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Backstage in der Oper – Ein Tag mit den Musiktheaterpädagoginnen Anna Kausche & Eva Binkle

Mein Weg zur Arbeit führt mich am gläsernen Haupteingang der Staatsoper vorbei in die Kleine Theaterstraße – nach fünf Spielzeiten im Norden schaffe ich es auch im nasskalten Hamburger Winter mit dem Fahrrad zur Oper zu fahren. Von weitem sehe ich Anna im Haus verschwinden. Zugegeben, wir sind nicht die ersten, wenn wir gegen 9 Uhr am Bühneneingang von Freddy, unserem Pförtner, begrüßt werden. Die Kolleg*innen der Bühnentechnik beginnen um 6.30 Uhr. Sie freuen sich jetzt schon auf die erste Pause – der für eine Woche bestimmte „Kaffeekocher“ bereitet in den Aufenthaltsräumen die Pausenverpflegung vor, während auf der Hauptbühne das Bühnenbild der Ballettprobe zu „Tod in Venedig“ vom gestrigen Abend abgebaut und die Probe zur Opernneuproduktion „Manon“ um 10 Uhr eingerichtet wird.

Illustration: Sandra Lubahn

Mit ihren Instrumentenkoffern auf dem Rücken verschwinden die ersten Orchestermusiker*innen in den Katakomben. Dort sind, ganz in der Nähe des Orchestergrabens, ihre Stimmzimmer, wo sie sich für die Proben einspielen. Anna wartet mit einigen Kolleg*innen am Aufzug, hier ist um diese Uhrzeit Rushhour und um die Abstände einhalten zu können, dürfen nur jeweils drei Personen einsteigen.

Gemeinsam machen wir uns auf den langen, verschlungenen Weg durch das Betriebsgebäude in unser Büro. Die Türen des Aufzugs öffnen sich im 7. Stock und aus dem Orchesterprobensaal tönt es „pling, pling, pling“, die Harfenistin nutzt die Zeit, bevor die anderen Musiker*innen hineinströmen und stimmt schon mal ihre 47 Saiten. Ein paar Räume weiter wird die Kostümanprobe für die Herren des Gesangsensembles vorbereitet – große Kleiderständer voller maßgefertigter Kostüme stehen bereit. Wird die Hose sitzen? Kann der Sänger sich gut bewegen? Oder zwickt es an der ein oder anderen Stelle? Das wird sich gleich klären …

Illustration: Sandra Lubahn

Weiter geht es am Tonstudio vorbei, hier werden gerade uralte Bänder mit Mitschnitten aus den letzten 80 Jahren digitalisiert – da finden sich Raritäten wie ein Mitternachtskonzert von Miles Davis auf unserer Opernbühne. Wir stecken die Köpfe für einen kurzen Plausch mit den Kollegen durch die geöffnete Tür und hören, dass für die Tonübertragung später alles vorbereitet ist. Bis gleich! Wir passieren die Sitzungsräume, wünschen der Orchesterdirektorin einen schönen Tag und schnappen Gesprächsfetzen aus dem Orchesterbüro auf – hoffentlich hat sich heute kein*e Musiker*in krank gemeldet!

Fast geschafft, nur noch ein fröhliches „Hallo“ in das Vorzimmer der Geschäftsführung und schon erreichen wir unseren Flur: Grafikerin, Dramaturgie und die Pressestelle der Oper arbeiten hier eng zusammen.

Anna checkt nur kurz ihre E-Mails und macht sich gleich wieder auf den Weg sieben Etagen nach unten in die opera stabile – ein Livestream steht an. Die 4. Klasse der Grundschule Schenefelder Landstraße wird sich aus dem Homeschooling live zu uns schalten. Konzerte für Schulklassen sind spannender Alltag für uns, aber ein Livestream mit Musiker*innen und Interaktionen mit Schulkindern an ihren Wohnzimmer- und Küchentischen, lassen unseren Puls höherschlagen! Wird alles klappen?

