Welche Rolle spielt eigentlich… ein Maskenbildner?
Um dieser Frage auf den Grund zu gehen, habe ich dem Auszubildenden Richard Niermann aus der Maskenabteilung in den letzten Wochen vor seiner Prüfung Modell gestanden und so hautnah miterleben dürfen, was die „Verwandlungskünstler“ hinter den Kulissen alles an Effekten und Illusionen erzeugen können.
Viele Opernbesucher nehmen zu allererst den Gesang, das Bühnenbild sowie die Kostüme wahr. Dabei sind im Hintergrund unzählige weitere Personen tätig, die einen reibungslosen Ablauf gewährleisten. Ich hatte im Rahmen meines FSJs (Freiwilliges Soziales Jahr Kultur) die Möglichkeit, mir einen dieser Berufe genauer anzuschauen und am eigenen Leib mitzuerleben, was sowohl unmittelbar vor der Vorstellung, als auch schon während der Probenphase als Maskenbildner geleistet wird.
Beim Betreten der Werkstätten fällt einem sofort die Masse an Holzköpfen, Perücken, Spiegeln und Arbeitsplätzen auf. Hier entsteht alles, was den Charakteren auf der Bühne oberhalb der Schultern Leben einhaucht und viele Illusionen erst möglich macht.
Alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben in der Werkstatt einen individuellen Arbeitsplatz mit ihren Materialien und Arbeitsutensilien.
Da Richard zur Übung und für seine finale Prüfung jemanden suchte, den er „alt“ schminken kann, bot ich mich als Modell an. Seine Aufgabe ist: Haare weg, Bart dran, Falten schminken. Für mich bedeutete dies, still dazusitzen und im Spiegel zu sehen, wie ich mich äußerlich grundlegend verändere – ein unglaublich befremdliches Gefühl! Es ging sogar einmal so weit, dass ich mich aus dem Augenwinkel selbst nicht mehr erkannt habe. Richard ist in vielen Einzelterminen schrittweise vorgegangen – erst nur der Bart, dann die Schminke, dann nur die Glatze und schlussendlich das, womit er in seiner Prüfung überzeugen musste.
Jeder Maskenbildner muss bereits gelernter Friseur sein, bevor man mit der Ausbildung anfangen darf. Dies hat den Hintergrund, dass die Kompetenzen, die die Handhabung von Haaren und Frisuren betreffen, als Voraussetzung gegeben sind. Dadurch ist Richard inzwischen bereits im sechsten Ausbildungsjahr.
Perücken, Bärte und Haarteile werden ausschließlich aus Echthaar gefertigt, da es sich besser frisieren lässt und hitzebeständiger ist als Kunsthaar.
Um eine Perücke herzustellen, wird über einen Holzkopf ein feines Netz gespannt und die Haare anschließend einzeln eingeknüpft. Der gesamte Prozess dauert ca. 40-50 Stunden. In Einzelfällen werden auch Bärte nach demselben Schema gefertigt. In meinem Fall wurden die Barthaare frei auf das Gesicht aufgeklebt. Dafür wird zuerst eine Schicht Kleber aufgetragen, anschließend werden die Haare büschelweise angedrückt, ausgekämmt und frisiert. Falls nötig, werden die Haare an den Enden mit einem heißen Eisen gebrannt, um eine natürlichere Wuchsrichtung vorzugeben.
Die Glatze besteht aus „Glatzan“; eine gummiartige Substanz, die flexibel, relativ reißfest und schminkbar ist. Um eine Glatze herzustellen, wird das Glatzan in mehreren Schichten immer abwechselnd mit hautfarbener, roter und blauer Farbe auf einen Holzkopf aufgetupft und anschließend getrocknet. Die verschiedenen Farben sorgen für eine gewisse Unruhe im Hautton, was wesentlich natürlicher wirkt. Dies dauert in der Regel etwa eine Stunde. Geklebt wird mit so genanntem „B-Kleber“, der nicht zu schnell trocknet, zuverlässig klebt und sich mit Alkohol recht gut wieder ablösen lässt. Trotzdem hatte ich nach jeder Sitzung noch stundenlang Kleber an den Gesichtsrändern.
Falten werden erzeugt, indem die Teile des Gesichts, die im Alter einfallen, dunkel geschminkt werden. Es entsteht somit ein plastisches, realistisches Bild. Besonders hervorgehoben werden die Augenhöhlen und Tränensäcke, sowie die Mund-, Nasen- und Stirnpartie. Um dies realistisch schminken zu können, muss ein Maskenbildner wissen, wo sich welche Knochen und Auswüchse befinden. Daher sind zum Ausüben des Berufes auch anatomische Kenntnisse von Nöten.
Soll die Gesichtsstruktur radikal geändert werden, muss mit plastischen, vorgefertigten Teilen gearbeitet werden, die ebenfalls aufgeklebt werden. Dazu gehören beispielsweise fremde Nasen, Ohren oder Geschwüre.
Maskenbildner müssen mit theaterüblichen Arbeitszeiten umgehen können. Vor den Proben bleibt vergleichsweise wenig Zeit, es wird viel abends und am Wochenende gearbeitet. Zudem dürfen sie keine Berührungsängste haben und müssen sich auch gut auf Englisch verständigen können, wenn sie mit internationalen Künstlern arbeiten. Das Hantieren mit gefährlichen Stoffen steht ebenfalls auf der Tagesordnung.
Die Prüfung erstreckt sich über zwei Tage: ein Tag am Modell und ein Tag an Attrappen. Am ersten Tag muss eine (zufällig durch den Prüfungsausschuss ausgeloste) historische Frisur nachgebildet, eine Maske mit Wunden und Narben aus plastischen Teilen erstellt, eine eigene freie vorbereitete Fantasiemaske vorgestellt (in Richards Fall ein Schwein), eine „Altmaske“ erstellt (an mir), ein Totenschädel geschminkt und eine Improvisationsmaske erstellt werden. Für jede Aufgabe standen zwischen 30 und 100 Minuten Zeit zur Verfügung. Am zweiten Tag ging es hauptsächlich um Frisuren.
Dies alles so hautnah miterleben zu können hat mein Gesamtbild eines Theaterbetriebs enorm erweitert und mir selbst zusätzliches Wissen und Erfahrungen vermittelt. Alles in Allem war es ein Aspekt, der das FSJ noch einmal interessanter und vielseitiger gemacht hat.
Malte Bungard