, den Kontrast zur extrem sprunghaften Musik. Dadurch gelingt es, dass die Musik nie zu aufdringlich oder laut wird und dass der Abend auch für keine Kenner der anspruchsvollen modernen Musik nie anstrengend wird. (Lili)
Beeindruckend ist auch die Leistung der Sänger, vor allem die von Bo Skovhus, welcher den Kowaljow singt und auch nach einer kleinen Tanzeinlage mit der steppenden Nase noch nicht außer Atem ist. Grundsätzlich gibt es immer wieder kleine Atempausen, welche dem Zuschauer Zeit geben, die vielen und stetigen Eindrücke zu verarbeiten. Dies geschieht zum Beispiel anhand eines musikalischen Intermezzos der Perkussionisten, welche dafür ausnahmsweise einmal auf der Bühne stehen. Ein anderes Intermezzo gestaltet die Nase, welche ihr Kostüm ablegt und ein kurzes Contemporary Solo hinlegt. Oder durch einen Charakter, welcher plötzlich die vierte Wand durchbricht und dem Publikum vorwirft, Teil einer Verschwörung zwischen der CSU und der Krankenkasse zu sein. (Lili)
Man kann es vielleicht ein bisschen mit dem Miniaturwunderland vergleichen. Beim ersten Mal ist man einfach erschlagen und überwältigt von all den Details und Überraschungen. Beim zweiten Mal kennt man dann schon das Konzept und die Ausstellung (in diesem Fall die Handlung) an sich, findet aber trotzdem noch so viel Neues, dass es nie langweilig wird. (Hannah)
Für mich war diese Oper mit Abstand das Absurdeste, was ich je gesehen habe und ich kann es nur jedem empfehlen, sich dieses Ereignis nicht entgehen zu lassen! (Lili)
Schön, dass ihr bei uns wart! Du willst auch OpernTester werden? Dann bewirb dich unter folgender Email-Adresse: schausdiran@staatsoper-hamburg.de