Vom Leben inspiriert – Puccinis „Heldinnen“
Der Abend des 9. September 2021, wenn sich der Vorhang zur Wiederaufnahme von Puccinis „Manon Lescaut“ hebt, wird als ein besonderer in die Geschichte des Hamburger Opernhauses eingehen: Sonya Yoncheva gibt in der Titelrolle ihr Haus- und Rollendebüt und die Staatsoper Hamburg nimmt nach der pandemiebedingten Unterbrechung den lange ersehnten Repertoirebetrieb mit einigen der schönsten Produktionen wieder auf. Dazu gehört neben „Manon Lescaut“, mit der Puccini zum wichtigsten italienischen Komponisten nach Verdi avancierte, auch sein Meisterwerk „Tosca“.
„Was habe ich mit Helden und unsterblichen Gestalten zu schaffen? In solcher Umgebung behagt es mir nicht.“ Behagt hat es Giacomo Puccini, den genialen Komponisten und Lebemann, Autonarren und passionierten Jäger, in der Umgebung des weiblichen Geschlechts. Aus ungezählten Liebesverhältnissen schöpfte er die Inspiration für seine Opern und erfand mit Manon, Mimì, Tosca oder Cio-Cio San facettenreich schillernde Frauenpersönlichkeiten für die Bühne – mit viel Phantasie, denn die lebenslange Liebe blieb dem umgarnten, gutaussehenden und erfolgreichen Komponisten versagt.
Die Frauen in Puccinis Leben
Mit der verheirateten Elvira Bonturi, die ihren Ehemann verlassen hatte – skandalös zur damaligen Zeit! – lebte Puccini in „wilder Ehe“ zusammen. Doch was in so großer Verliebtheit begann, wurde später in einer Zweckgemeinschaft zum psychologischen Albtraum, in dem notorische Untreue auf pathologische Eifersucht prallte. Als „piccoli giardini“ (kleine Gärten), die man einem Künstler nicht verwehren dürfe, hatte Puccini seine erotischen Eskapaden verteidigt – ohne Affären keine Inspiration für die kleinen und großen Liebesdramen in der Oper. Da wäre die große Unbekannte in den Jahren nach der Tosca-Uraufführung 1900, mit kriminalistischem Spürsinn hat Helmut Krausser sie erst 2008 in „Die kleinen Gärten des Maestro Puccini“ als die junge Näherin Maria Anna Coriasco enttarnt. Auf massiven Druck von Puccinis Verlagshaus Ricordi, das nicht vor Privatdetektiven und Prozessen zurückschreckte, und seiner inzwischen verwitweten Lebensgefährtin Elvira, die mit allem Nachdruck danach strebte, Madame Puccini zu werden (was ihr schlussendlich auch gelang), musste sich der Komponist von seiner geliebten „Cori“ trennen. 1908 geriet die Hausangestellte Doria Manfredi in die Mühlen der Eifersucht Elviras, die allen Grund hatte, ihrem Mann zu misstrauen, nur dieses eine Mal nicht. Von übelster Nachrede und Unterstellungen verfolgt, ging das schlichte Dorfmädchen schließlich den Weg der Opernheldinnen und vergiftete sich selbst. 1911 lernte Puccini die bayerische Baronin Josephine von Stengel kennen, mit ihr reiste er zu den Bayreuther Festspielen, um seine Lieblingsoper von Wagner, den „Parsifal“ zu hören. Während des Ersten Weltkriegs traf sich das Paar in der neutralen Schweiz, bis der italienische Konsul derlei „konspirative Treffen“ auf diplomatischem Weg vereitelte. Eine letzte Liebe fand der mittlerweile 63-Jährige in Hamburg: Es war die über 30 Jahre jüngere Sopranistin Rose Ader, die am hiesigen Opernhaus 1921 in der Deutschen Erstaufführung der „Suor Angelica“ die Hauptrolle sang. In glühenden Briefen brachte Puccini seine Zuneigung aufs Papier, die Rendezvous fanden weit entfernt von Elvira in Mailand, München oder Wien statt. Als 1922 dieses späte amouröse Abenteuer zu Ende ging, war der Komponist mitten in der Arbeit an seiner letzten Oper „Turandot“. Ein Schreiben an Rose Ader gewährt einen seltenen Blick in seine Komponistenwerkstatt: „Liù klagt, und wenn ich komponiere, denke ich an Dich, meine arme, süße und gute Rose!“ Verdanken wir die ergreifende Schlussszene der Liù, in der sie der eiskalten Prinzessin Turandot ihr zukünftiges Liebesglück prophezeit, Puccinis Gedanken an Rose Ader?
Puccinis Frauen auf der Bühne
Außergewöhnliche Frauen stehen auch in Puccinis Welterfolgen im Mittelpunkt, keine gleicht der anderen, interessant sind sie alle: Die japanische Kindgeisha Cio-Cio San, die femme fragile Mimì und die leichtlebige Musetta, das bibel- und trinkfeste Cowgirl Minnie, die männermordende chinesische Prinzessin Turandot. Puccini machte sie zu seinen Heldinnen, auch wenn sie die Opfer der Geschehnisse werden, die ihnen das grausame Schicksal, skrupellose Männer oder die eigene Verliebtheit aufgezwungen haben. Dann erstechen oder vergifteten sie sich wie Liù oder Schwester Angelika, springen in ihrer Verzweiflung in den Tod wie Tosca oder verdursten gemeinsam mit dem Geliebten in der Verbannung wie Manon Lescaut. Die Liebe zu seinen Protagonistinnen riss den Komponisten zu Höchstleistungen hin, für sie erfand er die schönsten Melodien, die glücklichsten wie die schmerzlichsten, spielerische wie todernste.
In „Manon Lescaut“, seinem ersten großen Erfolg als Opernkomponist, fokussiert Puccini die Handlung hauptsächlich auf das Seelengemälde des Paars Manon und Des Grieux. Keine andere seiner Opern gibt dem Tenor mit sechs Arien und weiteren Duetten eine solche Bühnenpräsenz, dennoch bleibt er eindimensional in seiner Rolle und musikalischen Gestaltung. Seine Hauptaufgabe ist, herzerweichend sein Schicksal zu beklagen und Manon seine Liebe zu gestehen – er wird letztendlich zum Satelliten der Frau, der er verfallen ist. Manons Rolle ist weit differenzierter, ihre Entwicklung ist atemberaubend. Das unschuldige Mädchen wird zur koketten Mätresse und leidenschaftlichen Liebhaberin, bevor sie tragisch als Gefangene und Sterbende endet. Der sensibelste unter allen Puccini-Liebhabern ist noch der Maler Cavaradossi, ein Mann mit Idealen, ein Künstler mit edlen Zügen, der aber im Kräedreieck zwischen Tosca und dem grandiosen Bösewicht Scarpia gefangen bleibt. Dennoch ist Puccinis Mannsbildern der Beifall gewiss – für ein gut geschmettertes hohes C und ihre mitreißenden Arien, die zu den Höhepunkten des Opernabends zählen, ob Cavaradossis „E lucevan le stelle“ oder Des Grieux` „Donna non vidi mai“. Sie mögen das Publikum begeistern, das Mitgefühl aber gebührt Puccinis Heldinnen. Sein menschlicher Blick auf das „Ewig-Weibliche“ verzaubert und rührt das Publikum nunmehr seit über 100 Jahren.
Von Daniela Becker, erschienen im journal Nr. 1 der Spielzeit 2021/22