1

Tatort Opernbühne: Axel Ranisch inszeniert Puccinis Il trittico

von Ralf Waldschmidt

Auf seiner Homepage wird er sehr zutreffend so charakterisiert: Axel Ranisch lebt und liebt, was er tut. Er inszeniert bewegende Opern mit Kult-Potential und glaubt fest an den Zauber des Augenblicks. … Axel Ranischs Leben ist eng mit Klassischer Musik verwoben. Er liebt die Geschichten hinter den Werken, die Eigenarten der Komponisten, ihre spleenigen Abenteuer in historischen Gewändern. Er liebt die Kraft des Orchesters, die Emotionen, die Kontraste, den Größenwahn, die Klangfarben. Seine Inszenierungen sind hingebungsvoll, sprühend fantasievoll, humorvoll und unterhaltsam – aber immer eines: zutiefst berührend.

Bei zwei Tatort-Folgen hat er bereits Regie geführt (Babbeldasch und Waldlust mit Ulrike Folkerts) und die Erwartungen des Fernsehpublikums gehörig durcheinandergerüttelt. Axel Ranisch wechselt mit Lust und großer Souveränität zwischen den Genres, inszeniert Opern, dreht Fernseh- und Spielfilme. Dabei konterkariert er oft genug die „Regeln der Kunst“, stellt seine eigenen Regeln auf  und gewinnt damit die Herzen des Publikums ebenso wie inzwischen zahlreiche Preise, darunter 2019 den renommierten Grimme-Preis für die Fernsehproduktion Familie Lotzmann auf den Barrikaden, bereits 2014 den „Queer Award“ für Ich fühl mich Disco beim 29. Torino Gay & Lesbian Film Festival oder 2015 den Publikumspreis beim Europäischen Filmfestival Göttingen für Alki Alki.

Seit der Kindheit liebt Axel Ranisch Klassische Musik, die seine Oma (und wichtige Darstellerin in vielen seiner Filme) ihm nahegebracht hat. „Unfassbar toll“ findet er besonders Suor Angelica, einen der drei Einakter aus Puccinis Il trittico, das er nun an der Dammtorstraße inszeniert.

Neben mehreren Arbeiten an der Bayerischen Staatsoper inszenierte Ranisch (Jahrgang 1983) u. a. in Stuttgart Die Liebe zu den drei Orangen und Rigoletto in Lyon. Il tritticoDas Triptychon – ist Giacomo Puccinis letztes vollendetes Werk, seine letzte Oper Turandot (ebenfalls aktuell im Repertoire der Staatsoper) hinterließ er als Fragment. Il trittico besteht aus drei Einaktern, die inhaltlich und thematisch zumindest auf den ersten Blick kaum Bezüge zueinander aufweisen. Die Uraufführung fand im Dezember 1918 an der New Yorker Metropolitan Opera statt, die Deutsche Erstaufführung an der Dammtorstraße in Hamburg (damals das Stadt-Theater). Bereits seit 1900 hatte der Komponist den Plan verfolgt, drei jeweils einaktige Werke zu einem Abend zu verbinden, er fasste dabei verschiedene Textvorlagen ins Auge, wobei Dantes Göttliche Komödie immer eine Rolle spielte, der schließlich die Geschichte um Gianni Schicchi entnommen wurde. Puccinis Verleger Giulio Ricordi, der an den Publikumserfolg und damit an die geschäftlichen Aussichten eines solchen dreiteiligen Opernabends nicht glauben wollte, wehrte sich stets dagegen, so dass der Komponist erst nach Ricordis Tod im Jahre 1913 begann, den Plan in die Tat umzusetzen. Die drei Stücke sind ganz verschiedenen literarischen und historischen Welten entnommen. Il tabarro (Der Mantel) geht auf ein französisches naturalistisches Schauspiel zurück, das Puccini 1912 in Paris auf der Bühne gesehen hatte, ein tragisch endendes Eifersuchtsdrama im Arbeitermilieu der Flussschiffer. Puccinis Partitur betritt Neuland in dem Bestreben, die Atmosphäre dieser Welt musikalisch möglichst realitätsnah einzufangen: Wir hören den Klang einer verstimmten Drehorgel, eine Schiffssirene ertönt; die Melodik tritt vor der Dominanz der Klangfarben, der Instrumentation und der Harmonik in den Hintergrund.

