Spanien-Reiseblog Tag 3 & 4: Zwei Tage voller Kontraste
An Tag 3 und 4 ist Abwechslung angesagt. Tagsüber stehen Gaudì, Miró und Van der Rohe auf dem Programm. Am Abend im Liceu dann Donizetti und Tschaikowski.
Tag 3
Unser Schaufenster des Tages führt uns zu einem fernen Verwandten der weltberühmten Klaviervirtuosin Martha Argerich. Dieser junge Mann gründete vor etwa 20 Jahren dieses Elektrizitätsinstitut, das sich in den höheren, musikbeflissenen Kreisen Barcelonas einiger Beliebtheit erfreut, da er von seiner Großtante …. Schluss damit, das ist natürlich alles Murks, zusammengelogen und erfunden, nur weil eben der Name so gut passt. Das Schaufenster hingegen ist große Klasse und bekommt offiziell den Preis für das schönste stilechteste Retro-Fenster analoger Elektrik. Und das ist ernst gemeint!
Heute ist der Tag des Architekten, der Barcelona wie kein zweiter mit seinen Jungendstil-Kunst-Bauwerken geprägt hat: Antoni Gaudí. Im Bus wird gekalauert „Gaudi mit Gaudí!“ Im Bus wars lustiger als jetzt. Egal. Drei Werke stehen auf dem Programm: die Casa Batlló, die Casa Milà (von den Barcelonesen einst respektlos „La Pedrera“ – „Steinbruch“ – genannt) und die Sagrada familia, der Basilika, an der mit einer langen Unterbrechung durch den Bürgerkrieg und die Franco-Zeit seit 1882 gebaut wird. Gaudí fing als junger Architekt seinen Berufsweg an und baute insgesamt 43 Jahre an der Sagrada familia, 15 Jahre lang ausschließlich damit beschäftigt bis zu dem Tag, an dem er, bereits in den 70ern, eine Straßenbahn nicht bemerkte, überfahren wurde und an den Verletzungen starb. Der Bau soll nun, mit tatkräftiger finanzieller Unterstützung durch großzügige Spenden und durch Eintrittsgelder bis 2026 fertig sein.
Es entspinnt sich eine Diskussion unter einigen in der Gruppe, ob das Weiterbauen gerechtfertigt ist angesichts der Tatsache, dass es nur grobe Pläne von Gaudì selbst gibt. Alle Architekten, die nach seinem Tod daran bauten, versuchten eine Nachschöpfung im „ursprünglichen“ Geist, was dazu führt, dass das Bild der Kirche von außen sehr uneinheitlich in Stil und Ausführung zu sein scheint, ganz im Gegensatz zum fantastischen Innenraum. Nur ist in der Baugeschichte von z.B. gotischen Kathedralen Bauzeiten von bis zu 150 Jahren festzustellen, während der sich Gotik mit Renaissance, Romanik mit Gotik mischt.
Die Casa Milà ist ein um zwei Innenhöfe gestalteter mehrstöckiger Wohnhausbau mit pro Stockwerk über 1000 m2 Wohnfläche. Die Familie Milà, Auftraggeber und Finanzier, bewohnte das erste Stockwerk, die anderen wurden vermietet. Heute kann man das oberste Stockwerk, den großartigen Dachboden und die Dachterrasse besuchen. Eine Ausstellung zeigt die Einflüsse der Natur auf Gaudìs organische Architektur: Tannenzapfen, Schildkrötenpanzer und Schlangenskelette inspirierten Gaudì zu Blumenkästen, Oberflächenbehandlung und Bögenkonstruktionen. Besonders schön und durchdacht die Behandlung des Lichtes: die unteren Stockwerke haben größere Fenster als oben, Farbgebung der Wände ist nach oben zu dunkler.
Abends im Liceu „ La Fille du regiment“ von Donizetti. Eine erstaunlich witzige, von niveauvollem Humor (französisch, undeutsch) und höherem Blödsinn geprägte Inszenierung, in der einer brilliert: der mexikanische Tenor Javier Camarena. Die mörderischen Cs, 7 an der Zahl, verdoppelt er zu (mindestens) 14. Wie? Indem das Publikum ihn dazu zwang! Nach der Arie brach ein verzücktes Auditorium in derartige Jubelstürme aus, dass der arme Javier minutenlang in Arienschlusspose verharren musste. Er kam nur davon, indem er die Arie noch einmal gab.
Einige haben keine Lust, den Abend im La Perla abzuschließen. Wir müssen einiges dazulernen: man kann in einem Straßencafé in unmittelbarer Nähe zum Liceu auf den Ramblas nicht mit Karte zahlen sondern nur „cash“ (am Nebentisch zieht sich ein Streit zwischen US-Amerikanern und der Bedienung hin bis zur Ankunft von 2 Polizisten). Dann: keine Gläser Sekt, nur Flasche und schließlich: Mitternacht Bordsteine hoch. Das La Perla hatte noch offen als wir ankommen. Ich will ja nichts gesagt haben!
