„O welch ein Augenblick!“ – Beethovens Fidelio als Oper der Stunde?

Beethoven schuf seine einzige Oper in einer Zeit des Krieges und der politischen Umbrüche und nicht zuletzt unter dem Eindruck der französischen Revolution und ihrer Ideale von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit. Als der Komponist 1804 mit der Arbeit daran begann, hatte Napoleon nach der Revolution in Frankreich die Macht übernommen und bereits weite Teile Europas unter seinen Einfluss gebracht. Dass Beethoven das Libretto einer „Revolutionsoper“, der eine wahre Begebenheit zugrunde liegen soll, für seine Oper wählte, war kein Zufall; wie kaum ein anderer Komponist war er an den großen politischen und moralischen Fragen seiner Zeit interessiert. Als zehn Jahre später die Uraufführung der endgültigen Fassung des Fidelio (1814 im Theater an der Wien) stattfand, steuerte Deutschland auf die Zeit des Vormärz zu, die Zeit der Restauration und politischer Unterdrückung, der Wunsch nach Freiheit und Gleichheit wurde von der Aristokratie und dem „System Metternich“ ebenso brutal niedergehalten wie der Wunsch nach einen gemeinsamen deutschen Staat, in dem das Volk über sein Schicksal selbst bestimmen könnte. Das Bürgertum und mit ihm viele Künstler*innen flüchteten sich in die Innerlichkeit des Biedermeier. Der unterdrückte Freiheitswille entlud sich schließlich in der Revolution von 1848, die ebenso scheiterte wie die von 1918. Bis heute ist die einzige erfolgreiche deutsche Revolution die von 1989, die in der DDR das Ende des SED-Staates besiegelte.

Foto: Arno Declair

Die aktuelle Inszenierung der Staatsoper schöpft daraus ihre ­Bilder und Metaphern, als ein Spiegel deutscher „Zustände“, des „deutschen Wesens“, an dem – wie es erst in Preußen und später im Nationalsozialismus formuliert wurde – die „Welt genesen soll“. Wir wissen, welch furchtbare Folgen diese Hybris hatte.

Soll man Fidelio als Fanal der Befreiung von Tyrannenherrschaft ver­stehen? Oper eignet sich nicht für tagespolitische Kommentare. Und doch haben Kunstwerke ihre Geschichte und auch immer wieder ihre historische Stunde. Unzählige Menschen leiden in Europa und darüber hinaus gerade jetzt unter Krieg, Gewalt und Unterdrückung. Der Hamburger Fidelio eröffnet ein Panorama der Revolution und der Sehnsucht nach Freiheit – getragen von einer wahrhaft revolutionären Musik, die im Jubel des Schlussbildes Räume der Utopie eröffnet. Bevor jedoch Chor, Orchester und Solisten diesen Wunsch nach Freiheit in die Welt fast „hinausschreien“, steht die Musik für einen ergreifenden Moment beinahe still: „O welch ein Augenblick!“ singt Leonore, singen dann alle, als sie Florestan die Ketten abnimmt. Der Traum von Glück und Freiheit hält die Zeit und die Welt für diesen Augenblick an.

Erleben Sie Fidelio in hochkarätiger Besetzung. Jennifer Holloway gestaltet erstmals die Titelpartie, nachdem sie das Publikum bereits als Elisabeth im Tannhäuser und Senta im Fliegenden Holländer begeistert gefeiert hat. Matthew Polenzani stellte sich in der letzten Saison sehr erfolgreich als Duca in Rigoletto und in der Titelpartie von Hoffmanns Erzählungen vor, mit dem Florestan übernimmt er nun eine Partie im deutschen Fach. Die musikalische Leitung liegt in den Händen von Generalmusikdirektor Kent Nagano.