„Unfälle“, Hosenrollen und Zukunftstraumpartien

Die Mezzosopranistin Kristina Stanek ist seit dieser Spielzeit fest im Ensemble der Hamburgischen Staatsoper

„Es gibt zwei Arten von Sänger*innen“, erzählt Kristina Stanek, und dabei leuchten ihre Augen. Soweit man es bei unserem Corona-bedingten Skype-Interview sehen kann. „Die einen machen Blitzkarriere und bekommen über Wettbewerbsgewinne die richtigen Kontakte. Die anderen, mit langsamerem Weg, fangen in der sogenannten Provinz an und kommen auch irgendwann mal an ein Haus wie die Hamburgische Staatsoper. Ich gehöre eher zu denen.“

Na und? Möchte man sagen! Kristina Stanek hat einen Mezzosopran zum Verlieben: dunkel, schillernd, ausdrucksstark, mit dynamischen Nuancen, flexibel in der Höhe, kräftig, aber nicht forciert. Sehr ausgeglichen. Man wird noch viel von ihr hören. Ihr Repertoire reicht von Purcells Dido über Mozarts Cherubino, Rossinis Rosina bis zu Bizets Carmen und zu zeitgenössischem Repertoire. Wer weiß, was noch kommt? „Meine drei Zukunftstraumpartien wären Eboli, Santuzza und Amneris. Das ist natürlich weit gedacht, aber da sehe ich mich dann am ehesten.“ Zur Zeit konzentriert sich Kristina Stanek auf die, wie sie sagt, „voll lyrischen Partien“. Ihr Herz schlägt sehr für Hosenrollen. „Es ist die Ambivalenz. In der Darstellung kann ich in mir den männlichen Anteil suchen und darf auch mal über die Stränge schlagen. Ich empfinde das als sehr befreiend.“ Aber wie passt das mit einer Carmen zusammen? „Es kommt auch immer darauf an, wofür ich die Stimme einsetze. Da ich als Jugendliche viel Pop gesungen habe, ist es für mich ganz natürlich die Bruststimme relativ hoch zu ziehen. Das nützt zum Beispiel bei Carmen. Aber bei einem Cherubino würde ich das nicht machen.“ Geschmack und Sensibilität sind entscheidend. „Ein Tenor, der Lohengrin singt, sollte auch noch einen Tamino singen können. So ähnlich verhält es sich mit Carmen und Cherubino. Für die Entwicklung und die Gesundheit der Stimme finde ich sehr wichtig, dass man sich seine Flexibilität erhält.“ Das kann mit Mozart oder Rossini gelingen.

„Ich bin eine Riesen-Verehrerin von Rossini geworden“, so die Mezzosopranistin Kristina Stanek, die in dieser Spielzeit in der „#rossinigala“ mit Oleksiy Palchykov und Kartal Karagedik zu erleben war. (Foto: Michael Klaffke)

Zwei kleine „Unfälle“, verrät die aus Krefeld stammende Kristina Stanek, hätten Einfluss auf ihren künstlerischen Weg gehabt. Der eine heißt „Rossini“. „Ich habe mich sehr lange gegen ihn gewehrt!“ Aber dann kam das Angebot in Basel die Rosina in Rossinis Barbier von Sevilla zu singen. „Ich habe erst abgelehnt, ich dachte, meine Stimme sei nicht für die Rossini-Koloraturen geeignet.“ Doch am Theater Basel insistierte man. „Die damalige Studienleiterin ermutigte mich ebenfalls zu Rossini.“ Je mehr Rossini Kristina Stanek sang, desto mehr änderte sie ihre Meinung. „Ich habe gemerkt, wie sehr mir das doch liegt, und wie gut es meiner Stimme (…) tut. Ich bin eine Riesen-Verehrerin von Rossini geworden und immer noch überrascht, wie gerne und mit wie viel Liebe ich das singe.“

Der andere „Unfall“ geschah an einer wichtigen Schaltstelle. Eigentlich wollte Kristina Stanek Ärztin werden. Ein Abitur mit Notendurchschnitt 1,8 bedeutete Warten. „Es war ein schöner ‚Unfall‘. Ich wollte die Zeit überbrücken und habe aus Spaß die Aufnahmeprüfung an der Robert Schumann Hochschule Düsseldorf gemacht.“ Und gleich geschafft! Wie das? Aus einem musikalischen Elternhaus kommt Kristina Stanek nicht. Der Vater ist Physiker, die Mutter Montessori-Lehrerin. Aber es gab eine große Offenheit, Interessen wurden immer unterstützt, Gesangsunterricht finanziert. „Ich war zwar eher in der Pop-Szene unterwegs, aber der Gesangsunterricht war klassisch. Mein Lehrer sagte: „Ach, du hast so ein tolles Material, probier’ es einfach, schau,wie es dir gefällt, bis du einen Studienplatz in Medizin bekommst.“ In Düsseldorf an der Hochschule merkte Kristina Stanek schnell, dass Singen ihre eigentliche Bestimmung ist. Schritt für Schritt ging sie ihren Weg.

Kristina Stanek verkörpert Orlofsky in BARBE & DOUCET-Inszenierung „Die Fledermaus“ an der Staatsoper Hamburg. (Foto: Karl Forster)

Entscheidende Inspiration bekam sie immer wieder von dem renommierten Gesangsprofessor Reinhard Becker. Und sie ging nach London an die Royal Academy of Music zu Lillian Watson. „Ich habe schon immer eine große Faszination für England empfunden und mochte die Stadt sehr. Außerdem hat die Royal Academy ein sehr breit gefächertes Angebot, ganz anders als in Deutschland. Da gibt es Klassen für Oratorium, französisches, deutsches Lied mit tollen Lehrern, und die Möglichkeit mit großen Dirigenten zu arbeiten.“ Mit Colin Davis oder Charles Mackerras. Über Engagements in Trier, Karlsruhe und Basel kam Kristina Stanek nun nach Hamburg. „Zwischendurch“ fiel auch die Entscheidung, dass Mezzosopran und nicht Sopran das richtige Stimmfach ist. „Das war eine psychologische Entscheidung. Ich bin erfüllter in diesen Partien. Theoretisch hätte ich die Töne für Sopranpartien. Doch wenn die Tessitura andauernd hoch liegt, kann es problematisch sein. Ich frage mich, wie geht es mir, nachdem ich Tosca oder Carmen gesungen hätte? Und mir geht’s nach einer Carmen einfach gut. Entscheidend ist, wo sich eine Stimme wohlfühlt, und das ist bei mir definitiv in der Mittellage und in der Tiefe.“

Kristina Stanek hofft, sich endlich einmal dem Hamburger Publikum live präsentieren zu können, vielleicht am 2. Mai als Carmen? Seit September 2020 gehört sie zum Ensemble an der Dammtorstraße, doch man konnte sie „nur“ bei den Streamings der Rossini-Gala oder von Strauß’ Fledermaus erleben. „Man möchte einfach endlich wieder vor Publikum singen, diese Magie, die es im Zuschauerraum gibt, die kann man nicht per Kamera transportieren.“

Von Elisabeth Richter aus dem journal #3 der Spielzeit 2020|21


Elisabeth Richter studierte Musiktheorie, Komposition, Musikwissenschaft und Schulmusik. Langjährige Autorentätigkeitfür Funk und Print (u. a. Deutschlandfunk, WDR, NDR, Neue Zürcher Zeitung, Fono Forum)