Pressestimmen zu „Agrippina“: „Großer Wurf mit wunderbaren Stimmen“

Mit der Premiere von Händels „Agrippina“ in der Inszenierung von Komische Oper Berlin-Intendant Barrie Kosky nahm die Staatsoper Hamburg nach sieben Monaten Zwangspause ihren Spielbetrieb am 28. Mai 2021 wieder auf. Dirigent Riccardo Minasi leitete das Ensemble Resonanz, auf der großen Bühne zu erleben waren u. a. Anna Bonitatibus als Agrippina, Luca Tittoto als Claudio, Julia Lezhneva als Poppea, Christophe Dumaux als Ottone und Franco Fagioli als Nerone.

Das schreiben Medien über die Hamburger Premiere von „Agrippina“:

Die größte Nachrichtenagentur Deutschlands, die dpa, meldet: „Mit Barrie Koskys Inszenierung von Händels ‚Agrippina‘ hat das Haus [Staatsoper Hamburg] nun unter dem Jubel […] wieder eröffnet.“ Über die Regie steht: „Ohne dem Stoff irgendeine Aktualität aufzuzwingen, zeichnet er [Barrie Kosky] die Figuren psychologisch so fein, wie es Händels Musik nahelegt.“ Lob erfährt das Sänger*innen-Ensemble: „Dass die Spannung über knapp vier Stunden hinweg nicht nachlässt, ist auch der äußerst spielfreudigen Sängerbesetzung zu verdanken. Die junge Sopranistin Julia Lezhneva in der Rolle von Agrippinas Gegenspielerin Poppea ist der alles überstrahlende Mittelpunkt des Casts.“ Und auch Dirigent und Orchester bekommen positive Kritik: „In Riccardo Minasi und dem Ensemble Resonanz hat Kosky kongeniale Partner für seine so wahrhaftige, hochverdichtete Lesart gefunden. […] Selten hört man Händel so lebendig und vielfältig.“

„Die junge Sopranistin Julia Lezhneva (…) ist der alles überstrahlende Mittelpunkt des Casts.“ (Foto: Hans Jörg Michel)

„Die Premiere […] prunkt mit einer musikalischen Besetzung, die alle Barockopernklischees vom Tisch fegt“, schreibt Julia Spinola in der Süddeutschen Zeitung über „Agrippina“. Über die „luxuriöse Sängerbesetzung“ ist zu lesen: „Hat man je eine erotischere Musik gehört? Die Zeit steht still, das Publikum hält den Atem an, wenn die Sopranistin Julia Lezhneva sich als Poppea an ihrer eigenen Schönheit berauscht“, und weiter, „Den Gegenpol zum glitzernden Sopran der Poppa von Julia Lezhneva bildet der farbenreich-satte Mezzosopran von Anna Bonitatibus. Sie verleiht der Titelpartie nicht nur die nötige Bosheit, sondern zeichnet das musikalische Porträt einer auch von Ängsten und Wahngedanken getriebenen, zerrissenen Figur“. Franco Fagioli als Nerone lege „alle Facetten der Selbstsucht in seinen virtuosen Gesang“ und Christophe Dumaux gestalte mit seinem „wohltimbrierten Countertenor ein Rollenporträt des Ottone“. Dirigent Riccardo Minasi und das Ensemble Resonanz heben „in flexiblen Tempi […] die Besonderheiten dieser Partitur“ hervor. „Selten nimmt man so plastisch wahr, wie raffiniert Händel die Struktur der Da-capo-Arien nutzt, um das Schema der Affekte im Wiederholungsteil aufzubrechen, um Zweifel, Unberechenbarkeiten und eine psychologische Doppelbödigkeit des Ausdrucks einzubauen.“ Spinolas Fazit: „Der Geschmack ihres [Agrippinas] Sieges ist bitter. Der Premierenjubel im Saal aber ist groß.“

„Viel Abstand, aber großer Genuss […] Die Händel-Oper ‚Agrippina‘ wird bejubelt“, ist auf ndr.de zu lesen. Der Beitrag im NDR Hamburg Journal ist betitelt mit: „‚Agrippina‘-Opernpremiere: Großer Wurf mit wunderbaren Stimmen.“ Weiter heißt es im Beitrag: „Auch das Ensemble Resonanz im Orchestergraben klingt warm und beschwingt, selbst Dirigent Riccardo Minasi spielt mit.“ Und: „Wo so viele Monate Stille war, erfüllt ein wohliger Klang den Saal. Countertenor Franco Fagioli spielt voller Leichtigkeit und Julia Lezhneva als Poppea klingt herausragend.“

