1

Opernreise nach Stockholm (Tag 3)

Studiosus Kulturreise „Oper und Ballett in Stockholm“ – Michael Bellgardt, Pressesprecher der Oper, berichtet direkt aus Stockholm.

Mittwoch, 5. Juni 2019. Der Tag steht ganz im Zeichen von Schloss Drottningholm. Das königliche Schloss liegt nur wenige Kilometer außerhalb von Stockholm auf der Insel Lovön im Mälersee. Wir nähern uns auf dem schönsten Anreiseweg, nämlich in einer einstündigen Fahrt mit dem Dampfer „Prins Carl Philip“, der vom Kai am Stadthuset ablegt.

Seit 1981 bewohnt die königliche Familie die Zimmer im südlichen Teil des Gebäudes. Der größte Teil des Schlosses und der Parkanlage ist jedoch für Besucher geöffnet. Die barocke Inneneinrichtung stammt aus dem 17. Jahrhundert. Sehenswert ist das Treppenhaus mit Schlachtenbildern, Skulpturen und das prunkvolle offizielle Schlafzimmer von Königin Hedvig Eleonora. Sehr schön auch die Bibliothek im Stil des französischen Rokoko.

Besonders schön ist der dem Schloss sich rückwärtig anschließende Schlossgarten. Die ältesten Teile wurden als Barockgarten angelegt, der dem barocken Interieur ein adäquates Exterieur gegenüberstellt. Das Zentrum des Gartens bildet die Herkulesfontäne mit ihren Bronzefiguren. Im Norden des Gartens schließt sich der englische Landschaftsgarten an.

Wir steuern im Südteil des weitläufigen Gartens das kleine Lustschloss an, das für Königin Luise Ulrike ein Geburtstagsgeschenk zum 33. Geburtstag war. Das pittoreske chinesische Schloss beinhaltet heute einige der schönsten Rokokoeinrichtungen und Chinoiserien Europas. Ein wirkliches Kleinod.

Wir nehmen eine kleine Stärkung im Café des chinesischen Schlosses zu uns und genießen das herrliche Sommerwetter in Schweden, bevor wir durch den Park wieder in Richtung Schloss schlendern. Denn nun steht eine Besichtigung des Schlosstheaters an. Das 1766 erbaute Theater verfügt noch heute über die Originaleinrichtung samt Innendekoration aus der Zeit der Erbauung. Es ist das einzige Rokokotheater Europas, in dem die originale Bühnenmaschinerie noch funktionsfähig erhalten ist. Dafür steht es unter dem Siegel des Weltkulturerbes. Wir haben die Möglichkeit, durch das Theater geführt zu werden und einer kurzen Probe beizuwohnen. Toll. Bei den originalen Kulissenteilen, bei denen in jedem Akt bis zu vier verschiede Kulissenvarianten möglich sind, wird eine Beleuchtung verwendet, die der ursprünglichen durch Verwendung von Kerzen ziemlich nahe kommt.

Sind wir auf dem Wasserweg nach Drottningholm gekommen, so fahren wir mit dem Bus und der U-Bahn zurück nach Gamla stan, um uns etwas frisch zu machen.

Am Abend folgt ein weiteres Highlight der Reise nach Stockholm: der Besuch im Ballett der Königlichen Oper. Das Ballett „Der Prozess“ in der Choreographie von Jirí Bubenícek und im Bühnenbild von Otto Bubenícek nach dem Roman von Franz Kafka. Wer kennt sie nicht, die Tänzerzwillinge, die viele Jahre im Hamburg Ballett John Neumeier zu erleben waren. Wir sind alle sehr gespannt auf den Abend.

Um es vorweg zu nehmen, ein frappierend-bewegender, ergreifender Ballettabend hat mich überrascht und begeistert. Ist es doch eine berechtigte Frage, eine solche expressionistisch-surrealistische Textvorlage Kafkas aus dem Jahr 1914 (posthum editiert in den zwanziger Jahren), als Handlungsballett unserer Tage auf die Bühne zu bringen. Das königlich Schwedische Nationalballett präsentiert sich in bester Konstitution, die Choreografie Bubeníceks ist brillant und präzise, die Musikauswahl klug und passgenau. Was für den jungen Kafka Thema war, berührt uns auch heute noch. Wie kann es sein, dass die menschliche Kreatur in ihrer (unschuldigen) Existenz Verurteilung und Exodus zuteilwird und durch wen dies eigentlich legitimiert und warum. Die Fragen sind nicht simpel zu beantworten, sind ein Koordinatensystem an sozialen, psychologischen, historischen und moralischen Determinanten – sie münden letztlich in einem fatalistischen Seufzen und der Vorhang fällt, als der Hauptprotagonist „wie ein Hund“ (Zitat Kafka) abgestochen wird. Grandios, was zeitgenössischer Tanz zu leisten und vermitteln weiß.

Michael Bellgardt