Opernreise nach Stockholm (Tag 2)
Studiosus Kulturreise „Oper und Ballett in Stockholm“ – Michael Bellgardt, Pressesprecher der Oper, berichtet direkt aus Stockholm.
Dienstag, 4. Juni 2019. Der zweite Tag in Stockholm ist ein wahrlich königlicher. Nach dem Frühstück geht es ins benachbarte Königliche Schloss (Kunigliga slottet) zu einer äußerst professionellen Führung durch die Regierungs- und Repräsentationsräumlichkeiten. Das barocke Gebäude wurde 1750 fertiggestellt und steht an demselben Ort, an dem bereits im 12. Jahrhundert eine Wehrburg stand. Es hat rund sechshundert Zimmer und barocke Opulenz prägt das Erscheinungsbild des Prachtbaus.
Der Silberthron im Reichssaal war ein Geschenk an die damalige Königin Kristina anlässlich ihrer Krönung 1650. Er wurde in Augsburg angefertigt und ist das einzige Möbelstück, das einen verheerenden Schlossbrand im Jahr 1697 überstand. Im Reichssaal trafen einst die Vertreter der Stände mit dem König zusammen. Heute wird der Saal für Feierlichkeiten und Konzerte genutzt, so auch für die Hochzeitsfeierlichkeiten von Kronprinzessin Victoria und Daniel Westling.
Die Repräsentationsräumlichkeiten sind Teil der Gemächer, die von König und Königin auch heute noch genutzt werden, wenn Staatsgäste im Schloss empfangen werden. Insofern ist das Schloss auch kein Museum, auch wenn es auf den ersten Blick so scheinen mag. In den kostbaren Zimmerfluchten erstrahlt immer noch der Luxus des 17. Jahrhunderts und man kann unter anderem das Schafzimmers Gustavs III. sehen, in dem er zwei Wochen nach einem Attentat (in der Königlichen Oper!) seinen Verletzungen erlag. Ebenso ist ein kostbarer Schreibtisch des schwedischen Königs zu sehen, wie auch Originalmöbel aus dem Besitz von Marie-Antoinette aus Versailles, die nach der französischen Revolution nach Stockholm gelangten.
Erstaunlich, dass die historischen Räume auch heute ganz aktuell zu königlichen Festen verwendet werden. Ob für offizielle Bankette, die übrigens immer pünktlich um 23 Uhr beendet werden, oder für unkonventionelle Discoabende mit DJ, die bis in die frühen Morgenstunden dauern können.
In den Skattkammeren, der Schatzkammer des Schlosses, sind wahnsinnig schöne und kostbare Kronen, Zepter, Reichsäpfel und Schwerter zu besichtigen, die in unvergleichlicher Strahlkraft an die Bedeutung des schwedischen Königshauses erinnern. Fotos sind leider nicht gestattet…
Nach dem Schloss geht’s mittags direkt zum Hafenbecken an der Ostsee und mit dem „Vaporetto“ (würde man in Venedig sagen) ab der Station Slussen in der Nähe unseres Hotels zur Erlebnis- und Museumsinsel Djurgården, denn wir wollen das legendäre Segelschiff Vasa besichtigen, das im Vasa-museet ein echter Publikumsmagnet ist.
Das Kriegsschiff Vasa sank am 10. August 1628 im Stockholmer Hafen auf seiner Jungfernfahrt. Ganze 333 Jahre lag das Schiff auf dem Meeresgrund, bevor es 1961 in erstaunlich gutem Zustand unter schwersten Bedingungen geborgen werden konnte. Das restaurierte Schiff mit hunderten von geschnitzten Skultpturen besteht zu 98% aus Originalteilen, wie im Museumsprospekt zu lesen ist. Die Vasa bietet einzigartige Einblicke in das Schweden des frühen 17. Jahrhunderts und zählt heute zu den größten Touristenattraktionen der Welt. Nirgendwo sonst hat man je so ein Schiff gesehen und hat mit diesem Fund viele Rückschlüsse auf den damaligen Alltag an Bord bekommen können, so z. B. über Takelage und Navigation, aber auch über Ausrüstung der Matrosen und der Offiziere.
Während einige von uns noch ins Freilichtmuseum zu den Jung-Elchen ziehen, bin ich mit einer kleinen Gruppe auf dem Weg ins Hotel zur kurzen Siesta, denn am Abend geht es ins Königliche Opernhaus zu einem Besuch von Mozarts „Don Giovanni“.
Und was für ein Opernhaus! Wahrlich königlich. Majestätisch der Bau von außen im Stil der italienischen Spätrenaissance, prachtvoll innen mit rotem Samt, drei Rängen in Lyra-Form, Kronleuchtern, auf allen Ebenen Pausengastronomie. Wunderbar. Wir erleben Mozarts „Don Giovanni“, eine der drei da Ponte-Opern (die übrigens im Oktober an der Staatsoper in einer Neuinszenierung präsentiert und innerhalb des da Ponte-Zyklus gezeigt wird). In Stockholm in der Inszenierung von Ole Anders Tandberg. Diese kann man kritisch sehen, muss es aber nicht. Witz und Spielfreude werden bei einem jungen und gesanglich-musikalisch formidablen Ensemble aufs Beste ausgereizt. Don Giovanni ist Jeremy Carpenter, Donna Anna Vivianne Holmberg, Donna Elvira Johanna Rudström, Don Ottavio Klas Hedlund, Leporello Markus Schwartz, Zerlina Sofie Asplund, Masetto Jens Persson und der Commendatore ist Lennart Forsén. Das Setting zunächst in einer öffentlichen Toilette mit einem Dutzend Clossets angesiedelt, eine Kamera – von Leporello geführt – projiziert das Geschehen auf der Bühne teilweise in Großaufnahmen. Es wird verführt, verletzt, geschnitten, geblutet, geschossen und noch so einiges mehr – innere Seelenzustände ganz drastisch und plastisch erlebbar vorgeführt. Aber auch feine, zarte Momente sind dabei, wenn Zerlina von Don Giovanni nicht einfach verführt wird, sie vielmehr ihm immer mehr verfällt…
Nach der Pause dann Verwirrung, Verlängerung der Pause um eine weitere halbe Stunde, zwei Mitarbeitende der Oper kommen nacheinander auf die Bühne, machen eine Ansage. Es gibt technische Probleme mit dem Licht, man spielt dennoch weiter mit zwei Beleuchtungs-Verfolgern und nun bekommt der Abend noch mal richtig Drive und Tempo. Das Ensemble wirft sich ins Zeug und legt auch mit dem wenigen provisorischen Licht einen grandiosen Theaterabend hin. Am Pult der Königlichen Hofkapelle die junge Dirigentin Dalia Stasevska: Chapeau a Tutti!
Michael Bellgardt