Hubert Kowalczyk – Eine schöne Stimme reicht nicht!

Der Bassist Hubert Kowalczyk ist seit dieser Spielzeit fest im Ensemble der Hamburgischen Staatsoper.

Der sprichwörtliche Satz – „Viele Wege führen nach Rom“ – trifft sicher auf den polnischen Bassisten Hubert Kowalczyk in besonderem Maße zu. Seine Laufbahn verlief ganz und gar nicht typisch, wenn es bei Sängern so etwas geben sollte? Dass er nach zwei Jahren im Opernstudio der Hamburgischen Staatsoper fest ins Ensemble übernommen wurde, spricht natürlich für sein Können. Dass er nach Hamburg kam, ist eine Verkettung von Zufällen. Vorher studierte Hubert Kowalczyk in Berlin bei Martin Bruns an der Hochschule für Musik „Hanns Eisler“.

„Ich hatte es ehrlich gesagt gar nicht geplant. 2019 hatte ich sogar ernsthaft überlegt, ob ich etwas völlig anderes in Berlin anfange, ich wollte Stadtplanung studieren.“ Das war damals schon seit vielen Jahren die große Leidenschaft des Bassisten. „Ich hatte eine Berufskrise. Ich habe mich gefragt, ob mich die Gesellschaft als Künstler wirklich braucht, ob ich meine Aufgabe als Mensch nicht anders besser erfüllen kann. Wir leben doch in verrückten Zeiten, angesichts der sozialen Veränderungen und des Klimawandels etwa. Als Sänger müssen wir viel reisen. Das ist nicht umweltfreundlich.“ Hubert Kowalczyk spricht langsam und überlegt seine Worte genau. Dass ihm diese emen nahegehen, vermittelt sich in jeder Sekunde unseres Gesprächs. Zufällig erfuhr er von einem Freund, dass das Opernstudio Hamburg noch einen Bassisten suchte. Er bewarb sich spontan und wurde genommen. „Ich habe nicht ernsthaft geglaubt, dass ich einen Platz bekäme.“

Das Hamburger Opernstudio ist ein idealer Berufseinstieg für Sänger*innen. Sie beginnen vorsichtig mit kleineren Partien und sammeln langsam neue Erfahrungen. Ganz besonders wertvoll waren für Hubert Kowalczyk die regelmäßigen Meisterkurse bei renommierten Sänger*innen wie etwa der legendären Mezzosopranistin Brigitte Fassbaender oder auch bei anderen Kenner*innen des „Opern-Business“, zum Beispiel bei Gerd Uecker, dem langjährigen Intendanten der Dresdner Semperoper. „Es bringt einem nicht nur vom rein Gesangstechnischen her sehr viel. Wir hatten spannende Gespräche über die Anforderungen an einen Sänger. Durch Frau Fassbaender und Herrn Uecker konnte ich meinen Glauben an diesen Beruf zurückgewinnen.“

2019 debütierte Hubert Kowalczyk als Alcindoro in „La Bohème“ an der Staatsoper Hamburg. (Foto: Hans Jörg Michel)

Eine Stimme zu haben, Technik, Ausstrahlung und Selbstbewusstsein ist eine Sache. Entscheidend sei etwas anderes. „Brigitte Fassbaender sagte mir – sinngemäß – , es reiche nicht, nur eine schöne Stimme zu haben. Es wäre vielleicht besser, einfach zu schweigen, falls man nichts Besonderes zu sagen oder zu transportieren habe.“ Ein hoher, ein nobler Anspruch. Aber die charismatischsten Künstler*innen sind meist diejenigen, die ihre Inspiration aus den
unterschiedlichsten Erfahrungsbereichen ziehen. Und da sprudeln bei Hubert Kowalczyk gleich mehrere Quellen.

Aufgewachsen ist er in Radom, einer geschichtsträchtigen rund 200.000-Einwohnerstadt, 100 Kilometer südlich von Warschau. Die Eltern sind zwar keine Musiker*innen, aber sie sorgen dafür, dass Hubert Kowalczyk und sein Bruder Klavier spielen, klassische Musik und auch Oper kennenlernen. Der Bruder hat in England, in Oxford und Cambridge, studiert. Er ist promovierter Philosoph.
„Meine Mutter hat uns beide fast gezwungen, ins Ausland für die Ausbildung zu gehen.“ Die Welt kennenlernen, offen sein für Erfahrungen – das sind beste Voraussetzungen, um als Künstler etwas zu sagen zu haben. Die Mutter hat wohl auch intuitiv wahrgenommen, dass Hubert Kowalczyk eine Stimme mit Potenzial hat. „Mein Stimmbruch war schon mit elf Jahren, ganz abrupt. Ich hatte eine sehr tiefe Stimme. Meine Mutter meinte einfach: „Ja, mach’ etwas mit Deiner Stimme! Vielleicht musst Du sie weiter entwickeln, vielleicht steckt irgendetwas drin?’“ Nach dem Besuch der Musikschule in Radom geht Hubert Kowalczyk nicht an die bekannteste Musikhochschule Polens, an die Chopin Universität in Warschau, sondern direkt nach Berlin. Leicht sei das nicht gewesen, mit wenigen
Sprachkenntnissen. Aber nach ein paar Monaten waren die ersten Hürden genommen.

Eine weitere wichtige Erfahrung, die Hubert Kowalczyk nicht missen möchte, war ein längerer Studienaufenthalt im Rahmen des Erasmus-Programms in Italien. In Livorno studierte er bei dem Bassisten Graziano Polidori. „Ich habe eine Tendenz, manchmal zu viel nachzudenken, bevor ich singe. In Italien habe ich bei Graziano Polidori gelernt und versucht, das Denken ein bisschen wegzunehmen und einfach auszuprobieren. Und dann die Kunst und die Architektur in Italien! Außerdem ‚Italianità’ und ‚dolce vita’ zu erleben war sehr bereichernd!“

Hubert Kowalczyk (Mitte) in Massenets „Manon“, im Januar 2021 neuinszeniert von David Bösch. (Foto: Brinkhoff / Mögenburg)

Für die kommende Saison freut sich Hubert Kowalczyk in Hamburg zum Beispiel auf die Rolle des Pistola in Verdis „Falstaff“. „Das ist eine sehr anspruchsvolle Partie, auch lustig. In dieser Spielzeit singe ich noch kleinere Rollen, aber in der nächsten Spielzeit kommt etwas Größeres.“ Pläne hat der Bassist viele. Er will seine Leidenschaft für den Liedgesang pegen, für das russische Repertoire und sich auch das Barockrepertoire erarbeiten. Auf jeden Fall will er sich eine Frische bewahren: „Die größte Herausforderung ist für mich, dass ich nicht mit der Zeit in eine Routine falle.“

Von Elisabeth Richter aus dem journal #1 der Spielzeit 2021I22


Elisabeth Richter studierte Musiktheorie, Komposition, Musikwissenschaft und Schulmusik. Langjährige Autorentätigkeit für Funk und Print (u. a. Deutschlandfunk, WDR, NDR, Neue Zürcher Zeitung, Fono Forum)