Was, wenn es knallt? – Eine Hypothese

Eine Bar in der Oper kennt man, aber selten saß man so mittendrin. Die sieben Figuren, die die miniBAR bevölkern, erleiden keine großen Schicksale sondern zelebrieren mit viel schwarzem Humor die kleinen, vermeintlich banalen Sorgen des Alltags im Jahr 2016.

Ihre Einsamkeit und ihre Alltäglichkeit entwickeln sich in der miniBAR zur Überhöhung und finden Ausdruck in Tinder-Dates, Jobsuche und billiger Anbiederung. Ihre Verzweiflung gipfelt in einer hilflosen, scheiternden Revolution eines desillusionierten Lehrers. Die Bar wird zu einem „rabbit hole“ in eine abgeschlossene Welt hinein, mit eigener Logik und einem Tiger, der die Magie der Bar als ein Potential zum Glücklichsein symbolisiert. Ein Potential, das nicht eingelöst wird, da die Individualisierung der Figuren zu weit fortgeschritten ist. Sie bleiben in ihrem eigenen kleinen Leben gefangen, unfähig, außerhalb der Bar die Probleme einer explodierenden Welt zu sehen, unfähig, ein eigenes kleines Glück im Zusammenleben mit anderen Menschen für sich selbst zuzulassen. So bleibt die Bar ein zutiefst trauriger, trivialer Ort und ein „Hotel California“.

Hier im virtuellen Raum fragt sich die Librettistin, was hypothetisch in der miniBAR passieren würde, wenn eine Revolution sich ankündigt und es tatsächlich knallt.

 

Teil Eins

Episode 1 – alle reagieren nur indirekt auf die Nachricht.

 

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SIE zu sich: Ich knall IHM gleich eine. Wieso teile ich mit dem ein Bankkonto? Fauler Sack.

ER zu sich, müde: „Es geht hier nicht um Selbstverwirklichung, es geht darum, Sie aus der Arbeitslosigkeit heraus- und auf dem ersten Arbeitsmarkt unterzubringen. Da geht es nicht um Selbstverwirklichung“, das sagen sie dir. Da geht es nicht um Selbstverwirklichung. (leise) Da geht es nicht mal um das Selbst.

Alleinerziehende zu sich, hektisch: Oh, ich hab die Kaffeemaschine nicht ausgemacht? Sch***! Das Fahrticket? Ach hier. Puh! Oh nein, jetzt ist das Foto zerknittert. Mist.

Alte zu sich, lächelnd: Knall, knall, knall. Rote Funken wie rotes Blut.

Barmann: atmet schwer, als würde ihm ein Zentner Trümmerschutt auf der Brust liegen, doch er lächelt, zieht die kugelsichere Weste an und bereitet Shots mit in Wasser aufgelöstem MDMA vor. Ein Tiger lächelt auf dem Tresen.

Hörgerätemann: Kauft! Hörgeräte!

 

Episode 2 – Alle reden über die Nachricht, überlegen, was sie bedeuten soll und ob etwas zu tun ist

 

Alleinerziehende zu SIE: Was halten Sie denn von dieser Nachricht?

SIE: schaut nur kurz hoch und schaut wieder auf ihr Smartphone.

Alleinerziehende: Wie kann Ihnen denn das egal sein? Vielleicht ist das eine Warnung?

ER zu Alleinerziehende, wichtig: Lassen Sie mal sehen. Das hört sich eher nach einer Drohung an.

Alte deklamiert laut und langsam zu allen: Eine Drohung würde mehr stechen.

SIE: Knallen ist so 2011.

Alleinerziehende zu SIE: Wollen Sie das denn ignorieren?

SIE zu ihrem Smartphone: Dionysos 3000, swipe right to like and left to pass.

Alleinerziehende wird langsam hysterisch: Wir müssen doch was tun!

ER: hmmm…

Alleinerziehende hysterischer: Ich rufe jetzt die P…

Ein simultanes Pfeifen aller Smartphones unterbricht das Wort:

Teil Zwei

revolution

Episode 3

SIE: Kitschig.

ER: Hier?

Hörgerätemann: Jetzt?

ER: Ein Bier! Dann bin ich bereit.

Alleinerziehende beginnt zu hyperventilieren: hahaha hehehe hooho hhui ui hui hui (ersticktes Flüstern) Ich habe Angst.

SIE: Guck da nicht so hin.

Alleinerziehende: Ich höre Sirenen. (rollt sich auf dem Sofa ein, murmelt vor Angst fast erstickend) Wäre ich bloß zu Hause geblieben.

Hörgerätemann: Hören hilft. (flehend) Bitte!

Barmann kommt mit seinem Tablett Shots. Alle trinken. Entspannen sich. Fangen an, einander wirklich in die Augen zu sehen. Lächeln. Berühren sich. Ihre Kieferknochen mahlen. Der Barmann geht ruhig hinter seine Bar zurück und legt sich hinter dem Tresen auf den Boden.

ER schleicht um Tür und Fenster der Bar herum, die auf die Straße zeigen, als überlegte er, ob er die Bar verlassen soll oder nicht. Seine Kieferknochen mahlen geschäftig, leicht aggressiv. Jemand oder etwas nähert sich dem Fenster, alle anderen bemerken nichts, doch seine Augen weiten sich. Er weicht zurück hinter einen Pfeiler, der im Raum steht.

Episode 4

Ein Knall.

Alte (juchzt): Ein roter Vulkan aus blutigen Erdbeeren.

Die Alte malt mit dem an ihrem Arm heruntertropfenden Blut ein Muster und verlässt lächelnd den Raum. SIE und die Alleinerziehende sind vielleicht tot.
Der Barmann bewegt sich unter zersplitterten Flaschen Gin, Brandy, Rosé.

 

Episode 5

 

ER traurig im Sterben: Hartz IV. Ein Bier.

Hörgerätemann sterbend: Am Ende der Frieden.

 

Falls alle überleben, liegt es an ihnen selbst, einen Ausweg aus der miniBAR zu finden. Die Librettistin kann ihnen da nicht helfen.

 

miniBAR – die Macher

Jedes Jahr im Oktober werden 15 junge Opernbegeisterte in den Zirkel der „Akademie Musiktheater heute“ der Deutschen Bank Stiftung aufgenommen. Die Stiftung ermöglicht ihnen eine zweijährige, berufsbegleitende Fortbildung und diskursive Auseinandersetzungen mit zeitgenössischen Musiktheaterkonzepten. Zum Abschluss dieser Förderung unterstützt die Stiftung jeden Jahrgang bei Komposition und Umsetzung einer Uraufführung an einem deutschen Theater.
Diese jungen Musikschaffenden entwickelten innerhalb der letzten zwei Jahre dezentral über Deutschland und Europa verteilt, bei seltenen gemeinsamen Barbesuchen oder allein am Schreibtisch via Email, Dropbox, und Smartphone die Oper Minibar.
In diesem Stück wird nicht mit bekannten Stoffen gearbeitet, sondern die oft unbegreifliche Lebensrealität ihrer Generation näher beleuchtet.