Hänsel und Gretel

Hummel Hummel – Mors Mors: Hänsel trifft Kinderchorleiter

„Hänsel und Gretel“ gehört zu den wohl bekanntesten Märchen weltweit. Auch Engelbert Humperdincks Oper ist seit ihrer Uraufführung 1893 ein außerordentlicher Erfolg. Über den Zauber dieser Geschichte und die Hamburger Inszenierung von Peter Beauvais sprechen Luiz de Godoy, Leiter der „Alsterspatzen – Kinder- und Jugendchor der Hamburgischen Staatsoper“, und Mezzosopranistin Jana Kurucovà, die in der aktuellen Vorstellungsserie die Partie des Hänsel übernimmt.

Am 23. Dezember 1893 wurde „Hänsel und Gretel“ in Weimar uraufgeführt. Seither ist Engelbert Humperdincks Oper sehr beliebt und wird besonders in der Adventszeit gespielt. Was macht diesen Zauber aus?

Jana: Ich glaube, es ist vor allem die Musik. Die ist wirklich zauberhaft. Selbst wenn man den Text nicht verstehen würde, weiß man, was passiert. Die Familie lebt eng zusammen, die Situation zu Hause ist schwierig, die Geschwister gehen in den Wald und begegnen der Hexe, einer Gefahr… Ach, Märchen überhaupt haben einen Zauber – schon seit Jahrhunderten. Das ist etwas ganz Besonderes! Und Kinder lieben diese Geschichten… besonders auch, wenn es Gefahren gibt, aber vor allem, wenn es dann wieder gut endet. Ich glaube, es gibt uns allen Hoffnung, dass wenn wir uns in einer schwierigen Situation befinden, es doch noch einen Ausweg gibt.

Luiz: Ich bin völlig deiner Meinung, dass insbesondere die Musik den Zauber ausmacht. Die Musik ist gleichzeitig sehr komplex und höchst romantisch, aber doch sofort zugänglich, auch für Kinder. Sie beschreibt und untermalt die Situationen so gut – es ist wirklich ein Meisterwerk für Kinder. Dabei wurde nicht auf höchste Qualität verzichtet. Was die Geschichte betrifft, finde ich auch sehr spannend – und vielleicht liegt es daran, dass dieses Märchen und diese Oper so beliebt sind –, dass es kein Märchen ist, das auf Prinzessinnen, Königinnen und Zauberwesen basiert, sondern die Geschichte einer normalen Familie erzählt.

Jana: Ja, harte Realität, oder? (lacht)

Luiz: Ja, genau. Und ich glaube, dadurch kann man sich schneller damit identifizieren. Zudem glaube ich, dass Kinder ihre Situation in der Oper gespiegelt bekommen. Auch wenn hiesige Kinder heutzutage nicht arbeiten müssen wie zur Entstehungszeit der Oper, müssen viele zu Hause helfen. Und viele kennen es bestimmt, wenn sie Ärger von den Eltern bekommen, wenn sie etwas nicht getan haben, was sie hätten machen müssen.

Jana: Und dann geht es auch noch um das Spiel zwischen den Geschwistern. Wie sie sich gegenseitig ärgern und dann, wenn es wirklich schwer wird…

Luiz: …sich zusammentun, um aus der Situation rauszukommen.

Jana: Genau!

Luiz: Und das ist alles mit sehr viel Liebe verbunden. Im ersten Akt erfährt man, wie die Wut der Mutter alle in eine schwierige Lage bringt. Sie trifft dann falsche Entscheidungen, weil sie einfach so in ihrer Wut gefangen ist. Und das ist auch etwas, was jeder kennt. Zuerst spielen die Kinder nur, nehmen alles locker, doch irgendwann merken sie: Aha, das ist jetzt blöd, wir sind in einer verzwickten Situation, was machen wir? Dann beten sie gemeinsam und meistern alles zusammen. Kinder, die mit Geschwistern aufgewachsen sind, kennen das so gut. Das ist einfach eine Geschichte, in die sich viele hineinversetzen können.

Hänsel und Gretel

Luiz und Jana auf der Probebühne

„Hänsel und Gretel“ ist nicht nur populäres Repertoirestück, sondern wird gern als Kinderoper bezeichnet. Kinderchor auf der Bühne, Kinder im Publikum – wie ist es, mit Kindern zusammenzuarbeiten?