Als Anna in der opera stabile ankommt, sind die Kolleg*innen schon mit der Feinabstimmung beschäftigt: Die Instrumente und passenden Orchesterstühle werden von Patrick, dem Orchesterwart, auf die mit Tape markierten Positionen geschoben – Licht und Ton wurden in einer sogenannten technischen Einrichtung vorbereitet. Trotz der wenigen Menschen im Raum versteht man kaum sein eigenes Wort: Guido, der Tonmeister, oben in der Regie fordert den Kollegen Carlos auf, vor jedem der aufgebauten Mikrofone möglichst laut in die Hände zu klatschen, was dieser eifrig tut!

Die Spannung steigt und es wird noch lauter: Clara packt ihr Cello aus, stimmt die Saiten und nimmt sich die schwersten Stellen noch einmal vor. Der Schlagzeuger Fabian überprüft, ob Marimba, Vibraphon und auch das Hängebecken an der richtigen Position stehen. Die Wege von einem Instrument zum anderen sind so geplant, dass jeder Einsatz pünktlich machbar ist. Aus einem Gigbag zieht er sechs bunt umwickelte Schlägel und legt zwei Kontrabassbögen bereit. Mit denen wird er später geisterhafte Klänge erzeugen und dem Cello beim Streichen Konkurrenz machen. Anna überprüft mit den Kolleg*innen der Videoabteilung den Bildausschnitt, bittet die Veranstaltungstechnikerin das Bühnenlicht einzuschalten und wählt sich in die Videokonferenz ein. Der Tonmeister bittet sie in ihr Headset zu sprechen, damit auch das perfekt ausgepegelt werden kann – gleich startet der Soundcheck mit den Musiker*innen.

Ich habe noch etwas Zeit, bis ich für den Chat im Stream gebraucht werde und telefoniere mit dem musikalischen Leiter des Musikkindergartens, Kai. Er berichtet stolz, dass sein Musikraum jetzt mit einem Videokonferenzsystem ausgestattet ist, so dass auch unsere kleinen Freund*innen aus dem Kindergarten digitale Konzerte erleben können – die Musiker*innenbesuche sind aus dem Kindergartenalltag nicht mehr wegzudenken und Kai tut alles dafür, dass die Kinder auch jetzt so viel Musik wie möglich erleben können. Ich verspreche mir über mögliche musikalische Interaktionen Gedanken zu machen und mich bald wieder zu melden.

Illustration: Sandra Lubahn

Um 9.45 Uhr melden sich erste aufgeregte Grundschüler*innen in der Videokonferenz an – Clara und Fabian freuen sich über die staunenden Blicke und auf ihr erstes Konzert mit live-online-Publikum. Neugierige Eltern schauen den Kindern über die Schulter und unterstützen bei der Einrichtung von Ton und Kamera. Anna spricht nochmal den Ablauf durch: Sie wird die Kinder begrüßen und durch das Programm führen. Auf einem Monitor können wir die Kinder sehen und über die Anlage vor allem auch hören: „Wow!“, „Ich kann nichts hören!“, „Wann geht es los?“, „Hallo Emma!“, „Frau Lehrerin, ich sehe nur ein schwarzes Bild.“ …

Ich setze mich an den PC und begrüße die Lehrerin. Die letzten technischen Unwägbarkeiten werden beseitigt, alle Mikrofone stumm geschaltet. Gleich kann es losgehen. Im Chat poppen die ersten Emojis und erwartungsvollen Kommentare der Viertklässler auf.

Es klappt, der Stream steht, wir sind live in den Wohnzimmern – los geht’s! Clara und Fabian stellen kurz ihre Instrumente vor, spielen bekannte Melodien aus „Harry Potter“ und „Karneval der Tiere“ und stellen Auszüge aus dem Stück „Spechless“ vor. Nach der ersten kurzen Fragerunde und einer gemeinsamen Bodypercussion, die via Video nicht ganz so gut funktioniert wie erhofft, beginnt das Konzert. Ich beobachte die Kinder, die mehr oder weniger ruhig auf ihren Plätzen bleiben, sehe ihre Reaktion, wenn sie Gehörtes wiedererkennen und darf gleichzeitig die berührende Musik der spanischen Komponistin Anna Casarrubios erleben.

