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La clemenza di Tito – Mozarts Krönungsoper als Neuproduktion von Regisseurin Jetske Mijnssen und Mozart-Experte Adam Fischer

Mozarts letzte Oper entsteht parallel zu den finalen Arbeiten an der Zauberflöte und dem unvollendet gebliebenen Requiem. Sie erzählt von Kaiser Tito, dem das Regieren in größter Milde Segen und Fluch zugleich ist. Das Volk liebt seinen philanthropischen Herrscher. Er selbst droht an seiner Macht und immerzu waltenden Gnade zugrunde zu gehen: Rom steht in Flammen und sein Herrscher, verraten von Freund und Braut, am Abgrund. Er fleht: „Wenn für die Herrschaft ein strenges Herz vonnöten ist, nehmt mir entweder die Herrschaft oder aber gebt mir ein anderes Herz.“
Der Text um den römischen Kaiser Titus Flavius Vespasianus (39–81 n. Chr.) stammt aus der Feder des vermutlich berühmtesten aller Librettisten: Pietro Metastasio. Mozart ließ ihn von Caterino Mazzolà (Nachfolger des in Ungnade gefallenen Da Ponte) nach seinen Vorstellungen anpassen und schuf so eine moderne Variante der damals bereits überholten Form der opera seria. Statt Arien und Rezitativen im Wechsel kommen viele Ensembles hinzu. Die Secco-Rezitative überantwortete er in der Eile des Kompositionsprozesses seinem Schüler Franz Xaver Süßmayr – heute werden sie gerne großzügig gekürzt oder gestrichen, um den musikalischen Fluss lebendig zu halten; so auch in dieser Neuproduktion.

Foto: Hans Jörg Michel

Anlass für die Festoper war die Krönung von Kaiser Leopold II. zum König von Böhmen. Und da die Zeit eilte, komponierte Mozart sogar in der rüttelnden Kutsche auf dem Weg nach Prag. In der „Goldenen Stadt“ hatte er mit „Figaro“ und „Don Giovanni“ grandiose Erfolge gefeiert. So ließ ihn nicht allein das dringend benöt­igte ­Honorar, sondern sicher auch die Lust für sein Prager Publikum zu schreiben, den Auftrag annehmen. Die Uraufführung fand dennoch in gedämpfter Stimmung statt, da sich der Kaiser mit seinem Hofstaat über eine Stunde verspätete und ein müdes, hungriges Publikum nun einmal schwer zu unterhalten ist. Dann aber startete das Spätwerk seinen Erfolgsweg und übertraf Anfang des 19. Jahrhunderts mit seinen Aufführungszahlen gar die von „Così fan tutte“ und „Don Giovanni“. Seit den 70er Jahren, in denen die neue Mozart-Gesamtausgabe erschien und Jean-Pierre Ponnelle seine berühmte Tito-Inszenierung in Salzburg herausbrachte, erlebt das Werk eine wahre Renaissance.
Es ist das Ende gleich zweier Epochen, die das Stück in sich trägt: Als Kaiser Titus ab 79 n. Chr. für zwei von Intrigen und Putschversuchen geprägten Jahre regierte, war Milde womöglich der letzte Weg traditionelle Souveränität durchzusetzen. Zu Zeiten von Mozarts Uraufführung und der Krönung Leopold II. lag der Sturm auf die Bastille zwei Jahre zurück, der Fluchtversuch von Louis XVI. und Marie-Antoinette war gescheitert und ihre Hinrichtungen standen bevor.