Luiz: Ich find’s ganz toll! Ich finde, als Künstler hat man nirgends eine größere Verantwortung, als wenn man mit Kindern arbeitet. Kunst ist Fantasie – das Schaffen von etwas, das wir nicht in der materiellen Welt hätten erzeugen können, und Kinder sind diejenigen, die am besten dafür geeignet sind. Sie haben, je kleiner sie sind, noch eine fast unbeschränkte Fantasie und auch weniger Hemmungen als Erwachsene. Dadurch haben sie einen direkten Zugang zum Ausdruck. Also nicht zur Geschichte oder zur Erzählung, das ist dann alles noch eine andere Sache, aber auf der Ebene des Ausdrucks sind Kinder einfach so toll drauf, die können das sehr gut.

Jana: Ja, sie sind so authentisch.

Luiz: Sie sind so authentisch! Und daher ist man in einer sehr wichtigen Position, wenn man mit Kindern arbeitet, beziehungsweise für Kinder. In diesem Fall ist beides vorhanden: Wir arbeiten mit Kindern und traditionell sind immer sehr viele Kinder bei den Vorstellungen von „Hänsel und Gretel“ dabei. Das bedeutet auch für die erwachsenen Darstellerinnen und Darsteller, dass es eine Art Musikvermittlung ist. Inhaltlich wird aber vor allem der Glaube vermittelt, dass es am Ende gut geht, wenn man zusammen ist und wenn man gemeinsam in eine Richtung strebt. Dieser Glaube kann sehr gut tun.

Jana: Wenn man an etwas glauben kann, ist das eine ganz große Gabe und auch eine Stärke, mit der man das Leben besser meistern kann. Kinder können wirklich ehrlich an etwas glauben. Ich bin davon überzeugt und habe die Erfahrung gemacht, dass wenn ich wirklich einen ganz großen Wunsch gehabt habe und wirklich ganz ehrlich daran geglaubt habe – ohne irgendwie jemanden bewusst zu verletzten, ist es tatsächlich auch immer in Erfüllung gegangen. Und wir Erwachsene, die bei „Hänsel und Gretel“ mitsingen, dürfen wieder Kinder sein. Das ist absolut fantastisch! Dann erinnert man sich daran, wie es sich damals angefühlt hat, wie man auf die Welt geschaut hat – und das ist so sauber und so rein. Auch, wenn man als Hänsel so gemein und fies ist… aber das hat nicht wirklich was mit Böshaftigkeit zu tun. Es ist so bezaubernd, wieder ein Kind sein zu dürfen. Gerade jetzt, da ich eine kleine Tochter habe, ist es für mich sogar noch viel einfacher, Hänsel zu singen. Ich kann genauso rumblödeln auf der Bühne, wie sie es zu Hause tut. (lacht) So dass Luiz sogar sagen muss: „Jetzt reicht’s!“ Aber dass ich mit dieser Rolle wieder wie sie sein darf, ist sehr schön.

 

Hänsel und Gretel

Hänsel und Gretel

Die Staatsoper zeigt „Hänsel und Gretel“ in der Inszenierung von Peter Beauvais. Die Premiere war 1972. Seither freut sich das Publikum auf diese Inszenierung und erwartet sie auch zur Adventszeit. Was ist das Besondere an dieser Version?

Jana: Es ist schön den Zuschauerinnen und Zuschauern, die die Inszenierung kennen, Erwartungen erfüllen zu können. Es ist schön, dass es gleich ist. Kinder beispielsweise lieben das, wenn man Dinge wiederholt, wenn man ein Buch fünfzig Mal vorliest. Sie wissen dann ganz genau, was kommt und trotzdem wollen sie noch einmal und noch einmal. Aus meiner Heimat kommt der Märchenfilm „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“, den kennen bestimmt viele. Ich habe ihn immer zu Weihnachten mindestens fünf Mal angeschaut. Und ich will ihn einfach immer wieder schauen. Das gibt mir ein Geborgenheitsgefühl. Und das ist, glaube ich, auch mit alten Inszenierungen so, die so zauberhaft gemacht sind. Man möchte das auch irgendwie nicht anders. Und man ist nie satt davon.

