Pressestimmen Boris Godunow – „Eine Expedition ins Herz der Finsternis“
Die Spielzeit 2023/24 eröffnete die Staatsoper Hamburg mit der Neuproduktion „Boris Godunow“ am 16. September. Die Urfassung von Modest P. Mussorgskys Oper inszenierte Frank Castorf neu, die Musikalische Leitung über das Philharmonische Staatsorchester hat Kent Nagano. In der Titelpartie ist Alexander Tsymbalyuk zu erleben, Matthias Klink ist Fürst Schuiskij, Dovlet Nurgeldiyev ist Grigorij/Dimitrij.
Jakob Hayner fasst in der WELT die Neuinszenierung wie folgt zusammen: „Frank Castorf inszeniert Mussorgskys „Boris Godunow“ an der Staatsoper Hamburg als eine Expedition ins Herz der Finsternis (…)“ und weiter erwähnt er „(…) kräftigen Applaus für diesen großen Opernabend (…)“.
Ralf Döring urteilt in der Neuen Osnabrücker Zeitung: „Ja, Frank Castorf wuchtet beeindruckende Bilder auf die Bühne der Staatsoper Hamburg, (…).“
„Feinsinnige Inszenierung zum Spielzeitauftakt an der Staatsoper Hamburg“, titelt Michael Pitz-Grewenig in Klassik.com.
Über das Bühnenbild wird von Erik Zielke für Neues Deutschland geschrieben: „Aleksandar Denić hat ein überreiches Bühnenbild entworfen, das sich uns von allen Seiten grundverschieden zeigt und den Dauereinsatz der Drehscheibe abverlangt.“
André Sperber schreibt bei Concerti online: „Allemal beeindruckend und opulent ausgestaltet ist allerdings das Bühnenbild von Aleksandar Denić, das die Möglichkeiten einer Drehbühne vielfältig ausreizt und jedem Schauplatz der Sowjetgeschichte das passende Flair bietet.“
„Es ist wieder vor allem die kongeniale Bühnenwelt von Denić, die damit fasziniert, wie sie Geschichte und nahe Gegenwart in eins zu denken vermag (…)“, so Joachim Lange in der Neuen Musikzeitung und rezensiert, Castorf schlage „einen Bogen aus der Anfangszeit der Zarenherrschaft bis in die postsowjetische Gegenwart. Der Regisseur ist klug genug, daraus keinen plakativen Kommentar zur Lage im Osten Europas oder aus Godunow ein Putin-Alter-Ego zu machen.“
Zielke hingegen über die Inszenierung: „Es ist eine fundierte Auseinandersetzung mit dem langen sowjetischen Jahrhundert, die darüber hinaus zu erzählen vermag, wie Machtwechsel sich ereignen.“ Weiter heißt es: „Seine Inszenierung ist geradezu ein nüchtern analytisches Glanzstück.“ und „Musik und Assoziationsreichtum dürften noch lange zu denken geben“. Er ergänzt über die Kostüme: „Großartig, frei von pseudo-östlichem Kitsch, hat Adriana Braga Peretzki das Sängerensemble kostümiert.“
„Das Inszenierungsteam um Frank Castorf lieferte auch ohne platten Aktualitätsbezug eine Sichtweise von einer erstaunlichen Tiefe. Die dargestellte Männerwelt, deren Machtgehabe zunehmend von Misstrauen und Paranoia bestimmt wird und ein Volk, das leider allzu oft den Machthabern hinterherläuft, die einfache Lösungen anbieten, das ist noch immer aktuell“ ist bei Klassik.com zu lesen.
