Feurig und sinnlich: Intendant Georges Delnon im Gespräch über die Italienischen Opernwochen

Die 2022 fünf Meisterwerke der beiden populärsten italienischen Komponisten Giacomo Puccini und Giuseppe Verdi – Turandot, Madama Butterfly, La Traviata, Aida und Luisa Miller – mit hochkarätigen Interpret*innen aus der internationalen Opernszene vereinen.

Im Jahr 2018 gab es zum ersten Mal Italienische Opernwochen an der Staatsoper, seither kehren sie jährlich wieder und haben sich als ein hochkarätiges Festival im Frühjahr des Opernspielplans etabliert. Wie kam es zu der Idee?

Mit den Italienischen Opernwochen verfolgte ich ein ganz simples Ziel: Ich wollte der Spielzeit eine klarere Struktur mit besonderen Schwerpunkten geben. Dafür bieten sich verschiedene Themen oder Genres an – man könnte sich etwa einen Schwerpunkt auf bestimmte Epochen, Komponisten oder Länder vorstellen. Als künstlerischer Leiter in Basel und bei den Schwetzinger Festspielen hatte ich damit schon gute Erfahrungen gemacht. In meinen ersten zwei Spielzeiten in Hamburg habe ich dann bald eine große Affinität, geradezu ein emotionales Bedürfnis nach italienischer Oper in dieser Stadt gespürt. Das führe ich gerne aufs Wetter zurück. (lacht) Kontraste ziehen sich nun mal an: etwas Feuriges und Sinnliches im nass-kühlen Frühjahr. Gleichzeitig war mir bewusst, wie wichtig für dieses Haus erstklassige und große Stimmen sind. Stimmen, die während der „normalen“ Saison und mit einem durchschnittlichen Budget nicht zu bekommen sind. Was uns dabei als großes Repertoirehaus in die Hände spielt, ist die Vielfalt an vorhandenen Produktionen. Wir müssen uns nicht auf bestimmte Werke festlegen und dann Sänger*innen suchen – wir suchen spannende Stimmen und wählen dann die passenden Produktionen aus. So konnten wir etwa Jonas Kaufmann oder Anja Harteros für unser Haus gewinnen und viele andere. Und mit diesem Projekt kam dann auch die notwendige Unterstützung, um das alles zu ermöglichen. Die Stiftung zur Förderung der Hamburgischen Staatsoper war von der ersten Stunde an im Boot.

Große Sänger*innen wie Nino Machaidze und Ambrogio Maestri kommen für die diesjährigen Italienischen Opernwochen zurück nach Hamburg, andere wie Aida Garifullina geben ihr Hausdebüt. Wie groß ist Ihr Einfluss auf die Besetzung?

Durchaus groß. Die Besetzungen sind ein entscheidender Schlüssel zum Erfolg. Gerade in Hamburg, wo es eine lange Tradition gibt und zurecht einen entsprechend hohen Anspruch seitens des Publikums. Inzwischen spielen wir eine Liga höher als noch vor sechs Jahren. Unabhängig von meinem Einfluss ist die Castingdirektion extrem wichtig und ich bin sehr glücklich, dass wir Isla Mundell-Perkins dafür gewinnen konnten: egal welcher neue Sängername in unseren Gesprächen fällt, sie kennt ihn schon. Dazu kommt das musikalische Gespür einer Musikerin, die bereits eine brillante Orchesterkarriere hinter sich hat – viel mehr kann man sich nicht wünschen.

Foto: WaS by MBJ / Aida Garifullina, welche in Verdis „La Traviata“ mit der Titelpartie Violetta Valery ihr Haus-Debüt geben wird.

Der Musikkritiker und Opernintendant Paul Bekker schrieb 1934 im Pariser Tageblatt über die italienische Oper: „Gerade die italienische Opernbühne bedarf immer wieder des naturhaften Gesanges … Es kommt darauf an, zu singen, gut zu singen. Das ist und bleibt das einzige wahre Problem der Oper.“ Was macht eine herausragende Gesangsstimme für Sie aus?

