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Im Gespräch mit: Rolando Villazón

Er gilt als einer der Superstars der Musikszene – der mexikanisch-französische Tenor Rolando Villazón. Seine beispiellose Karriere startete er 1999 mit seinem Europa-Debut in Genua als Des Grieux in Massenets Oper „Manon“, 2001 debütierte er an der Staatsoper Hamburg als Rodolfo in „La Bohème“. Jetzt kehrt er als Pelléas in der Willy Decker-Inszenierung von Debussys „Pelléas et Mélisande“ in die Hansestadt zurück.

Wenn man mit so vielen Talenten gesegnet ist wie Sie: ein Vollblutmusiker zu sein und dazu noch in letzter Zeit verstärkt Regisseur. Wenn man – wie Sie – als Zeichner, Karikaturist, Autor und Moderator das Talent zum universalen Lebenskünstler im Geiste eines großen Komödianten hat … Wenn das alles so ist, beantworten Sie bitte eine Frage: Warum entscheidet man sich dann im Kern doch für den steinigen Weg und die riskante Laufbahn „des“ Opernsängers?

Rolando Villazón: Ich weiß nicht, ob es weniger riskant ist, ein freischaffender Autor zu sein, oder ein Regisseur? Letztlich sind all dies Berufe, die zu einem großen Teil davon bestimmt sind, dass man es schafft, eine Verbindung zu anderen Menschen aufzubauen, ein Publikum zu finden. Richtig ist: ich habe schon immer gesungen, seitdem ich ein kleiner Junge war. Obwohl ich nicht aus einer musikalischen Familie komme, war Singen als Ausdrucksform mir immer ganz nah. Insofern war es doch ein logischer Weg für mich.

Man kann mit einem dicken Ausrufezeichen hinter Ihre Laufbahn als einer der ganz großen und berühmten Tenöre schreiben: „Der Erfolg gibt Ihnen recht.“ Und die Liste Ihrer Rollen und die Bandbreite des Repertoires, über das Sie verfügen, könnte Bücher füllen: von Monteverdi bis Massenet, von Mozart über Verdi zu Puccini. Finden Sie für sich selbst da überhaupt noch Kriterien und Richtlinien, nach denen Sie Ihre Angebote auswählen?

Rolando Villazón: Ich möchte vor allem Sachen machen, die mich inspirieren, auf positive Art und Weise herausfordern. Ich möchte mich nicht langweilen und genug Zeit für die anderen Dinge haben, die mir wichtig sind: zuallererst meine Familie, aber eben auch: Inszenieren, Schreiben, die Mozartwoche. Nächste Spielzeit, zum Beispiel, ist eine wirklich gute Mischung für mich: ich singe Pelléas und Lenski auf der Opernbühne, mache eine große Tournee mit Monteverdis „L’Orfeo“ mit L’Arpeggiata und Christina Pluhar, gebe Liederabende und Konzerte. Ich führe Regie – „I Puritani“ in Düsseldorf –, mein dritter Roman wird veröffentlicht und der Januar 2020 steht natürlich ganz im Zeichen meiner zweiten Mozartwoche. Ich kann wirklich sagen: Ich freue mich auf alles, was da kommt!

Seit einiger Zeit zählen sie Pelléas in Claude Debussys „Pelléas et Mélisande“ zu Ihrem Repertoire und werden diese Partie nun auch in Hamburg singen. Hand auf´s Herz: dieser introvertierte Pelléas und der eher zum Enthusiasmus neigende und lebensbejahende Rolando Villazón, wie passen diese beiden Dinge zusammen?

Rolando Villazón: Ich liebe diese Oper, ein absolutes Meisterwerk, und diese Rolle. Sie ist mir sehr ans Herz gewachsen, seitdem ich sie letztes Jahr zum ersten Mal gesungen habe. Pelléas ist introvertiert, ja, aber er bricht durchaus auch aus sich heraus, besonders im vierten Akt. Man braucht viel Disziplin, um da einen glaubhaften Bogen zu spannen. Ich freue mich sehr auf die Hamburger Produktion. Sie ist ganz anders als die in Berlin, die ich bislang gemacht habe, und gibt mir bestimmt eine ganz neue, spannende Perspektive auf den Pelléas. Und ich liebe Willy Decker!