Die Neue Musikzeitung: „Musikalisch ist die Produktion insgesamt ein Volltreffer. Kent Nagano findet einen nicht lärmenden, aber machtvollen Zugang, (…). Vor allem dieser musikalische Sog sorgt durchgängig für Spannung in den reichlich zwei pausenlosen Stunden.“
Für BR Klassik rezensiert Bernhard Doppler: „Das Philharmonische Staatsorchester Hamburg unter Kent Nagano weiß schon in der Ouvertüre sogleich in Bann zu ziehen, die Urfassung gilt als rauer, aber wirkt farbenreich, melancholisch, manchmal spröde, dann wieder voll von groteskem Humor.“
„Brutal und schonungslos, aber eben auch extrem fesselnd klingt, was Nagano aus der Partitur holt.“ findet Ralf Döring für die Neue Osnabrücker Zeitung.
Für Bachtrack berichtet Alexander Hall: „In purely musical terms, this new production of Boris Godunov in Hamburg is a triumph for Kent Nagano. He was completely inside the penumbra of the piece (…)”
Concerti verliert zusätzlich positive Worte über den Chor: „Eigentlicher Protagonist in „Boris Godunow“, (…) ist das Volk, das den Intrigen, Macht-, Ränkespielen und Kriegstreibereien von Politik, Religion und Staatsapparat schonungslos ausgeliefert ist. Entsprechend stark liegt der Fokus auch musikalisch auf dem stimmgewaltigen Chor, der sich gleich zu Beginn in seiner vollen Stärke samt Kinderchor grandios präsentiert, (…)“ und fügt über das Orchester hinzu: „Wie die Sängerschaft samt Chor halten auch Kent Nagano und das Philharmonische Staatsorchester das musikalische Niveau des Abends durchweg hoch.“
Auch das Sänger-Ensemble erhält von den Medien Lob:“So ist die Stärke der Inszenierung eine erstaunliche Tiefe in der Entwicklung einzelner, ausgewählter Figuren. (…) Am imposantesten entwickelt sich die darstellerische Dynamik zwischen dem Boris Godunow des ukrainischen Sängers Alexander Tsymbalyuk und dessen Berater und späteren Gegenspieler Fürst Schuiskij. Tenor Matthias Klink gibt diesen Wahrheitsverdreher als unheimlichen Technokraten mit schwarz getönter Nickelbrille, weißen Handschuhen und düsterem Zylinder.“ ist bei Nachtkritik zu lesen.
Über die Besetzung der Titelpartie berichtet Concerti: „Der Ukrainier Alexander Tsymbalyuk zeigt in der Titelpartie einen eindringlichen, vielseitigen Bass und gibt die von Machtgier und paranoider Reue geplagte Herrscherautorität mehr als glaubwürdig.“
Die neue Musikzeitung findet ebenfalls: „An der Spitze des fabelhafte Protagonistenensembles gelingt Alexander Tsymbalyuk als Boris die differenzierte Gestaltung eines Machthabers, der wie jeder Alleinherrscher als Weltverbesserer antritt und am Ende kläglich scheitert.“
„Das Solistenensemble – die Hauptrollen sind ausschließlich männlich – überzeugte. Alexander Tsymbalyuk porträtierte die Titelfigur mit wandlungsfähigem Bass. Nagano und das Philharmonische Staatsorchester zeichneten Mussorgskys vielgestaltige Musik nuanciert nach“ ist der Meldung der dpa zu entnehmen.
Jürgen Kesting schreibt in der FAZ: „Das Hamburger Publikum reagierte begeistert über Chor und Solisten. Im sehr ausgewogenen Ensemble fanden Matthias Klink in der Rolle des Schuiskij, des Drahtziehers der Macht, Vitalij Kowaljow als Pimen und Florian Panzieri als Gottesnarr besondere Aufmerksamkeit.“
BR Klassik ergänzt: „Mussorgsky erkundet den ambivalenten Charakter von Boris. Der wird hier von Alexander Tsymbalyuk verkörpert: weich, zweifelnd, machtgierig, schließlich wahnsinnig, aber auch von tiefer Melancholie zerrissen.“ Und fasst zusammen: „(…) war es ein eindrucksvoller, ja, notwendiger Abend, weil er zum Nachdenken und Weiterdenken über die Widersprüche der russischen Geschichte und Gesellschaft anregt. Und nicht nur der russischen.“