Es gibt Stimmen, die sind wie von einem anderen Stern. (lacht) Konkret geht es um das stimmliche „Material“, die Technik, den Ausdruck, die Musikalität und natürlich geht es auch um die Ausstrahlung, die Durchdringung der Bühnenfigur. Wenn all das stimmig zusammenkommt, entsteht eine Selbstverständlichkeit und eine Leichtigkeit. Als Sohn einer Opernsängerin wurde ich schon als Kind immer wieder mit dieser Thematik konfrontiert. Im Grunde ist es bei jeder und jedem etwas anderes, das mich faszinieren kann. In diesem Sinne freue ich mich bei Turandot sehr auf Anna Smirnova und Guanqun Yu, die uns hier schon in Guillaume Tell begeistert hat. Seit Jahren wollte ich Gregory Kunde gewinnen, einen Fixstern am Theaterhimmel. Er wird bei uns den Calaf singen. Aida Garifullina, die als Traviata zu hören sein wird, wollte ich ebenfalls schon lange nach Hamburg holen. Gleichzeitig geben wir unserer Ensemblesängerin Elbenita Kajtazi eine große Chance: Sie singt ebenfalls zwei Vorstellungen der Traviata.

Die Konkurrenz um Stars auf dem Markt ist groß. Hat die aktuelle Pandemie den Blick darauf verändert?

Sänger*innen werden bis zu sechs Jahre im Voraus angefragt und gebucht. Das ist auch irgendwo problematisch: nicht nur, dass man nicht wissen kann, wie besagte*r Sänger*in in sechs Jahren singt. Es ist auch schwer jetzt zu entscheiden, welche Werke man in sechs Jahren auf den Spielplan setzt. Die Folgen der aktuellen Pandemie sind unter anderem, dass Opernhäuser in ihren Planungen offener bleiben, kurzfristiger entscheiden oder umentscheiden müssen, weil man schlicht nicht weiß, was kommt und was wird. Dass dadurch der unglaublich lange Vorlauf der Sängerbesetzungen, der sich in den vergangenen Jahrzehnten etabliert hat, wieder verkürzt wird, ist vielleicht ein guter Nebeneffekt.

Von Verdi ist das Zitat überliefert: „Es gibt keine italienische Musik, auch keine deutsche, und keine türkische – aber es gibt Musik.“ Was macht die italienische Oper für Sie aus?

Die musikalische und szenische Glaubwürdigkeit der Protagonist*innen. Der emotionale Anspruch ist enorm. Für Dirigent*in und Regisseur*in, die beide dieselbe Geschichte erzählen, ist das eine gewaltige Herausforderung.

Welcher Abend der Italienischen Opernwochen ist Ihr persönliches Highlight, das Sie auf keinen Fall verpassen werden?

Verpassen werde ich sicher keinen dieser Abende. Als Neuproduktion kann ich unserem Publikum Puccinis letzte Oper, Turandot, besonders empfehlen, die nach 10 Jahren wieder hier am Haus zu erleben sein wird.


Georges Delnon ist ein Schweizer Regisseur, Theaterintendant und Hochschullehrer. Aufgewachsen in Bern, studierte er Geschichte und Kunstgeschichte an den Universitäten Bern und Fribourg. Komposition und Musiktheorie am Konservatorium Bern.
1996 übernahm er seine erste Intendanz am Theater der Stadt Koblenz und war Mitbegründer der Festungsspiele Koblenz. Von 1999-2006 wurde er zum Intendanten des Staatstheaters Mainz berufen, zur Spielzeit 2006/2007 als Direktor des Theater Basel, dem größten

Dreispartenhaus der Schweiz. Zweimal hintereinander wurde das Haus als erstes Schweizer Theater zum „Opernhaus des Jahres“ (2009 und 2010) gekürt. Von 2009 bis 2016 war Georges Delnon zudem Künstlerischer Leiter des Musiktheaters der Schwetzinger SWR Festspiele. Seit der Spielzeit 2015/16 ist er Intendant der Staatsoper Hamburg und des Philharmonischen Staatsorchester Hamburg.

Von Janina Zell, erschienen im journal Nr. 4 der Spielzeit 2021/22