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Wir sind die rußverschmierten kleinen Glücksbringer!

Die opera piccola bringt Benjamin Brittens „Der kleine Schornsteinfeger“ auf die Bühne. Unsere Dramaturgin Janina Zell über den Inhalt und Hintergrund der Kinderoper.

Wir, das sind Julia, George und Sophie; die Kinder des Hauses. Und natürlich John, Hugo und Tina; unsere Cousins und Cousine, die ein bisschen weiter weg wohnen und gerade bei uns zu Besuch sind. Und der kleine Kerl im Schornstein; das ist Sam. Wie er da hineingekommen ist? Das ist eine lange Geschichte von Vätern in Not, die ihre Kinder verkaufen, großen Schornsteinfegern, die schmächtige Buben die engen Kaminschächte putzen lassen und fiesen Haushälterinnen, die das Ganze auch noch unterstützen! Und wie er da wieder herauskommt? Das werden wir euch zeigen …

Mit Phantasie, Abenteuerlust und jeder Menge Musik machen sich die Kinder ans Werk, um den kleinen Sam aus den düsteren Fängen des Schornsteinfeger-Meisters zu befreien. Als der um Hilfe rufende Sam endlich rußverschmiert aus dem Kamin herausplumpst und mitten in ihrer schönen Kinderstube landet, können sie es kaum fassen: Wie kann ein kleiner Junge von gerade mal acht Jahren eine so gefährliche und schwierige Arbeit machen und einen schmalen Schornstein hinaufklettern? Von Fragen gelöchert, erzählt Sam von seinem schweren Los, das für viele Jungen einst harte Wirklichkeit war: Schmächtige Buben wurden in früheren Zeiten enge und verwinkelte Schornsteine hinaufgeschickt, um sie zu fegen. Dass damit nun ein für alle Mal Schluss ist, daran lassen die Kinder keinen Zweifel. Schließlich ist Sam doch ein Kind wie sie, das herumtoben, spielen und lachen will. Zusammen mit ihren liebsten Spielsachen – Puppe, Teddy und Roboter – und natürlich Olga, dem Kindermädchen, schmieden sie einen Plan, um Sam zu retten.

Trotz des ernsten Ausgangspunktes, der typisch ist für Benjamin Brittens von Leid und Unterdrückung geprägtes Musiktheaterwerk, entpuppt sich die Familienoper vom kleinen Schornsteinfeger schnell zu einem farbenfroh mitreißenden Musikfluss, der Trauer und Freude, Ernst und Spiel, Schicksal und Erlösung in gewitztem Ton miteinander vereint. Als Klassiker des Kindermusiktheaters führt die Oper seit ihrer Uraufführung im Jahr 1949 beim Aldeburgh Festival Kinder an die Oper heran. Der kleine Schornsteinfeger (The Little Sweep) bildet ursprünglich den abschließenden Teil von Machen wir eine Oper! (Let’s Make an Opera!), wird aber häufig auch eigenständig aufgeführt – so auch bei uns. Während der erste Teil des Gesamtwerkes als Schauspiel angelegt ist und zeigt, wie eine Oper entsteht, welche Rolle die Musik spielt und in welchen Formen sie auftritt, wird im folgenden Part die Oper Der kleine Schornsteinfeger aufgeführt. Bei uns steht die Oper im Mittelpunkt. Gefragt und erklärt wird natürlich trotzdem: Was ist eine Oper? Wer ist der Mensch mit dem Stock in der Hand? Und wie geht es weiter?

Unsere Spielzeuge (Puppe, Teddy und Roboter) haben nicht nur jede Menge Fragen, sondern auch spannende Antworten. Und wie klingt die Musik? Das hört ihr gleich: In der knapp einstündigen Oper von Benjamin Britten (1913-1976) bringen Kinder, Jugendliche und ausgebildete Sänger die verschiedensten Formen von schlichten Arien über Unisono-Chöre bis hin zu schwierigen Ensembles auf die Bühne. Die erste Chornummer lädt auch euch zum Mitsingen ein! Und natürlich darf ein Orchester nicht fehlen. Mit Streichquartett, vierhändigem Klavier und Schlag werk zaubert Britten in Kleinstbesetzung ein vor Energie geradezu strotzendes Klangleben. Die Handlung von Brittens Oper spielt im Winter 1810 im englischen Suffolk. Sie geht zurück auf William Blakes Gedicht „Der Schornsteinfeger“ (The Chimney Sweeper) aus der Sammlung Lieder der Unschuld (Songs of Innocence) und behandelt ein geschichtliches Thema: Schornsteinfegen als Kinderarbeit. Bekanntlich bringen Schornsteinfeger ja Glück. Dieser Aberglaube stammt noch aus dem Mittelalter, als die Schornsteinfeger durch ihre Arbeit dafür sorgten, dass verschmutzte Kamine nicht die Häuser in Brand setzten. Für die kleinen Schornsteinfeger bewahrheitete sich aber vielmehr das Sprichwort: „Des einen Freud’, des anderen Leid.“ – In früheren Zeiten wurden Waisenkinder und Kinder, die von ihren Eltern aus Not verkauft wurden, in enge Schornsteine hinaufgeschickt. Eine technische Vorrichtung, um Kamine zu säubern, gab es damals noch nicht und die erwachsenen Schornsteinfeger waren zu groß, um in die schmalen Schächte hineinzuklettern. Mit Schabern oder mit bloßen Händen mussten die Schornsteinfeger-Kinder den festgesetzten Ruß abkratzen und sich Stück für Stück den Kamin hinaufarbeiten – eine gefährliche Arbeit, die viele Kinder das Leben kostete. In England wendete sich ihr Schicksal 1875 mit dem Chimney Sweepers Act: Von nun an mussten Schornsteinfeger für die Ausübung ihres Geschäfts eine Lizenz beantragen, die voraussetzte, dass sie keine Kinder beschäftigten. In anderen Landstrichen, darunter auch das Tessin, hielt man noch bis Mitte des 20. Jahrhunderts an der Kinderarbeit fest und schickte die Bauernbuben zum Schornsteinfegen nach Norditalien.

Die finstere Geschichte der Tessiner Schornsteinfeger-Kinder lässt sich in Lisa Tetzners Jugendbuchklassiker Die schwarzen Brüder aus den Jahren 1940/41 nachlesen. Auch Charles Dickens erzählt in seinem Roman Oliver Twist von 1837 wie der schmächtige Waisenjunge Oliver einem Kaminkehrer übergeben werden soll. Eben dieses Schicksal ereilt den kleinen Sam in Brittens Oper, weil sein Vater ihn aus Not an den Schornsteinfegermeister verkauft. Seinen ersten Schacht soll er im Kinderzimmer einer wohlhabenden Familie erklimmen, in den ihn der Meister hinauftreibt. In all dem Leid und Dunkel werden die Kinder des wohlsituierten Hauses zum wirbelnd-bunten Lichtblick und schmieden gemeinsam einen Befreiungsplan für Sam.

Janina Zell