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Uwe Bohm: „Wie soll ich da gegenhalten?“

Ein Filmschauspieler auf der Bühne der Staatsoper: Uwe Bohm ist der neue Bassa Selim in „Die Entführung aus dem Serail“. Unser Dramaturg Johannes Blum hat den Hamburger zum Gespräch getroffen.

Wir treffen uns in Berlin im Wiener Kaffeehaus, wo man einen wunderschönen Blick auf die Weidendammer Brücke und die Spree hat. Uwe Bohms Blick fällt aber auf etwas anderes – und das  mag der Grund für den Ort der Verabredung gewesen sein – nämlich aufs nahegelegene Theater am Schiffbauer Damm, dem „Berliner Ensemble“. Bohm war dort ab 1992 für kurze Zeit engagiert als Peter Zadek einer der Direktoren war. Peter Zadek: eine, man darf es wohl so sagen, Vaterfigur für Bohm. Väter hatte er einige: den leiblichen, der die Familie früh verließ, den Filmregisseur Hark Bohm, der ihn adoptierte und mit dem er den berühmten Film Nordsee ist Mordsee drehte – und eben Peter Zadek, der als Intendant des Deutschen Schauspielhauses Bohm als Hauptdarsteller des „Anti-Musicals“ Andi ins Rampenlicht der öffentlichen Aufmerksamkeit katapultierte. Das war 1987. Als Jack the Ripper in Zadeks Jahrhundert-Inszenierung der Lulu stand Bohm mit Susanne Lothar, Ulrich Tukur und Ulrich Wildgruber auf der Bühne. Erinnerung liegt in dem Blick von Bohm (und meinem, der ihm folgt) auf das Berliner Ensemble. Seither ist Bohm in zahlreichen TV-Rollen der „Psycho vom Dienst“ (wie eine Zeitung einmal despektierlich, aber nicht ganz falsch schrieb). Eine feste Theaterfamilie hat Uwe Bohm nach Zadek nicht mehr  gefunden.

Warum ich ihn treffe? Vordergründig aus Anlass dieses Berichtes, der das Publikum über die Vorstellungen der Mozartschen „Entführung aus dem Serail“ informieren soll, in denen er den Bassa Selim spielen wird. In der Premiere war das Johannes Schaaf, der damals auch Regie führte. Damals – das war 1993, vier Jahre nach dem Mauerfall, gerade als Bohm am BE engagiert war. Neben der Ausbeute dieses Artikels sollte auch noch was anderes herausspringen bei dem Treffen: Ich wollte mit ihm über Stück und Rolle reden. Und Bohm steigt schnell darauf ein.

Die betörende Macht des Singens

Ich spüre sofort: Da ist ein Schauspieler, der gräbt, forscht, liest, um zwischen sich und der Rolle eine Brücke zu schlagen. Wo ein Sänger in die Musik eintaucht und die Rolle singend für sich lebendig macht, da sammelt der Schauspieler den Stoff, um sich auf die szenischen Proben vorzubereiten. Was wird geschehen, wenn diese beiden Genres, diese beiden „Methoden“ in einem Stück zusammen- oder aufeinandertreffen, wo beide auch noch ein kompliziertes Liebes- und Abhängigkeitsverhältnis zu erzählen haben?

Für einen Schauspieler natürlich ungewöhnlich: Er kann diese Figur nicht über 6 oder 8 Wochen entwickeln, er hat nur ein paar Tage echte Arbeitsproben mit Laura Aikin, einer Sängerin, die in  dieser Inszenierung bereits zweimal eingesprungen ist und die Konstanze in mehreren Produktionen weltweit gesungen hat. Sie kennt „ihre“ Konstanze also gut. Bohm aber muss den Bassa, die Entführung, die Inszenierung, aber auch die Oper als neues Genre für sich entdecken. Er spricht von der Schwierigkeit, „die Musik einzufangen, damit sie den Schauspieler trägt“. Er will mit  seiner Partnerin suchen, was sie zusammen auszutragen haben. Doch in einer Hinsicht hat die Sängerin einfach bessere Karten: Er und sie führen zwar (gesprochene) Dialoge miteinander, das  könnte ein temporärer Vorteil für ihn sein, doch eins hat sie (und auch wohl die Figur) ihm voraus: Wenn sie beginnt zu singen, schweigt er und kann auch nicht singend antworten. Und man weiß, was für eine überzeugende, betörende Macht das Singen ist.

