Hummel Hummel – Mors Mors: Shiragha und Elssayed (Projektchor Nabucco)
Kirill Serebrennikov inszeniert die Oper „Nabucco“ am Puls der Zeit. Besonders berühmt ist die Oper für den Gefangenenchor „Va, pensiero“ – als eine Art Echo des Chores der Staatsoper Hamburg singt dieses Werk zusätzlich auch ein Chor aus Geflüchteten. Zwei von ihnen haben wir interviewt. Wir erfuhren viel über die beiden, ihre Biografie, ihren Bezug zum Stück und die Macht der Kunst als Sprachrohr.
Woher kommt ihr und wie seid ihr nach Hamburg gekommen?
Elssayed: Mein Name ist Elssayed Mohammed Ali, ich komme aus Ägypten, bin fast 18 Jahre alt und lebe seit 2,5 Jahren in Deutschland. Mit 13 Jahren bin ich alleine nach Italien geflüchtet und habe dort 1,5 Jahre verbracht. Meine Familie lebt noch immer in Ägypten. Im August werde ich nach meinem Schulabschluss eine Ausbildung zum Berufskraftfahrer anfangen.
Shiragha: Mein Name ist Shiragha Osmani, ich komme aus Afghanistan, bin 20 Jahre alt und mache zurzeit eine Ausbildung zum Elektriker im zweiten Lehrjahr. Ich bin vor 3,5 Jahren nach Deutschland gekommen und habe hier bereits meine Mittlere Reife gemacht. Mein Fluchtweg war kompliziert und sehr schwierig: Ich bin zusammen mit meinem älteren Bruder geflohen. Dreimal wurden wir aus dem Iran nach Afghanistan abgeschoben – wir mussten durch Pakistan fliehen, dann unter anderem durch die Türkei, Griechenland und Ungarn. In Deutschland war ich zunächst für ein paar Tage in Thüringen; von dort aus ging es nach Hamburg – hier fühle ich mich wohl.
Wie seid ihr darauf aufmerksam geworden, dass wir Geflüchtete für die Produktion „Nabucco“ suchen?
Elssayed: Ich habe hiervon sowohl online als auch durch meine Betreuerin erfahren. Als ich davon gehört habe, hat es mich sofort interessiert.
Shiragha: Auf der Bühne zu stehen ist für mich wie ein Traum. Ich habe mir hier schon mehrere Ballett- und Opernvorführungen angesehen und habe mich immer gefragt, wie es ist, auf der Bühne zu stehen. Meine Patin besucht auch oft die Oper und hat von Christoph Böhmke, in dessen Patennetzwerk ich auch bin, von dem Projekt erfahren und mich gefragt, ob ich mitmachen möchte. Für mich stand sofort fest, dass ich teilnehmen will; nun bin ich überall dabei und freue mich auf die Vorstellungen.
Ihr seid hier an der Hamburgischen Staatsoper – was fällt euch besonders auf? Gibt es in eurem Heimatland Musiktheater? Falls ja: was ist anders, was gleich?
Shiragha: Bei uns in Afghanistan gibt es eigentlich keine Opern. Auch das Theaterangebot ist sehr schmal aufgestellt. Oper habe ich mir zuerst wie Theater vorgestellt, nun muss ich aber sagen, dass sie für mich noch eine Stufe über diesem steht. Durch den Kontakt zu den Künstlern nimmt man enorm viel für sich selber mit – das ist das Wertvolle hierbei. Alle Mitarbeiter sind auch sehr nett. Mich freut es sehr, hier zu sein und an dem Projekt mitwirken zu dürfen. Die Lautsprecheransagen versteht man allerdings etwas schlecht. (lacht)
Elssayed: Es sind wirklich alle sehr nett und man fühlt sich wohl hier. In Ägypten gibt es zwar Opern, ich habe allerdings dort noch nie eine besucht. Daher ist es auch etwas komplett Neues für mich.
In dieser Oper ist kriegsbedingter Verlust von Heimat ein zentrales Thema. Die Sehnsucht nach Heimat wird in „Va, pensiero“ vom Chor besungen. Hat dies für euch mit eurem persönlichen Hintergrund eine besondere Bedeutung oder steht für euch hauptsächlich der Spaß am Mitmachen im Vordergrund?
Shiragha: In erster Linie haben wir Spaß daran, allerdings habe ich auch über mich selbst nachgedacht. Natürlich spielt es eine Rolle, was wir erlebt haben. Wir hatten keine Meinungsfreiheit und haben eine schwere Zeit durchlebt; daher spielt unsere Flucht in jedem Fall eine Rolle, obwohl die Oper zu einer Zeit komponiert wurde, in der ganz andere Dinge passiert sind.
Elssayed: Für mich spielt das eine große Rolle. Hier habe ich das Gefühl, dass meine Stimme gehört wird, ich kann mich zeigen und werde auf der Bühne wahrgenommen. Dadurch kann ich zeigen, dass wir nicht nur Flüchtlinge sind, sondern als Menschen etwas erreichen können.
Der Regisseur Kirill Serebrennikov sitzt seit über 1,5 Jahren im Hausarrest in Moskau fest und ist nicht physisch bei den Proben dabei. Gibt es etwas, was ihr ihm mitteilen möchtet?
Shiragha: Ich möchte ihm für die moderne Inszenierung danken, die er geschaffen hat. Dadurch, dass er die Handlung ins Heute verlegt, macht er sie sehr verständlich. Des Weiteren gibt er Menschen, die Schwierigkeiten hatten, schlechte Erfahrungen gemacht haben oder deren Freiheit eingeschränkt wurde, die Möglichkeit sich durch die Kunst zu äußern. Die Musik ist schon über 170 Jahre alt – ich denke aber, dass alte Dinge uns sehr viel beibringen können.
Elssayed: Das ist auch meine Meinung. Ich danke ihm, dass er uns die Chance gegeben hat, uns zeigen zu können.
Shiragha Osmani
Shiragha Osmani ist 20 Jahre alt und stammt aus Afghanistan. Er lebt seit 2015 in Hamburg, machte hier bereits die Mittlere Reife und absolviert nun eine Ausbildung zum Elektriker. Er ist Mitglied im Projektchor der Hamburger Neuproduktion von „Nabucco“.
Elssayed Mohammed Ali
Elssayed Mohammed Ali ist 17 Jahre alt und stammt aus Ägypten. Seit 2,5 Jahren lebt er in Hamburg, macht gerade seinen Schulabschluss und beginnt im Sommer seine Ausbildung zum Berufskraftfahrer. Er ist Mitglied im Projektchor der Hamburger Neuproduktion von „Nabucco“.