Tag 4
Das Schaufenster des Tages: Kerzen. Doch nicht die zurückhaltend-praktischen, roten oder waldorfselbstgezogenen aus nördlichen Breiten, sondern südlich-bunt, vornehmlich in abgeschossenen, sonnengebleichten Pastelltönen mint, rosa, zartgelb oder mauve. Doch erst die Formen! Dieses Fenster scheint das mexikanisch-karibische zu sein: Kakteen (?) und Papageien (??).
Aber jetzt im Ernst. Heute größtmögliches Kontrastprogramm zu Gaudì: romanische Fresken aus den Pyrenäen, Joan Miró – kalkuliertes Traummalen – der Ausbruch aus dem Gegenständlichen, um aber noch nicht im Abstrakten zu landen, sondern in dem Zwischenbereich der Symbole und Zeichen. Was auch das Formprinzip der Fresken ist: entschlüsselbare Wegweiser zur Festigung von Glauben durch das immer wieder zu beschwörende System von Zeichen und Ritualen, die Zugehörigkeit mitteilen, wenn sie verstanden werden, dadurch eine Universalität behauptend. Mein Favorit: das Kamel.
Christine spricht in ihrer hervorragenden Führung durch das Joan Mirò-Museum über die Notwendigkeit der Maler zu Anfang des 20. Jahrhunderts, sich den Realbildern von Film und Photographie die Logik der Zeichen und Träume entgegenzusetzen. Gedanke: Das Aufkommen von Film und Photographie brachte Walter Benjamin dazu, sich über „Das Kunstwerk in Zeiten seiner technischen Reproduzierbarkeit“ Gedanken zu machen – indem er durch die Vervielfachung des „Originals“ (wo ist das zu finden?) den Verlust der einzigartigen Aura konstatierte. Doch bloße Abbildbarkeit von Realität war gerade in den Anfängen von Film und Photographie nicht das, was die Pioniere gesucht haben, sondern sie thematisierten ihr Medium und öffneten ihre Techniken und Poetiken.
Der bestangezogene Mann heute – alle Männer, die sich redlich um die Auszeichnung bemühen, das aber nie zugeben würden, müssen den Apfel neidlos an sich vorbeifliegen lassen – ist Erhard Döring. Weißes Ensemble mit rotem Akzent ist ganz groß!
Am Fuß des Montjuic steht der deutsche Pavillon der Weltausstellung 1929, geschaffen von Mies van der Rohe und ist für mich ein absolutes Muss (siehe Foto). Eigentlich ist der Bau geschlossen, doch über die niedrige Travertin-Stufe gelange ich hinein, bis ein Bauleiter mich hinausexpediert. Doch von Außen ist der großartige Pavillon eh schöner. Ich erinnere mich, am ersten Abend während der Diskussion über die Elphi über Adolf Loos, den großen Architekten der neuen Sachlichkeit im Bauhaus gesprochen zu haben, der einen bahnbrechenden Essay geschrieben hat: Ornament und Verbrechen. Da haben wir die Gegensätze schön kontrastreich gegenüberstehen: Gaudì und die arabisch-maurische Kunst, die sich in einigen romanischen Kapitellen wiederfindet, als „verbrecherisches Ornament“ und Mies van der Rohe unüberbietbare Geheimnislosigkeit der Oberfläche, denn in der Tiefe des Steins herrscht kein Geist.
Wassertemperatur 20 Grad, grüne Flagge, ein angenehm anstrengender Halbtag liegt hinter uns und der Genießer und Faulenzer in uns schaut sehnsüchtig mit leicht zusammengekniffenen Augen aufs Meer, wo nichts – kein Bild, kein Symbol, kein Zeichen, kein Ornament – das ganz Weitstellen unserer Optik verhindert. Nichts konzentriert uns, nichts führt Parallelen zusammen, und man wäre gerne NICHTS. Nirwana, Erlösung, Sterben-Können … Eine Volte zum morgigen Abend: „El holandés errante“.
Später der Tschaikowski-Abend im Liceu. In der Pause und danach wird erörtert, wie attraktiv eine Klaviervirtuosin sein darf, damit der Zuhörer nicht von der Musik und ihrer künstlerischen Durchdringung durch die Ausführende abgelenkt wird. Einige werfen sich für die Kunst in die Bresche, mit Vehemenz gar. So hat doch jeder seine Sinne woanders …
1 Kommentar
Wunderbar!! Mit Vergnügen lese ich ihren Blog und wäre gerne dabei gewesen. Vielleicht beim nächsten Mal?!
Viele Grüße,
Ida P.
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