„Pelléas ist eine Lichtgestalt wie ein Harlekin.“

Pelléas et Mélisande

Foto: Jörn Kipping

Bleiben wir in Hamburg und beim Pelléas. Wenn man wollte, könnte man Kluges fragen, beim „Symbolischen Theater“ von Maeterlinck als Quelle der Oper Debussys Station machen, von einer Gegenbewegung zum Naturalismus sprechen und so weiter. Aber bedenkt man, dass es stets darum geht, auf der Opernbühne in Wort, Ton und Geste einen Charakter präzise zu erfinden, dann kann man auch kurz und knapp fragen: Was interessiert SIE an Pelléas?

Rolando Villazón: Das Spannende an Pelléas ist gerade auch, wieviel nicht direkt ausgesprochen wird. Wieviel Subtext es gibt, den man füllen und erzählen muss. So vieles wird uns nicht direkt gesagt, sondern ist einfach impliziert. Trotzdem muss man das unglaubliche Drama glaubhaft machen, das Pelléas durchläuft. Und doch ist Pelléas eine Lichtgestalt wie ein Harlekin. Das reizt mich ungemein, zumal in Willys Inszenierung.

Brauchen Sie vor allem die Möglichkeit, sich mit einer solch subtilen, zweifelsohne stark psychologischen Figur zu identifizieren? Oder sind es doch eher musikimmanente Gründe – vielleicht auch noch ganz andere –, die Sie zu dem Schluss kommen ließen: Ich singe und spiele Pelléas?

Rolando Villazón: Ich muss mich nicht unbedingt persönlich mit den Figuren identifizieren können, aber ich muss einen Zugang zu ihnen finden. Bei Pelléas ist es sicher auch das Element des Unschuldigen, fast Kindlichen, das ich extrem spannend fand. Und natürlich: es ist eine ganz große Partitur, sicherlich eine der wichtigsten der französischen Oper. Das ist auch ein Grund.

Pelléas et Mélisande

Foto: Jörn Kipping

Und es ist dann doch zu verführerisch, den „Allrounder“ Rolando Villazón – Interpret, Regisseur, nicht zuletzt in Salzburg auch Festivalleiter – kurz und bündig zu fragen: Wie sieht die Zukunft der Oper aus?

Rolando Villazón: Das ist eine Frage, über die ich sehr viel nachdenke. Es ist auf jeden Fall eine Herausforderung für die Kunstform Oper, weiter zu existieren und relevant zu bleiben. Dazu gehören viele Aspekte: was für Inszenierungen haben Platz auf den Opernbühnen? Ich glaube an modernes, kluges Theater, das aber trotzdem das Publikum mitnimmt. Dann aber auch: was für einen Einfluss nehmen die sozialen Medien? Einerseits tragen sie dazu bei, dass ein breites Publikum überall auf der Welt Zugang hat und sich austauschen kann. Andererseits aber lenken sie doch sehr vom Wesentlichen ab, und das finde ich sehr schwierig. Ich habe viel mit jungen Künstlern zu tun, bei denen ich mich wundere, was für Prioritäten sie setzen … PR und Instagram nehmen einen viel zu großen Raum ein. Um jetzt nicht zu weit auszuholen: ich glaube an die Zukunft der Oper, aber wie alle anderen Teile unserer Gesellschaft auch muss sie sich immer wieder neu erfinden, auf das Wichtige besinnen, die richtigen Fragen stellen und die Menschen gleichermaßen herausfordern und erfüllen. Das ist Kunst.

Interview: Annedore Cordes (aus dem Journal #1 der Spielzeit 2019/20)

 


 

Rolando Villazon

Foto: Harald Hoffmann/DG

Rolando Villazón
Rolando Villazón zählt zu den beliebtesten Stars der Musikwelt. Er tritt an den führenden Opernhäusern und mit den großen Orchestern in aller Welt auf. Der vielseitige Künstler ist neben seiner Sängerkarriere auch erfolgreich als Opernregisseur, Schriftsteller und in der Fernseharbeit. Seit 2017 ist er zudem künstlerischer Leiter der Salzburger Mozartwochen.