Entführung und Freiheit

„Ich glaube, dass sie ein großes Interesse am Bassa hat, im Grunde könnten sie ein tolles Paar sein, aber dann gibt’s ein Problem, sie hat einen anderen, und sie fragt sich, was mache ich jetzt? Das was er aufgeben musste, nachdem er vom Vater Belmontes um alles gebracht wurde, wird ihm ja wieder präsentiert, er wird mit dieser alten Geschichte wieder konfrontiert.“ Er beschreibt, dass ein zweiter Verlust drohe. Bohm beginnt auszuholen: Er habe interessante Bücher gelesen über das Osmanische Reich, die Mächtigen im Sultanat, die Freiheit, die ein Europäer wohl empfunden haben mag im Vergleich mit den staubigen Machtstrukturen im monarchischen Europa. Er sagt, dass der Bassa zwar den islamischen Glauben annehmen musste, aber schließlich sei das eine  vergleichsweise günstige Eintrittskarte in ein anderes Leben. Der Reiz einer fremden Umgebung liege doch darin, diesen „anderen Ort“ zur Gelegenheit zu nehmen, all das, was „zu Hause“ nicht geht, einmal rückhaltlos auszuleben und auszuprobieren. „Ich glaube das, ich habe mir das so ausgedacht.“

Bohm spricht schnell, man ahnt in der Diktion noch den Hamburger Schnellsprech. Er lacht viel, teilt mit, fordert aber auch Aufmerksamkeit. Kommen wir mit der Probenzeit aus, so mein Gedanke. Wir sprechen über die tieferliegende Assoziation des Wortes „Entführung“ im Titel der Oper. Entführung beschreibt einen Vorgang des erzwungenen Übergangs von Freiheit in  Gefangenschaft. Sollen wir die Befreiung von Konstanze und Blonde durch Pedrillo und Belmonte eben gerade so verstehen? Dann hieße das, die Ehe im europäischen Abendland sei für beide Frauen das zukünftige Gefängnis, während eine Ahnung von Freiheit, die sie im Serail genossen haben, nur noch Erinnerung bleibt. Der Bassa, die etwas komplexere Ausgabe einer liebenden  Männerpsyche als Belmonte und Pedrillo, hat Charme, ist gebildet, und er vermittelt Konstanze, er könne warten (was ihm weniger gut gelingt, als ihm lieb ist). Uwe Bohm nimmt den Ball auf: „Sag deinem Vater: man kann unter ‚Muselmanen’ leben und doch ehrenwerter handeln als du es getan hast.“

Bilder der Vergangenheit

Dann spricht er über Hafiz: „Viele Europäer waren mit dem Christentum fertig oder ratlos und wandten sich anderen geistigen Orientierungen zu. Bassa hat Hafiz gelesen, glaube ich.“ Bohm erzählt von einem Roman Die Königsdame: literarisch wohl eher durchschnittlich, aber  mit populärwissenschaftlichem Ethos versehen. Bohm weiß alles über die Janitscharen, und er erzählt von einer erstaunlichen Parallele zwischen den europäischen und den Bauernkriegen im Osmanischen Reich, die zeitgleich Anfang des 16. Jahrhunderts sowohl da wie dort tobten, beide verbrämt und befeuert mit Religion als motivierende Ideologie. Hier waren es Martin Luther und  Thomas Müntzer, dort Schiiten gegen Sunniten (damals schon!). Bohm sucht, was ihn „ankratzt“, sucht, wo er Material herbekommt, um diese Fremdheit, diesen Spalt zwischen Stückfigur und Schauspielersein zu überbrücken. Er sagt, dass Konstanze in bewundernswerter Stärke ihren Status behauptet, obwohl sie doch emotional total verwirrt ist. „Wenn man die beiden vergleicht: Der Bassa ist ja irgendwie ein Junge gegen sie. Wie soll ich da gegenhalten?“

Wieder Zadek-Erinnerung, diesmal Wien: „Ich probte gerade mit ihm Der Jude von Malta und da war gerade der Anschlag auf das World Trade Center passiert und ich hatte den Satz zu sagen:  Wir zerstören jetzt diese beiden Türme der Stadt. Zadek wollte irgendwas antiamerikanisches da reinbringen. Das ging aber dann nicht mehr.“ Plötzlich wird die Entführung von Schaaf zum Eintritt in eine andere Zeit. Theaterbilder von damals laden sich unter dem Eindruck von heutiger Geschichte gehörig auf: Wenn Osmin in seiner Arie vom Köpfen singt und die Europäer vor ihm am Boden knien mit verhüllten Köpfen, kommen unwillkürlich Bilder von Guantanamo auf. Schlimmer noch: die Köpf-Videos des IS. Im Januar 1993 war Premiere. „Damals war ja Goldene Zeit, Clinton war Präsident“, sagt Bohm. Clinton begründete das NAFTA Freihandelsabkommen mit Mexiko und Kanada. Und heute?

Bohm vermisst Zadek sehr, man spürt das. Auch Zadek sprach mit Hamburger Zunge. Einmal, ganz kurz nur, macht Bohm ihn nach.

Das Interview führte Johannes Blum (journal 6/2017)