Im Anschluss stellen die Schüler*innen Fragen und vor allem wollen sie über ihre Assoziationen sprechen: „Das klang aufregend“, „… wie Filmmusik“, „an einer Stelle hat Clara musikalisch Schimpfwörter gebraucht“.

Fabian und Clara sind begeistert von der Fantasie der Kinder. Nach 45 Minuten ist es geschafft! Wir sind sehr froh über den Kontakt zu unserem Publikum, wie sehr haben wir das vermisst! Alle sind sich einig, das wollen wir wiederholen.

Gegen 13 Uhr gehen wir in die Mittagspause. Glücklicherweise darf unsere Kantine unter strengen Hygienevorschriften öffnen, die Köchin Nicki freut sich über unseren Besuch und hat Kartoffelpüree im Angebot – lecker! Beim Essen tauschen wir uns über den Vormittag aus und schmieden neue Pläne.

Illustration: Sandra Lubahn

Der Nachmittag beginnt mit Büroarbeit und Umplanung einer Produktion mit dem Titel „Abgetaucht-Spezial“, ein Musiktheater für Babys … zwischendurch besuchen wir unser Ensemblemitglied Tigran Martirossian beim Studium seiner Unterwasserwelt-Partie. Ein Blick auf den Tagesplan hat uns verraten, dass er im 5. Stock in einem der schallisolierten Musikzimmer zusammen mit der Pianistin Anna Kravtsova probt. Sie ist eine von sechs Solorepetitor*innen, die mit den Sänger*innen die Rollen studiert und szenische Proben am Klavier begleitet. Wir diskutieren, ob wir die Produktion auch digital anbieten könnten, aber bei den Allerkleinsten scheint uns das nicht sinnvoll. Die KiTas und jungen Familien erreichen wir so nicht. Vielleicht könnten wir mit unserem Kinderchorleiter Luiz ein Tutorial für Eltern und Erzieher*innen produzieren, die Inspiration und Anleitung für Singen mit Babys brauchen …?

Illustration: Sandra Lubahn

Wieder zurück im Büro steht Luiz auch schon in der Tür, er will sich einen Opernführer für Kinder und die Materialmappe zu „Macbeth“ ausleihen: Bei den Zoom-Proben mit dem Chor möchte er seine Kinder und Jugendlichen auch an die Inhalte der Opern heranführen. Wer ist Macbeth, dem sie als Erscheinungen prophezeien: „Du wirst ruhmreich und unbesiegbar sein, bis der Wald von Birnam lebendig wird und gegen dich zieht!“

Auf dem Tagesplan hätte heute ein Probenbesuch für Schulklassen gestanden. Bis zu 200 Schüler*innen hätten die Bühnenorchesterprobe „Manon“ im Großen Haus miterlebt. Nun setze ich mich alleine in den Zuschauerraum, habe die Qual der Wahl zwischen 1672 Plätzen und verfolge die Arbeit der Sänger*innen, des Dirigenten, des Regieteams und der Orchestermusiker*innen, um Informationen für eine Materialmappe zu unseren OpernIntros zu sammeln …

Anna ist derweil zu einem Zoom-Meeting mit unserer Grafikerin im Homeoffice und einem Filmteam verabredet – sie besprechen den Rohschnitt, Ton-Korrekturen und die Animation unseres Tonangeber digital, den wir mit Clara und Fabian vor ein paar Wochen aufgenommen haben. Einige Anpassungen sind noch umzusetzen, in der nächsten Woche soll das interaktive Video veröffentlicht werden.

Illustration: Sandra Lubahn

Durch die Mithöranlage kündigt der Inspizient den zweiten Teil der Probe „Manon“ an: „Die Damen und Herren des Orchesters, Frau Dreisig, Herr Hotea, bitte zur Fortsetzung der Probe …“ Für uns heißt es Feierabend – nach vielen schönen Stunden im Probenbetrieb. In der Oper gleicht kein Tag dem anderen, morgen stehen neue spannende Aufgaben an. Am meisten freuen wir uns aber darauf, mit Euch die Erlebnisse wieder teilen zu können.

Eva Binkle (aus dem Journal #3 der Spielzeit 2020/21)