Aus sich herausstrahlen – Ensembleportrait Han Kim

Der Bassist Han Kim ist neu im Ensemble der Hamburgischen Staatsoper.

Foto: Johannes Xaver Zepplin

An klassische Musik, geschweige denn an Oper hat Han Kim bis zu seinem 17. Lebensjahr kaum ernsthaft gedacht. Ja, in seinem Elternhaus in Pohang an der Ostküste Koreas, etwa 350 km südlich von Seoul, gab es immer Musik. Die Familie sang in der Kirche: „Meine Eltern sind keine Musiker, aber sie singen fantastisch. Im Chor haben sie immer die Solo-Partien übernommen. Wahrscheinlich habe ich dieses Talent im Blut?“ Vermutlich. In der Schule konnte Han Kim jeden Popsong in kürzester Zeit auswendig. Bemerkenswert ist, wie er von seinem Klavierunterricht erzählt, den er mit zehn Jahren „absolvieren musste“. Es zeigt seine musikalische Begabung. „Ich hatte wirklich überhaupt keine Lust!“ Han Kim lacht. „Ich musste jeden Tag vierzig Minuten üben. Da saß ich in der Musikschule vor der Uhr. Ich spielte zwar irgendwie, aber ein Auge ging immer zur Uhr. Und sofort, als die 40 Minuten vorbei waren, bin ich nach Hause gegangen“. Multitasking gewissermaßen. Das kann nicht jeder. „Eine schreckliche Erinnerung!“, sagt Han Kim. War es aber nicht gut, das Instrument so früh und spielerisch zu lernen? „Gott sei Dank. ­Dadurch kann ich mich heute selbst bei meinen Arien begleiten. Ohne das Klavier geht gar nichts. Wie soll ich meine Partien sonst einstudieren?“
Han Kims Eltern müssen geahnt haben, dass in ihrem Sohn ein Talent schlummerte. Als er siebzehn ist, schlagen sie ihm vor, klassischen Gesangsunterricht zu nehmen. Ein Versuch. Drei italie­nische Arien gibt ihm der Lehrer nach der ersten Stunde mit nachhause. „Ich habe sie alle in drei Tagen gelernt, auswendig. Es fiel mir nicht schwer. Der Lehrer war ziemlich überrascht und fragte mich: Möchtest Du Gesang richtig studieren?“ Han Kim hat nicht lange überlegt: „Ich habe sofort ‚ja‘ gesagt!“
Seitdem sind klassische Musik und die Oper aus dem Leben des Sängers mit dem hellen und flexiblen Bass nicht mehr wegzudenken. Tag und Nacht und in der Freizeit dreht sich alles bei ihm alles um die Oper. Der Zufall mag auch eine Rolle gespielt haben bei seiner weiteren Entwicklung. Denn einer der besten Bassisten ­unserer Zeit ist ebenfalls Koreaner: Kwangchul Youn, langjähriges Ensemblemitglied an der Berliner Staatsoper unter den Linden, ­unterwegs auf den Bühnen der Welt, von Bayreuth bis Wien oder New York und auch Hamburg. Er ist damals auch Professor an der Seoul University. Als Han Kim ihm vorsingt, nimmt er ihn sofort als Studenten. Etwas Wesentliches hat der junge Bass bei seinem älteren Kollegen gelernt: „Kwangchul Youn betonte immer, dass wir als Koreaner, als Asiaten zuerst die europäische Kultur lernen und verstehen müssen und nicht die Gesangstechnik. Als Asiaten unterscheiden wir uns von europäischen Sängern durch unser Gesicht und wir sind meist einen Kopf kleiner. Deswegen müssen wir dreimal besser singen und vorbereitet sein. Das ist nicht rassistisch gemeint! Wir müssen einfach die Kultur verstehen und wissen, wie wir auf der Bühne wirken.“
Eine unbezahlbare Erkenntnis, für die Han Kim seinem Lehrer dankbar ist. Damals weiß er noch nicht, was für ein großartiger Sänger Kwangchul Youn ist. Er besorgt sich eine DVD, Wagners Fliegenden Holländer, und ist überwältigt. „Dann habe ich wirklich, das ist kein Witz, alle Wagneropern in einer Woche angeschaut. Danach war für mich klar: Ich gehe nach Deutschland, ich will die ganzen Opern live sehen!“ Han Kim entscheidet sich für Berlin mit seinen drei Opernhäusern und der Philharmonie. Vormittags lernt er deutsch, abends geht er in die Oper. Und er bereitet sich auf die Aufnahmeprüfung vor. In Würzburg studiert er dann bei dem ­Tenor Christian Elsner. „Er ist ein fantastischer Lied- und Konzert-Sänger.“ Mit ihm hat Han Kim viel an der Sprachdiktion gearbeitet. Nach dem Master gibt es mehrere Vorsingen für Opernstudios, inzwischen bereitet sich der Bassist auf das Konzertexamen vor, da kommt die Zusage für das Opernstudio in Hamburg. „Das war eine wertvolle Zeit! Wie funktionieren das Singen und Spielen auf der Bühne, wie wird geprobt, wie tauscht man sich mit Kollegen aus?“
Spannend ist es für die jungen Opernstudio-Sänger mit großen Kollegen auf der Bühne zu sehen. „Die jüngeren Starsänger sind natürlich fantastisch. Aber ich interessiere mich mehr für die älteren guten Kollegen, etwa Kwangchul Youn, er ist 58 Jahre, oder ­Andrzej Dobber, Michael Volle und Franz Josef Selig, sie haben alle noch eine sehr gute Stimme.“ Sie sind ein Vorbild für den 30-jährigen Sänger, so möchte er seine Stimme pflegen und erhalten. Ein Star, sagt er, müsse er nicht unbedingt werden: „Ich möchte ein Opernsänger sein, der auf der Bühne aus sich heraus strahlt.“