Foto: Brinkhoff/Mögenburg

Als mittleres Werk wurde von Puccini Suor Angelica (Schwester Angelica) vorgesehen, für dieses Stück existiert keine literarische Vorlage. Angelica wurde von ihrer bigotten Familie ins Kloster verbannt, nachdem sie unverheiratet ein Kind zur Welt gebracht hatte. Das Erscheinen der Fürstin, Angelicas Tante, die von ihr wegen einer Erbschaft eine Unterschrift benötigt, wird zur zentralen Szene, zur Konfrontation zwischen der mitleidlosen Aristokratin und der leidenschaftlichen und verzweifelten Mutter, die sich danach verzehrt, ihren Sohn wiederzusehen, der nach der Geburt von ihr getrennt wurde. Angelica muss erfahren, dass das Kind tot ist. Sie nimmt ein tödliches Gift, und in der Schlussszene erscheint ihr die Gottesmutter mit dem Sohn an der Hand und weist ihr den Weg ins Paradies. Nicht zuletzt diese Szene stieß immer wieder auf Unbehagen, stellte das Werk unter „Kitschverdacht“. Doch Puccini liebte gerade seine Suor Angelica ganz besonders. Er kannte die Welt der Klöster sehr genau, seine Lieblingsschwester Iginia war Priorin eines Benediktinerinnenklosters. Der Komponist spielte und sang den Nonnen die Oper persönlich im Kloster am Klavier vor, als die Partitur vollendet war. Sie sollen ihrer fiktiven „Mitschwester“ ergriffen und mit Tränen der Rührung verziehen haben.

Foto: Brinkhoff/Mögenburg

Gianni Schicchi schließlich erzählt eine Erbschleicherkomödie, die historisch verbürgt ist und in Dantes Göttlicher Komödie überliefert wurde. Puccini machte daraus eine der genialsten Buffo-Opern, die je geschrieben wurden: Der reiche Florentiner Kaufmann Buoso Donati ist gestorben. Als seine Verwandten das Testament finden, in dem das große Vermögen an ein Kloster vermacht wird, legt sich Gianni Schicchi in das Sterbebett, nimmt die Rolle Donatis ein und diktiert ein neues Testament, in dem er zwar die Verwandten bedenkt, aber die wertvollsten Stücke sich selbst vererbt. Das turbulente und hektische Chaos der Familienszenen nimmt von den ersten Takten an rasant Fahrt auf und verleiht den Episoden ein atemberaubendes Tempo, das von der Liebessehnsucht des jungen Paares Lauretta und Rinuccio konterkariert wird, bis hin zur berühmten Arie „O mio babbino caro“, die längst zu einem der größten Opernhits aller Zeiten geworden ist.

Bald nach der Uraufführung wurde die Reihenfolge der Werke immer wieder vertauscht, einzelne Stücke wurden mit anderen Operneinaktern kombiniert. 1937 spielte man im Royal Opera House Covent Garden an einem Abend Gianni Schicchi in Kombination mit Salome, in Hamburg 1961/62 ebenfalls Gianni Schicchi zusammen mit Othmar Schoecks Vom Fischer und syner Fru, bereits 1939 in Hamburg Il tabarro nach zwei Balletten: Igor Strawinskys Der Feuervogel und Tanz um Liebe und Tod von Paul Höffer. Wie der Komponist schätzt Regisseur Axel Ranisch Suor Angelica ganz besonders und stellt dieses Werk als Höhepunkt unserer Neuproduktion an das Ende. Der Abend beginnt mit Gianni Schicchi, gefolgt von Il tabarro. Gemeinsam mit Falko Herold (Bühne und Video) und Alfred Mayerhofer (Kostüme) hat Axel Ranisch eine Rahmenhandlung entwickelt, die im Film- und TV-Milieu spielt und somit die Werke auch inhaltlich verknüpft – denn es geht in allen drei Stücken um dieselben Themen, die jeweils unterschiedlich akzentuiert werden: Liebe, Sehnsucht nach Glück, nach einem anderen, besseren Leben – und Verlust Neid und Eifersucht. Unterstrichen werden diese Verbindungen durch die Besetzung: Elena Guseva übernimmt die Titelpartie in Suor Angelica und die weibliche Hauptpartie der Giorgetta in Il tabarro, Roberto Frontali gestaltet die Titelpartie in Gianni Schicchi und die des Michele in Il tabarro.

Freuen wir uns auf eine neue Puccini-Premiere in prominenter und hochkarätiger Besetzung und Axel Ranischs erste Regiearbeit an der Staatsoper Hamburg!