Luiz: Ja, ich finde auch, dass man in diesem Fall fast von einer historischen Inszenierung reden kann. Und wenn sie immer wieder so vorkommt, dann heißt das ja auch, dass das was in sich hat. Ich glaube, für die Menschen, die sich das schon angeschaut haben, ist das toll es jedes Mal neu zu erleben. Und diejenigen, die es noch nie angeschaut haben, mögen das bitte machen. Auch, weil man nicht weiß, ob irgendwann jemand auf die Idee kommt, das neu inszenieren zu lassen. Und jetzt sind wir noch in dieser Ära und wir wissen: Es funktioniert sehr gut, es wirkt und diese Wirkung muss man einfach einmal erlebt haben, um zu wissen, was gerade diese Inszenierung hat.

Hänsel und Gretel oder Aschenputtel?

Luiz: Hänsel und Gretel!

Jana: Ja, für mich auch.

Lebkuchen oder Spekulatius?

Jana: Lebkuchen.

Luiz: Spekulatius.

Weihnachten: Familienfest oder entspannte Schlafanzug-Tage?

Jana: Ein Familienfest im Schlafanzug. (lacht)

Luiz: Ein Familienfest am Strand bei 30 Grad Hitze. (beide lachen)

Jana an Luiz: Was war das schönste Weihnachtsgeschenk, das du bekommen hast?

Luiz: Ich habe lange ein Klavier zu Hause haben wollen. Doch leider war das zu teuer für uns. Aber irgendwann bin ich dann in zwei wichtigen öffentlichen Musikschulen aufgenommen worden – und dann bekam ich ein Klavier. Da ich im Januar Geburtstag habe, war das quasi Weihnachts- und Geburtstagsgeschenk gleichzeitig und das war auf jeden Fall das Beste!

Jana: Deswegen bist du eigentlich auch hier, oder?

Luiz: Ja, genau. Weihnachtszauber!

Luiz an Jana: Was war dein schönstes Weihnachtserlebnis?

Jana: Das ist eine sehr, sehr schöne Erinnerung aus meiner Kindheit. Ich war klein – vielleicht 5 oder 6 Jahre – und ich wollte unbedingt mit meinem Vater auf die Mitternachtsmesse gehen. Aber er hat gesagt: „Nein, du bist doch zu klein.“ Am Ende der Mitternachtsmesse singt man „Stille Nacht“ und alle Lichter werden ausgemacht – nur die Bäume leuchten noch. Ich habe gefleht, dass ich das unbedingt miterleben möchte und dann hat er gesagt: „Dann musst du das ganze Lied ‚Stille Nacht‘ auswendig lernen.“ Dann haben wir das zwei, drei Tage geübt und er sagte: „Du wirst sehen, die erste Strophe singen alle Leute, die zweite nur die Hälfte und die dritte nur der Organist und wir.“ (beide lachen) Und genau so war es! Ich habe dann selbst als 11-jähriges Kind angefangen, Orgel zu spielen in der Kirche. Und jedes Mal, wenn ich „Stille Nacht“ gespielt oder gesungen habe, musste ich daran denken, wie zauberhaft das für mich war. Das hat auch den Wunsch in mir gestärkt, Sängerin zu werden.

Luiz: Schöne Geschichte!

 


 

Jana Kurucova

Foto: Bettina Volke

Jana Kurucová
Die slowakische Sopranistin Jana Kurucová studierte klassischen Gesang am Konzervatórium J. L. Bellu in Banska Bystrica, in Bratislava sowie an der Musikhochschule in Graz und war Mitglied des Opernstudios der Bayerischen Staatsoper. Sie feierte besonders große Erfolge als Cherubino, u. a. in Peking, Sevilla, Berlin und Karlsruhe. Als ehemaliges Ensemblemitglied der Deutschen Oper Berlin interpretierte sie auch Rosina, Fenena, Mercédès oder Zerlina. Seit der Spielzeit 2019/20 gehört sie zum Ensemble der Staatsoper Hamburg und ist ab dem 21. November als Hänsel in „Hänsel und Gretel“ zu erleben.

Luiz de Godoy

Foto: Joern Kipping

Luiz de Godoy
Der brasilianische Dirigent Luiz de Godoy studierte Klavier an der Universidade de São Paulo und an der Escola Superior de Artes Aplicadas. Zudem schloss er ein Diplomstudium im Dirigieren an der Hochschule für Musik und darstellende Kunst Wien ab. Ebenfalls in Wien war er Assistent des künstlerischen Leiters der Wiener Singakademie im Wiener Konzerthaus, Chorleiter der Chorakademie der Wiener Staatsoper und Kapellmeister der Wiener Sängerknaben. Seit der Spielzeit 2019/20 leitet er die Alsterspatzen – den Kinder- und Jugendchor der Hamburgischen Staatsoper.