Jürgen Kesting war für die Frankfurter Allgemeine Zeitung im Saal, sein Fazit: „Einhelliger Jubel für die beste Aufführung der Hamburger Oper seit vielen Jahren.“ Er urteilt: „Wer einen steilen Jux erwartet hatte, für den Händels Opern lange herhalten mussten, wurde angenehm enttäuscht.“ Über die Sänger*innen schreibt er: „Franco Fagioli, der Sänger der für einen Sopran-Kastraten geschriebenen Partie des Nerone, gehört zu den überragenden Vertretern seines Fach. Dass ihm essentielle Fertigkeiten eines Belcantisten – Tonschönheit, portamento-basiertes Legato, geschmeidige Koloratur – zur Verfügung stehen, ist ebenso dokumentiert wie seine athletische Energie und virtuosen Passagenwerk.“ Über Julia Lezhneva ist bei ihm zu lesen: „Was sie [Julia Lezhneva] in ihren sieben Arien darbot – sublime Kantilenen mit wie Silberfäden eingewirkten Ornamenten, trampolin-federnde Staccati und ebenmäßig schwingenden Trillern –, sorgte für helles Entzücken.“ Weiter: „Im Verlauf des Abends bewies die italienische Mezzo-Sopranistin [Anna Bonitatibus] eminente Qualitäten – grandios in der Arie ‚Pensieri, voi mi tormente‘ […]. In der Arie ‚Hò un non sò che‘ brillierte sie ebenso wie die Solo-Instrumentalisten des superben Ensemble Resonanz, das unter der Leitung von Riccardo Minasi alle Zärteleien ‚historisch-informierter‘ Darstellungen vergessen ließ und zeigte, wie ‚aktuell‘ die Barock-Oper sein kann.“

Franco Fagioli als Nerone „gehört zu den überragenden Vertretern seines Fach“, so Jürgen Kesting in der Frankfurter Allgemeine Zeitung. (Foto: Hans Jörg Michel)

Joachim Mischke Hamburger Abendblatt stellt gleich zu Beginn seines Artikels fest: „Doch gegen den Eindruck, hier gäbe es lediglich verdruckstes Notprogramm, spielten und sangen alle Beteiligten von Anfang an vehement an.“ Auch er hebt die Darbietung Lezhnevas hervor: „Und dann kommt einem ohne Vorwarnung dieser eine samtige Ton entgegen, der verführerisch langsam an- und abschwillt, um wie ein Parfumwölklein durch den Raum zu schweben. Gesungen wird er von der Sopranistin Julia Lezhneva, die als seidensanf dahingegossene Poppea auf den Treppenstufen in der silbrig zwitschernden Arie ‚Vaghe perle‘ minutenlang vom eigenen Anmut betört ist. Was man nach diesem Ton und der grandiosen Show durchaus verstehen kann.“ Das Ensemble Resonanz habe „mit Riccardo Minasi […] einen sachkundigen Dirigenten vor sich, der die Musik formte und forderte, aber nie überreizte oder lauwarm durchspielen ließ. Unaufhörlich ging dieses Stück musikdramatisch vorwärts, mit feinem Gespür für Timing und Tempi.“ Und: „Christophe Dumaux […], der dem herzensgute[n] Intrigen-Prügelknaben Ottone Tiefe und Format gibt. Wie Dumaux, blutig und verzweifelt, in seinem Klagegesang ‚Voi ch’udite‘ von den Streichern auch noch ein glühendes Messer in den Leib gerammt bekommt, ist schlicht erschütternd fürchterlich.“

Volker Blech schrieb in der Berliner Morgenpost: „In Koskys Inszenierung werden die Figuren bis ins Comichafte überzeichnet. […] Die Personenregie ist durchweg bemerkenswert, und mit dem Sängerensemble setzt man in Hamburg Maßstäbe.“ Über Julia Lezhneva steht, dass ihre Poppea „zur Singverführung“ werde. Franco Fagioli gelinge „ein Nerone zwischen Klein-Ödipus und Größenwahn“. Anna Bonitatibus singe eine Agrippina „voll List und Einsamkeit“. Sein Fazit: „Die 400 Besucher im Saal sind begeistert.“