Foto: Hans Jörg Michel

Und doch sehen wir in Mozarts Oper einen Kaiser, der in unruhigen Zeiten einen menschlichen Weg zu suchen scheint, eine menschliche Gemeinschaft über den Einzelnen zu stellen versucht. Ob aus Humanismus oder bloßem Überlebenswillen seiner selbst und seiner Machtposition – wer weiß.
Aus heutiger Sicht ist es ein geradezu soziologisches Experiment, dass Macht, Freundschaft und Liebe gegeneinander auszuspielen sucht. Nicht nur Tito ringt mit seinen Idealen. Sein enger Freund Sesto lässt sich aus Liebe zu Vitellia zu einem Attentat auf Tito überreden. Vitellia will nichts sehnlicher als den Thron, dafür sind ihr alle Mittel recht. Bis am Ende auch sie ein menschliches Herz zeigt und ihre Intrige gesteht.
Regisseurin Jetske Mijnssen nimmt sich mit ihrem Team diesem bewegenden Soziogramm an und bringt es aus heutiger Sicht auf die Bühne. In ihre Lesart der Oper gab sie Musikwissenschaftlerin Nila Parly erste Einblicke.

Jetske Mijnssen über ihre Inszenierung

Foto: Keke Keukelaar

Meine Herangehensweise an Tito ist psychologisch, was ohnehin grundsätzlich meine Signatur ist: Ich interessiere mich dafür, was die Menschen antreibt. Dabei suche ich nach Figuren, die wir verstehen, die wir fühlen und denen wir folgen können. Figuren, die uns unter die Haut gehen.
Meiner Meinung nach geht es in dieser Oper um Beziehungen und die damit verbundenen Fehler und Unzulänglichkeiten. Es geht darum, wie wir miteinander und mit uns selbst umgehen. Für die Figuren bereite ich eine Reise vor, eine Reise voller Fragen und Rätsel, und ich bin sehr neugierig darauf, was sie daraus machen.

Freude, Macht, Verrat, Milde – das sind die Schlüsselwörter für die Kapitel, die wir erzählen, und man kann sie wie Überschriften verstehen. Die Ouvertüre beginnt mit Freude (delizia), dann folgt die Macht (potenza), und was sie Tito bringt, dann der Verrat (tradimento) mit seinen Konsequenzen und schließlich vergibt er den Verrätern (clemenza).
Der vollständige Titel der Oper lautet La clemenza di Tito (Die Milde des Tito). Und diese Milde – die Vergebung, die er am Ende gewährt – ist transformativ. Sie ist wie ein Baum, der Wurzeln schlägt und wächst. Denn was ist Vergebung? Es ist eine Art von Freundlichkeit, die uns als Menschen wachsen lässt.

Ich möchte gerne deutlich machen, was Tito verliert. Zeigen, wie er, sobald er Kaiser wird, gezwungen ist, etwas zu opfern, was ihm unheimlich viel bedeutet. Bereits in der Ouvertüre sehen wir, dass die Macht ihren Preis hat. Hier muss Tito zum ersten Mal bezahlen, und es wird nicht das letzte Mal sein.

In Servilia findet Tito eine Person, die ihrem Herzen gehorcht und ihm geradeheraus sagt, wie sie die Dinge sieht. Auch an anderen Stellen in der Oper sieht man, wie tief empfunden Titos Wunsch ist, Ehrlichkeit zu begegnen. Doch natürlich bringt seine Position in der Gesellschaft mit sich, dass niemand ihm gegenüber jemals ehrlich ist. Eine echte Tragik. Und später wird er sowohl von Sesto als auch von Vitellia verraten. Das ist für ihn solch ein gewaltiger Schlag, eine solche Enttäuschung, dass es ihn in tiefe Verzweiflung stürzt.

Meine Inszenierungen entstehen ganz wesentlich aus der Musik. Von dem, was ich höre, komme ich zu einem Bild oder einer Situation: Ist es eine intime oder eine große Szene, und was ist dafür nötig? Werden eine oder mehrere Personen gebraucht? In der Frage, wie die Musik klingen soll, arbeite ich eng mit den Dirigenten zusammen. Soll es zum Beispiel kräftig oder schwach klingen, und was können wir hinzufügen? Das ist ein ständiger Dialog.