Italienische Opernwochen 2023

Ein Interview von Michael Sangkuhl aus dem Journal Nr. 4 der Spielzeit 2022|23 mit Casting-Direktorin Isla Mundell-Perkins über die Italienischen Opernwochen 2023.

„Alles was du tun kannst, ist zuhören und auch mal ein Risiko eingehen.

Die Italienischen Opernwochen sind seit 2018 zu einem festen Bestandteil einer jeden Spielzeit geworden. Was steht bei eurer Planung zuerst: die Werke oder habt ihr von Beginn an Künstler*innen im Kopf, die ihr für ganz bestimmte Partien ans Haus bringen möchtet?

Die Antwort ist: eine Mischung aus beidem. Oft haben wir einen Plan. Wenn wir uns aber jemanden für eine andere Partie vorstellen können und er oder sie zu dem Zeitpunkt verfügbar ist, ändern wir den Plan. Es ist einfacher mit einer Struktur zu beginnen, aber es ist großartig, bestimmte Projekte um bestimmte Künstler*innen zu planen, besonders in diesem Repertoire, das so sehr von gutem Gesang abhängt.

Don Pasquale Foto: Brinkhoff/Mögenburg

Du sprichst es an, Belcanto zu besetzen ist durchaus eine Herausforderung. Was ist Dir dabei ganz besonders wichtig, worauf achtest Du beim Casten dieses Repertoires im Vergleich zu anderem Repertoire?

Ganz besonders auf die Qualität der Stimme und den Ausdruck im Klang. Oftmals spielt in Opern wie diesen der Text und die Handlung eine untergeordnete Rolle, im Fokus steht der „Belcanto“ – der „schöne Gesang“; die Fähigkeit auf Linie zu singen, ein Verständnis davon zu haben, legato zu singen. Natürlich wollen wir jemanden der auch wahrhaft eine Rolle zu porträtieren weiß, aber für mich kommt es beim Belcanto in erster Linie auf den Klang an.

Wie viele Jahre im Voraus plant ihr die Italienischen Opernwochen?

Das ist wirklich eine schwierige Frage im Moment, denn seit Corona ist alles etwas kurzfristiger geworden. Idealerweise sind es zwischen zwei und vier Jahre. Möglich wären auch sieben Jahre im Voraus, aber ich hasse es so zu arbeiten, weil sich in sieben Jahren so viel verändern kann. Ich finde, dass sich allein in zwei Jahren schon enorm viel verändern kann…

…allein in der Entwicklung einer Stimme.

Exakt. Mein Motto bei Vorsingen zum Beispiel ist immer: Wenn ich Künstler*innen seit zwei Jahren nicht gehört habe, höre ich sie wieder, denn sie können inzwischen entweder ihre Stimme verloren haben oder aber sich zu einer der schönsten Stimmen überhaupt entwickelt haben. Zwei Jahre ist für mich die magische Zahl, aber natürlich müssen wir weiter im Voraus planen, gerade bei jenen Künstler*innen, die wir für die Italienischen Opernwochen gewinnen wollen und die auch unser wunderbares Publikum hier in Hamburg erwartet.

Rigoletto Foto: Arno Declair

Du hast gerade gesagt, Du möchtest Stimmen hören. Achtest Du auf Biografien von Künstler*innen oder interessiert Dich vielmehr, was an stimmlichem Material im Augenblick vorhanden ist?

Das ist eine gute Frage und eine über die wir in Wettbewerben und Castings immer wieder debattieren. Die meisten der Künstler*innen, die wir für die Italienischen Opernwochen nach Hamburg holen, singen bei uns nicht vor, weil ich sie entweder zuvor irgendwo höre oder Georges Delnon sie kennt, aber wenn es zum Vorsingen kommt, sollte man immer zuerst die Stimme hören, bevor man eine Biografie oder einen Lebenslauf liest. Es ist so leicht von einem Blatt Papier beeinflusst zu werden und zu denken, „wenn all diese Leute den Künstler gebucht haben, dann muss er ja wohl großartig sein“ und im Zweifelsfall hört man gar nicht mehr zu. Natürlich gibt es viele intelligente Menschen und natürlich sagt es etwas aus, wenn jemand eine große Belcanto-Partie am Teatro Real oder der Mailänder Scala gesungen hat, aber man sollte zuerst hören.

Lass uns auf die kommenden Italienischen Opernwochen 2023 blicken. Da kehrt zum Beispiel Erwin Schrott, der zuletzt in der Spielzeit 1999/2000 als Colline in La Bohème auf der Bühne an der Dammtorstraße zu erleben war, nach über 20 Jahren an die Hamburgische Staatsoper zurück in zwei sehr unterschiedlichen Partien, als Selim (Il Turco in Italia) und als Scarpia (Tosca).

Als er 1999/2000 das letzte Mal hier gesungen hat, war er noch ein junger Künstler und inzwischen hat er eine der vielseitigsten Karrieren überhaupt hingelegt. Il Turco in Italia und Tosca tragen verschiedene Regiehandschriften und ich bin überzeugt, dass Erwin Schrott sehr talentiert ist, zwischen diesen beiden zu wechseln.

