Auf einen Schnack mit: Christian Gerhaher
In unserer zweiten Premiere der Spielzeit 2018/19, „Szenen aus Goethes Faust“, ist Christian Gerhaher in der Titelpartie erstmals an der Staatsoper Hamburg zu erleben. Im Interview spricht er über den Romantiker Robert Schumann und dessen Werk.
Sie sind ein international gefragter Schumann-Interpret. Was ist für Sie das Besondere am Oeuvre Schumanns?
Christian Gerhaher: Obwohl mir auch Schumanns Klavier- und Orchestermusik sehr wichtig sind, geht es mir natürlich speziell um die Vokalmusik, und hier vor allem um sein Lied-Schaffen: Die Texte, die er auch aus seiner profunden literarischen Bildung heraus wählt, sind eigentlich immer von besonderer Qualität oder Bedeutung. Schumanns Bemühen war nun aber nicht, wie man das bei Franz Schubert vor ihm oder später bei Hugo Wolf kennt und schätzt, diese Texte und ihren Sinn möglichst deckungsgleich durch Musik abzubilden. Das erscheint zunächst etwas außergewöhnlich, aber bei Schumann ist es großartig, dass es diese starke Konkurrenz zwischen Text und Musik nicht gibt – es ist, besonders in der Zusammenfassung seiner Lieder in Zyklen, dieses teilweise Nebeneinander beider Bedeutungen, das ein gewisses „inhaltliches Schimmern“ erzeugt, geradezu ein Vorteil – nämlich, dort, neben Musik und Text, eine poetische Idee zu entwickeln, die letztlich dieses zyklische Werk überwölbt.
Zum anderen verbinde ich Schumann als zentralen Vertreter einer Epoche, die den Bezug eines Werkes zu seinem Autor, also den Ich-Bezug, das Subjektive geradezu zelebriert, besonders stark mit seinem Werk und hier auch gerade mit dem „Faust“. Denn diese Figur, die bei Goethe ja durchaus negativ besetzt ist, kommt in Schumanns Vertonung recht gut weg – sie verkörpert wohl also zu einem guten Teil, beispielsweise beim „immer strebend sich Bemühen“, den Komponisten selbst.
Was ist die Herausforderung Ihrer Titelpartie im Stück „Szenen aus Goethes Faust“ in der Inszenierung von Achim Freyer?
Christian Gerhaher: Die Herausforderungen bei diesem Stück sind überhaupt sehr vielfältig. Das inkommensurable Werk Goethes musikalisch in seiner Gänze fassen und begreifen zu wollen, ist nicht möglich, deshalb musste Schumann eine an Goethes Werk gemessen sehr kleine Auswahl treffen, die anderes aussagt als ein Theaterstück mit hunderten Figuren in weit über 10.000 Versen. Die Auswahl Schumanns ist aber beileibe nicht beliebig, der ganz „Faust“ steht eigentlich auch hier vor einem: Die Studierstube mitsamt Wette ist in der Ouvertüre repräsentiert, Gretchens passives Schuldig-Werden in den drei Nummern des Ersten, Fausts aktives Sich-Schuldig-Machen in den drei Nummern des Zweiten Teils und die Bergschluchten-Szene im Dritten Teil repräsentiert Fausts Verklärung. Die eigentlich klare Aussage Schumanns aber an einem Abend sinnlich wie geistig begreifbar zu machen, mit einer Vokalmusik, die sich in weiten Teilen eher abstrakt gibt, das ist also die schwierige Aufgabe der Darsteller. Mit all den exotischen Begriffen und Figuren den Zuschauer nicht kapitulieren zu lassen, sondern eine ganzheitliche Erfahrung der condition humaine entstehen zu lassen, mit ihrer Begrenzung und dem Versuch, diese zu durchbrechen, das wäre das Ziel.
Es ist auch musikalisch ein schwer zu realisierendes Werk – die Besetzung ist aufwändig: Man benötigt viele Solisten, einen sehr guten Chor, einen Kinderchor und die Orchesterarbeit ist sehr kompliziert; in der Vergangenheit haben verschiedene Dirigenten und Komponisten versucht, klärend einzugreifen und sich erlaubt, Schumann umzuorchestrieren, weil sie mit seiner Instrumentierung nicht zurechtkamen. Besonders die Bemühungen Nikolaus Harnoncourts haben hier initiativ geholfen, ein transparentes Klangbild Schumannscher Orchestermusik zu etablieren, ohne sich an der Substanz der Schumannschen Werke zu vergreifen – durch kleinteilige Artikulation oder mit bewusster Bändigung des Vibratos beispielsweise.
Eine weitere Herausforderung ist ein Gesichtspunkt, der sich aus dem Projekt selbst ergibt: Goethes Anliegen galt ja nicht nur dem Wort, sondern sehr stark allen optischen Visionen und Effekten. Die visuelle Umsetzung des Wortes und der Musik ist etwas, was ich mir schon immer vorgestellt habe – so gibt es ja in dem großen, geradezu erkenntnistheoretischen Monolog Fausts in der Nummer 4 vor den zentralen Worten „Am farb’gen Abglanz haben wir das Leben“ so etwas wie eine harmonische Repräsentation der Farbenlehre Goethes in acht Takten. Und so muss es natürlich ein Künstler mit ausgeprägter visionärer Kraft sein, der sich dieser Herausforderung stellt, und das ist Achim Freyer ohne jeden Zweifel. Er ist ein in seinem radikalen Künstlertum und neben seinen sämtlichen anderen besonderen Fähigkeiten ja ursprünglich ein ausgezeichneter Bildkünstler, und ich glaube, die Farbigkeit dieses Werkes einzufangen, kann bei ihm ideal gelingen.
Wir freuen uns sehr, dass Sie endlich an der Hamburgischen Staatsoper zu erleben sind. Haben Sie einen besonderen Bezug zu Hamburg?
Christian Gerhaher: Ich bin durch und durch Bayer, wobei natürlich auch da viele Einflüsse von anderen Ländern, aber Hamburg… ach, lassen wir das! Aber ich freue mich immer, in Hamburg zu sein, weil es eine so schöne und anregende Stadt ist, an der ich die wechselnden Wetterverhältnisse liebe, weil ich Wind und Regen mag und weil ich froh bin, wenn es nicht so heiß ist. Außerdem mag ich den Hafen – als ich früher Medizin studierte, wollte ich immer Schiffsarzt werden. Ich finde Hamburg ist eine erschreckend ideale Stadt. Eigentlich frage ich mich manchmal, warum ich nicht hier lebe.
Christian Gerhaher
Christian Gerhaher wurde in Straubing geboren. Während seiner Studienzeit bei Paul Kuen und Raimund Grumbach besuchte er an der Münchner Hochschule für Musik die Opernschule und studierte dort zusammen mit Gerold Huber Liedgesang bei Friedemann Berger. Neben einem Medizinstudium rundete er seine stimmliche Ausbildung in Meisterkursen bei Dietrich Fischer-Dieskau, Elisabeth Schwarzkopf und Inge Borkh ab. Derzeit unterrichtet Christian Gerhaher selbst gelegentlich in ausgesuchten Meisterklassen, er ist Bayerischer Kammersänger, Honorarprofessor der Münchner Hochschule für Musik und Theater sowie Träger des Bayerischen Maximiliansordens für Wissenschaft und Kunst.