Il Turco in Italia Foto: Karl Forster

Als Donna Fiorilla wird Regula Mühlemann in Il Turco in Italia ihr Hausdebüt geben. Ebenso Matthew Polenzani, der den Duca in Rigoletto singen wird. Erinnerst Du Dich, wann Du die beiden zum ersten Mal gehört hast, und warum wolltest Du sie gerade für diese Partien gewinnen?

Zunächst muss ich sagen, dass meine Vorgängerin, Annette Weber, zusammen mit Georges Delnon Matthew Polenzani in Rigoletto besetzt hat. Ich habe Matthew als Don Ottavio erstmals an der Metropolitan Opera gehört. Das war unglaublich. Er ist ein sehr kluger Künstler und gehört zu denen, an die ich denke, wenn ich von „Ausdruck im Klang“ spreche.

Regula Mühlemann habe ich besonders im Konzertbereich erlebt. Ich finde es wichtig, Künstler*innen sich entwickeln zu lassen und Donna Fiorilla ist für Regula Mühlemann ein Rollendebüt. Ich bin sehr gespannt, was sie mit der Partie macht, denn ich glaube, es wird ein aufregender nächster Schritt für sie sein und ich bin froh, dass sie ihn hier in Hamburg geht. Es ist wichtig für unsere Branche, dass wir nicht dieselben Künstler*innen in denselben Partien im selben Repertoire immer und immer wieder buchen.

Falstaff Foto: Monika Rittershaus

In der Tat kehren 2023 zwar Publikumslieblinge wie Ambrogio Maestri, Pretty Yende und George Petean auf die Bühne an der Dammtorstraße zurück, aber viele von ihnen erlebt das Hamburger Publikum in neuen Partien.

Ja, ich finde es dabei wichtig, dem Publikum zuzuhören. Ein Beispiel: Gregory Kunde hatte bei den letzten Italienischen Opernwochen einen großen Erfolg in Turandot und ich denke, er hat das Vertrauen des Publikums gewonnen. Ich freue mich darauf, dass wir ihn in der Spielzeit 2023/24 für eine Partie zurückgewinnen konnten, die er bisher nur im Konzert gesungen hat. Ich glaube, dass sich das Hamburger Publikum sehr darauf freuen kann. Karrieren von Künstler*innen sind eine Serie von Hochs und Tiefs – ich verstehe sie als ein anmutiges Navigieren durch die verschiedenen Stadien der Stimme. Alles was du tun kannst, ist zuhören und auch mal ein Risiko eingehen. Wenn du einem Künstler vertraust, der die Gunst des Publikums gewonnen hat, und ihn dann zurück bittest, um einen neuen Schritt zu wagen, vielleicht nicht in dieselbe Richtung – ich muss sagen, ich bin dabei noch nicht enttäuscht worden.

Nun bieten die Italienischen Opernwochen auch jungen, noch weniger bekannten Stimmen eine Bühne. Darunter der walisischen Sopranistin Natalya Romaniw als Tosca. Wie wichtig ist euch das?

Ich finde es ist wichtig, neue Stimmen diese Rollen singen zu hören. Das geht zurück auf die Frage, die Du vorhin stelltest: Hörst du eine Stimme oder hörst du einen Lebenslauf und was beeinflusst deine Entscheidung – beides. Aber wenn wir keine neuen Künstler*innen suchen, enden wir in einer Situation, in der meiner Meinung nach jedes Opernhaus schon einmal war, nämlich die Tosca von 1990 zu besetzen, anstelle das Risiko mit einer neuen Stimme einzugehen. Wenn eine Künstlerin Tosca zu lange singt, tut das weder ihr noch der Oper gut, die ohnehin dazu tendiert, an Dingen festzuhalten, die sie am besten kennt. Im Zweifelsfall wollen die Leute das gar nicht hören, weil sie sich sagen: „Ach Gott, wenn sich in 30 Jahren in der Oper nichts verändert hat, warum zahle ich dann heute Geld für etwas, das weniger gut ist als vor 30 Jahren?“

Simon Boccanegra Foto: Brinkhoff/Mögenburg

Manche Anforderungen oder Vorstellungen einer Partie – stimmlich wie darstellerisch – haben sich in den letzten 30 Jahren auch verändert.

Ja, absolut. Es ist zum Beispiel schwer, eine Künstlerin zu finden, die Tosca singen kann. Die Tendenz geht im Augenblick gerade da hin, diese Partie mit leichteren Stimmen zu besetzen. Hamburg hat aber unter den deutschen Opernhäusern eine schwierige Akustik. Schmale Stimmen und Stimmen ohne Durchschlagskraft tragen nicht in unserem Haus. Solche Stimmen klingen unglaublich auf der Probebühne oder vielleicht in der Elbphilharmonie, aber nicht auf unserer Bühne, deshalb können wir diesem Trend nicht folgen.

Gibt es denn Künstler*innen, die Du für zukünftige Italienische Opernwochen gerne einmal ans Haus bringen möchtest?

Meine Wunschliste? (lacht) Ich würde sehr gerne Benjamin Bernheim für eine italienische Rolle gewinnen und daran arbeiten wir gerade. Ich hätte auch gerne Rachel Willis-Sørensen. Maria Agresta war noch nie in Hamburg. Sie wird in den nächsten Spielzeiten kommen und darauf freuen wir uns sehr.